Herr Professor Ockenfels, die Klage der Union in Sachen gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften vor dem Bundesverfassungsgericht ist am vergangenen Mittwoch gescheitert. Neben die klassische Ehe treten in Zukunft also noch weitere, mehr oder weniger gleichberechtigte Formen des Zusammenlebens. Was bedeutet das für die christliche Institution Ehe? Ockenfels: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist nicht unfehlbar und nicht mit dem Jüngsten Gericht zu verwechseln. Es hat sich nun als besonders zeitgeistbeflissen und parteipolitisch gespalten erwiesen. Die Väter des Grundgesetzes drehen sich im Grabe herum. Die Katholische Kirche jedenfalls wird sich dieser Umwertung der Werte nicht unterwerfen. Sie wird aus einer alten Sünde kein neues Sakrament machen. Allerdings bedeutet die rechtliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften eine schlechte Karikatur der Ehe und setzt diese herab, statt sie „besonders“ zu schützen und hervorzuheben. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes besagt lediglich, daß das Gesetz der rot-grünen Koalition nicht im Widerspruch zur Verfassung steht. Nicht aber, daß es nach einem Wahlsieg der CDU/CSU nicht dennoch gekippt werden kann. Erwarten Sie nach einem Wahlsieg im September eine entsprechende Initiative der Union? Ockenfels: Notwendig wäre eine Revision schon. Aber kaum wahrscheinlich – wegen der Abhängigkeit vom möglichen Koalitionspartner FDP. Was aber die neue Regierung und die Bundesländer unbedingt verhindern müssen, ist die steuer- und sozialrechtliche Gleichstellung dieser neuen Rechtsinstitute mit Ehe und Familie, die ihre ohnehin spärlichen Privilegien nicht auch noch mit jenen Verbindungen teilen sollten, die weder förderungswürdig noch förderungsbedürftig sind. Edmund Stoiber hat bereits angekündigt, das Gesetz im Falle eines Wahlsieges nicht zurückzunehmen. Ist das nicht eine Brüskierung der konservativen Klientel der Union inklusive der Kirchen? Ockenfels: An Düpierungen dieser Art hat man sich leider schon gewöhnt. Aber irgendwann ist die Schmerzgrenze erreicht, an der das Mitmachen nicht weiter möglich ist. Bereits nach der Berufung von Katherina Reiche ins „Kompetenzteam“ von Edmund Stoiber hat der Kölner Kardinal Meisner die Unionsparteien aufgefordert, konsequenterweise auch auf das „C“ im Parteinamen zu verzichten. Die Christlich-Demokratische Union scheint allerdings solche Kritik von Seiten der Kirchen inzwischen herzlich wenig zu interessieren. Ockenfels: Leider ja, weil man in der CDU davon ausgeht, christlich orientierten Wählern bleibe gar nichts anderes übrig, als die Union zu wählen. In Ermangelung einer Alternative spürt man in der CDU/CSU nicht die Angst vor einer Abwanderung christlich orientierter Wähler. Also Arroganz der Macht statt Wählerwille und Wertebindung? Ockenfels: Nun, natürlich muß man der Union zugute halten, daß sie, wenn auch christlich gebunden, doch in erster Linie eine politische Partei ist und nicht der verlängerte Arm der Kirchen. Es gibt in der Union allerdings etliche Mitglieder, die sich zwar mit einer Kritik an Stoiber zurückhalten, denn schließlich haben wir Wahlkampf, die ihm aber liebend gerne einige sehr kritische Fragen stellen würden. Themen wie Familienpolitik, gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft oder auch Gentechnik – denken Sie nur an die Aussagen Katherina Reiches dazu – müssen nach der Wahl noch einmal sehr ernsthaft diskutiert werden. Vor der Wahl ist dazu keine Zeit, und danach ist das Thema erfahrungsgemäß vergessen. Ockenfels: Ich glaube schon, daß die Union darauf achten muß, daß ihr auf Dauer nicht ein Teil der Stammwählerschaft verlorengeht. Denn ebenso, wie es nicht mehr selbstverständlich ist, daß die Union sich als einzige Partei an christlichen Werten orientiert, ist es nicht mehr selbstverständlich, daß die meisten Christen eine der C-Parteien wählen. Sie selbst haben die Berufung von Frau Reiche ins Kompetenzteam Edmund Stoibers in der Sendung „Sabine Christiansen“ einen „Kniefall vor der Liberalität“ genannt. Ockenfels: Mein Vorwurf an Herrn Stoiber war als kritische Nachfrage, noch nicht als Verurteilung, gemeint. Dahinter steht die Befürchtung, daß ein Politiker, den man bisher als im christlichen Sinne standhaft konservativ bezeichnen konnte, sich aus Opportunitätsgründen einer liberalen Wählerschaft zu nähern versucht. Die Frage ist, war das ein Wahlkampfmanöver oder verweist diese Entscheidung auf einen Wechsel in der Programmatik der Union? Das muß sich zeigen. Gleichzeitig haben Sie sich allerdings gegen die Forderung Kardinal Meisners, die Union solle das „C“ aufgeben, gewandt. Ockenfels: Ja, denn tatsächlich besteht die Gefahr, daß eine überzogene Kritik der Kirchen an der Union dazu führt, daß sie auch den letzten Einfluß auf die Politik verlieren. Und das wäre zum Beispiel angesichts der Vorstellungen, die bei den Grünen virulent sind, etwa in der Frage der Abtreibung und der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, ein höchst gefährlicher Zustand. Auf der Pressekonferenz Edmund Stoibers zur Aufnahme Katherina Reiches in das Kompetenzteam gab sich Frau Reiche gegenüber ihren konservativen Kritikern, mit deren Stimmen sie ja dennoch gewählt werden möchte, spöttisch-überheblich und Edmund Stoiber befremdlich aggressiv. Ist diese feindselige Reaktion auf die Kritik nicht verräterisch und genaugenommen der eigentliche Skandal? Ockenfels: Das sehe ich auch so, allerdings muß man sich im klaren darüber sein, daß es sich hierbei auch um eine ordentliche Portion Wahlkampfgetue mit der Absicht zu provozieren handelt. Herr Stoiber hat damit aber erhebliche Verärgerung in Kirchenkreisen hervorgerufen, und ob es ihm damit gelungen ist, Wähler auf der Seite der Emanzipationsbewegung zu gewinnen, möchte ich bezweifeln. Die Anhänger dieser Weltsicht wählen dann doch lieber das Original. Stoiber hat sich also mit Sicherheit fahrlässig verhalten. Edmund Stoiber nannte die Berufung Reiches eine „Grundsatzentscheidung“ und „ein Signal gegen eine rückwärtsgewandte Familienpolitik“. Ockenfels: Das macht in der Tat mißtrauisch, ob da die Union nicht im Begriff ist, sich von ihren geistigen Grundlagen vollständig zu lösen. Führt eine Addition dieser Vorkommnisse nicht zu der Einsicht, daß der christliche Wähler von der Union nicht mehr repräsentiert wird? Ockenfels: Für einen Christen kann es eine gänzliche Übereinstimmung mit einer politischen Partei nie geben, und zudem hat auch die Union niemals ganz und gar nur christliche Positionen vertreten. Die Union hatte von Anfang an einen eigenen Begriff von Christlichkeit, der zwar nicht im Widerspruch zu dem der Kirche stand, aber doch eine souveräne Eigenständigkeit erkennen ließ. Ich wäre also trotz aller Irritationen vorsichtig mit der Forderung nach einem endgültigen Bruch. Die Unionsparteien haben zwar die „Aufgabe“, christliche Positionen zu transportieren, sie selbst sind aber Parteien und nicht Bestandteil der Kirche. Die Christen müssen also um ihren Einfluß in den C-Parteien ringen, und dieser ist mal größer und mal kleiner. Auch nach Auffassung der Kirche sollen die Parteien autonome Institutionen sein, und die Prälaten auf keinen Fall das Geschäft der Parteipolitik betreiben. Die Union nun zum Ablegen des „C“ aufzufordern, würde bedeuten, jede weitere Möglichkeit zur Einflußnahme aufzugeben, und das halte ich für falsch. Kardinal Meisner hat diese Forderung bestimmt nicht ohne Bedacht gestellt. Es geht nicht um christliche Politik, sondern um die drohende, endgültige Aufgabe der christlichen Grundlagen der Union. Ockenfels: Das Problem ist, daß man von den C-Parteien nicht ernstlich erwarten kann, daß sie eine geistig-moralische Wende herbeiführen. Es ist eine klassische Aufgabe der Kirchen, im Volk die Voraussetzungen für eine bestimmte Politik zu schaffen. Es ist unredlich, allein die CDU/CSU für den Verlust der Wertschätzung der Ehe in Deutschland verantwortlich zu machen. Man kann von einer Partei nicht erwarten, daß sie Positionen vertritt, die im Volk keine Mehrheit mehr haben. Ehrlicherweise muß man also vor allem vom Versagen der Kirchen sprechen, statt vom Versagen der Union. Eine Partei bezieht sich auf im Volk vorhandene oder gewachsene Werte, sie kann sie nicht einfach selber herstellen oder verändern. Diesen Anspruch haben allerdings alle anderen Parteien, von den Liberalen bis zu den Kommunisten schon. Ockenfels: Es ist gerade das Gefährliche, wenn Parteien eine sinnstiftende, quasi religiöse Kompetenz für sich behaupten. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt, was daraus geworden ist. Denn bei den weltanschaulichen Ansprüchen bestimmter Parteien handelte es sich um politische Utopien und Ideologie-Konstrukte. Das aber ist nach konservativen oder christlichen Gesichtspunkten genau der falsche Weg. Die Werte einer Gesellschaft müssen aus deren Geschichte und Tradition hervorkommen und von der geschichtlichen Erfahrung bestätigt werden. Politische Parteien sind keine Ersatzkirchen mit absolutem Heilsanspruch – und die Kirchen keine Ersatzparteien zur Herstellung des Gemeinwohls. Dem Wähler aber gaukelt das „C“ vor, eine christliche Partei gewählt zu haben. Ist das nicht eine Art politischer Etikettenschwindel? Ockenfels: Tatsache ist, daß – sollte sich die Union, wie oft gefordert, wirklich des „C“ entledigen – damit die letzte Einflußmöglichkeit der Kirchen für christlich inspirierte Politik schwände. Tatsächlich ist es doch so, daß das „C“ heute kaum noch einen parteistrategischen politischen Nutzen bietet, sondern eher sogar eine Hypothek darstellt. Für ihr Festhalten an einigen christlichen Moralpositionen werden die Unionsparteien doch heute schon mit dem Vorwurf der Heuchelei behelligt, manchmal sogar mit dem Fundamentalismus-Knüppel geprügelt. Insofern finde ich es geradezu anerkennenswert, daß die Union nach wie vor beim „C“ bleibt. Allerdings, und da beginnt meine Kritik, muß sie dann auch konsequent sein, und darf nicht mit liberaler Beliebigkeit kokettieren. Wie soll man die Aussagen von Frau Reiche, in der Union habe man „Platz für die vielfältigsten Lebensformen“, werten? Bedeutet das im Klartext nicht das Ende der christlichen Familie als gesellschaftliches Leitbild? Ockenfels: Das ist richtig, aber man muß unterscheiden zwischen der Freiheit zu „vielfältigsten Lebensformen“ im Sinne, diese nicht zu diskriminieren – und dem gesellschaftlichen Leitbild, das heißt dem vom Staat besonders geförderten Familienbild. Wenn nun „vielfältigste Lebensformen“ nicht nur toleriert, sondern privilegiert, das heißt staatlich unterstützt werden, dann bedeutet das in der Tat eine Entwertung der christlichen Ehe und der auf ihr beruhenden Familie. Wie beurteilen Sie als Fachmann für Sozialwissenschaften das familienpolitische Programm der Union? Ockenfels: Familienpolitische Versäumnisse kann man allen Parteien vorwerfen, auch der Union. Alle Parteien reagieren erst jetzt mit ernsthaften Programmen. Und zwar auf Grund des Drucks, der vom Bundesverfassungsgericht und von einer Öffentlichkeit ausgeht, die den Wert der Familie inzwischen wieder höher einschätzt. Über 72 Prozent der Deutschen sehen, laut Statistik, die Familie als lebenswichtig an, und zwar vor dem Faktor Arbeit und sogar vor dem Faktor Freizeit! Wenn Sie aber das Programm der Union mit dem von SPD und Grünen vergleichen, dann trägt die Union dem Wunsch dieser Mehrheit doch in erheblich höherem Maße Rechnung. So setzt die SPD etwa, statt direkt die Familie zu fördern, doch eher auf Entlastung durch den Staat, zum Beispiel durch Ganztagsschulen und Betreuungsanstalten. Mit diesem Konzept ist aber Eltern, die ihre Kinder noch nach klassischem Muster, also selbst erziehen – und nicht nur betreuen lassen wollen – kaum geholfen. Hier werden die Eltern als Berufstätige unterstützt, nicht als verantwortliche Erziehungsberechtigte. Darin steckt übrigens nach meiner Meinung auch eine Diskriminierung der Mütter. Familienarbeit muß künftig auch ökonomisch aufgewertet werden. Denn da Mütter ihre Arbeit noch unentgeltlich machen, gilt diese gesellschaftlich nicht sonderlich viel. Dem muß begegnet werden. Sie vergleichen das Programm der CDU mit denen von Rot-Grün. Wie aber ist Ihr Resultat, wenn Sie das Programm an den rhetorischen Wahlkampfbekenntnissen der CDU messen? Ockenfels: Hier merkt man in der Tat das Wirken des Zeitgeistes in ganz erheblichem Maße, denn die Auflösungserscheinungen sind offenbar. Dem stehen zwar auch Initiativen wie etwa das Papier des Chefs der CDU-Werte-Kommission, Christoph Böhr, entgegen, das den Titel „Die neue Aktualität des christlichen Menschenbildes“ trägt. Ich befürchte aber, daß dieses vorzügliche Papier in der Partei nicht mehrheitsfähig ist. Es zeigt aber, daß christliche Argumente in der Union noch gehört werden. Die Diffamierung unbedingter Christen wird zunehmend bedrohlicher. Der Grünen-Politiker Volker Beck rückte das katholische Opus Dei in die Nähe islamischer Fundamentalisten und CDU-Mann Heiner Geißler sprach im Zusammenhang mit den Kritikern von Katherina Reiche von „religiösen Ajatollahs“ in der CDU. Müssen unbedingte Christen damit rechnen, daß ihre Überzeugungen in zwanzig bis dreißig Jahren als Extremismus eingestuft werden? Ockenfels: In der Tat wird die Situation für viele überzeugte Christen immer schwieriger. Allerdings muß man auch die Sphären unterscheiden, in denen sich Christsein zu bewähren hat. Während man im persönlichen Bereich als Christ natürlich gehalten ist, nach der Ethik Jesu zu leben, wäre ein Übertragung der Bergpredigt auf die politischen Strukturen eine völlige Verdrehung der Logik der christlichen Religion. Politik läßt sich nicht mit dem Unbedingten machen, ohne totalitär zu werden. Politik muß säkulare Gemeinwohlpolitik bleiben, bedarf aber andererseits – um nicht unmenschlich zu werden – der Bindung an christliche Grundwerte. An diese Verantwortung müssen aktive Christen die C-Parteien erinnern. moritz Schwarz Fototext: CDU-Chefin Angela Merkel beim Verband der Lesben und Schwulen in der Union (LSU), zusammen mit dem LSU-Vorsitzenden Martin Herdieckerhoff (September 2000): „Die Väter des Grundgesetzes drehen sich im Grabe herum“ Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels ist einer der profiliertesten katholischen Kritiker des Verlusts christ-licher Werte in der Gesellschaft. Der Dominikanerpater ist Professor für Christliche Sozialwissenschaften an der Theologischen Fakultät der Universität Trier und Chefredakteur der Zeitschrift Die Neue Ordnung in Bonn. Von 1979 bis 1982 war er Redakteur des Rheinischen Merkur. Die Berufung von Katherina Reiche ins „Kompetenzteam“ Edmund Stoibers bezeichnete er als „Kniefall vor der Liberalität“. weitere Interview-Partner der JF