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30 Jahre „Kampf der Kulturen“: Huntingtons Thesen: Immer Ärger mit den Nachbarn

30 Jahre „Kampf der Kulturen“: Huntingtons Thesen: Immer Ärger mit den Nachbarn

30 Jahre „Kampf der Kulturen“: Huntingtons Thesen: Immer Ärger mit den Nachbarn

Huntingtons Thesen vom „Kampf der Kulturen“ sind auch heute noch wichtig. Foto: picture alliance / Middle East Images | Mosab Shawer/ picture alliance/dpa/MAXPPP | Antonin Burat / Le Pictorium/ picture alliance / ZUMAPRESS.com | Andreas Stroh
Huntingtons Thesen vom „Kampf der Kulturen“ sind auch heute noch wichtig. Foto: picture alliance / Middle East Images | Mosab Shawer/ picture alliance/dpa/MAXPPP | Antonin Burat / Le Pictorium/ picture alliance / ZUMAPRESS.com | Andreas Stroh
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30 Jahre „Kampf der Kulturen“
 

Huntingtons Thesen: Immer Ärger mit den Nachbarn

Familie kann man sich nicht aussuchen, Multikulti-Gesellschaften auch nicht. Vor 30 Jahren zeigte der Politikwissenschaftler Samuel Huntington, warum Zivilisationen so schlecht miteinander auskommen – zumal unter Nachbarn.
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Vor fast 30 Jahren hatte der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel Huntington seine Thesen zum Kampf der Kulturen entwickelt. Er geht von der Existenz von bis zu acht Kulturen aus: dem Westen, der christlichen Orthodoxie, dem Islam, dem Hinduismus, der chinesischen und der japanischen Kultur, der lateinamerikanischen und – da war sich Huntington nicht ganz sicher – der afrikanischen Kultur.

Neben Sprache, Geschichte, Sitten und Gewohnheiten ist vor allem die Religion Huntingtons entscheidendes Abgrenzungskriterium, die offensichtlich nicht überall gleich gut als Abgrenzungskriterium taugt. Während man als Europäer oder Araber entweder Christ oder Muslim sein kann, aber kaum beides, findet man in Ostasien Menschen, die bei unterschiedlichen Gelegenheiten die Tempel verschiedener Religionen besuchen, etwa buddhistische, daoistische und konfuzianische in China oder buddhistische und schintoistische in Japan. Bei China bin ich versucht zu ergänzen, daß der offizielle Atheismus der kommunistischen Partei zumindest mit dem Konfuzianismus kompatibel zu sein scheint.

War Huntington ein verkappter Isolationist?

Nach Huntington ist künftig zu erwarten, daß kulturelle Unterschiede zwischen den Menschen das Risiko von Mißverständnissen, Konflikt und Gewalt wesentlich erhöhen. Diese Hypothese hat unter Intellektuellen nicht selten zu der ganz unpassenden Reaktion der moralischen Empörung geführt, statt sich der Wahrheitsfrage zu stellen. Huntington behauptet weder, daß unsere eigene (westliche) Zivilisation höherwertig als andere sei, noch daß man Menschen anderer Zivilisationen bekämpfen sollte.

Buchcover von „The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order“. Foto: Simon & Schuster
Buchcover von „The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order“. Foto: Simon & Schuster

Er behauptet nur, daß die Wahrscheinlichkeit von Mißverständnissen und Kämpfen bei Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Kulturen steigt. Seine Theorie impliziert deshalb sogar die politische Empfehlung, sich möglichst nicht in die Angelegenheiten anderer Zivilisationen einzumischen, weil man mangels Verständnisses der fremden Kulturen zu Fehlern neigen muß, Einmischung also nur selten die erhofften Ergebnisse erzeugen kann.

Historisch läßt sich der „Kampf der Kulturen“ leicht belegen

Es ist leicht, Illustrationen zugunsten von Huntingtons Theorie zu finden. In Europa bietet das nach dem Kalten Krieg zerfallende Jugoslawien Anschauungsmaterial für Kämpfe zwischen westlich orientierten Christen, den Kroaten, und orthodoxen Christen, den Serben. Es gab auch Kämpfe zwischen Serben und Muslimen in Bosnien und im Kosovo. Die Kämpfe und Vertreibungen nach der Teilung des britischen Kolonialreichs in Indien, auch die Kriege zwischen Indien und Pakistan und die wiederholten Aufstände der Muslime im indischen Teil Kaschmirs sind ebenfalls Beispiele, die gut zu Huntingtons Thesen passen. Man könnte noch die Verfolgung der muslimischen Uiguren in China nennen.

Die Theorie sagt darüber hinaus etwas über die Stabilität kulturell heterogener Gesellschaften aus. Nach der Niederlage des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg hatten Kemal Atatürk und seine frühen Nachfolger die Verwestlichung der Türkei betrieben. Lange Zeit hat die Auseinandersetzung zwischen säkular orientierten Kemalisten und Islamisten die Türkei destabilisiert. Demokratische Phasen wurden immer wieder durch militärische Machtergreifungen unterbrochen.

Beispiel: Syrien

Weil der Westen dem islamischen Kulturkreis in bezug auf Technologie, Wirtschaftskraft und Wohlstand überlegen ist, haben sich die herrschenden Eliten in manchen islamischen Ländern vom westlichen Säkularismus beeinflussen lassen. Das gilt auch für das Assad-Regime in Syrien. Das war zwar nie freiheitlich-demokratisch, aber eindeutig säkular und Gegner des politischen Islam, des Salafismus und Dschihadismus. Trotzdem hat der Westen am Anfang des Arabischen Frühlings mit den Gegnern Assads sympathisiert und dabei lange übersehen, daß nicht die winzige Minderheit freiheitlich-demokratischer Gegner Assads, sondern die vielen opferbereiten islamistischen Gegner Assads die besseren Durchsetzungschancen im politischen Kampf haben würden.

Ungewöhnlicher Friseurbesuch – mit der Waffe an der Wand im syrischen Aleppo. Foto: picture alliance/dpa | Anas Alkharboutli
Ungewöhnlicher Friseurbesuch – mit der Waffe an der Wand im syrischen Aleppo. Foto: picture alliance/dpa | Anas Alkharboutli

Zeitweise hatte dann der Islamische Staat große Teile Syriens (und des benachbarten Iraks) kontrolliert. Das illustriert, daß ein nach westlichen Maßstäben schlechtes Regime, wie das Assads, leicht durch ein noch schlechteres, wie den Islamischen Staat, ersetzt werden kann. Huntingtons Warnung vor Einmischung in fremde Kulturkreise, die wir seither nicht verstanden haben, hätte im Westen Beachtung finden sollen! Das hätte uns vielleicht auch den Flüchtlingsstrom aus Syrien nach Europa erspart. Dasselbe gilt für das langjährige Engagement des Westens in Afghanistan und die Flüchtlinge von dort.

Die Ukraine als drastisches Beispiel

Weil Huntington weder die russische Annexion der Krim 2014 noch den russischen Angriff auf die Ukraine 2022 erlebt hat, enthält sein Werk keinen Kommentar dazu. Aber für Huntington wie für Putin gehört die Ukraine größtenteils zum orthodoxen Kulturkreis oder zur russischen Welt. Man kann sich fragen, ob das auch für die Westukraine und vor allem den Bezirk um Lemberg beziehungsweise Lwiw gilt, der zeitweise österreichisch oder polnisch beherrscht war. Aus Huntingtons Perspektive hätte der in Aussicht gestellte Beitritt der gesamten Ukraine zur Nato oder Europäischen Union deshalb eine ganz andere Qualität als der schon vollzogene Beitritt des Baltikums. Vielleicht hätte Huntington davon abgeraten, um die Beziehungen des Westens zu Rußland nicht dauerhaft zu vergiften.

Das andere Gesicht des „Kampfes der Kulturen“ – eine zerstörte Kirche in der Ukraine. Foto: picture alliance / Anadolu | Patryk Jaracz
Das andere Gesicht des „Kampfes der Kulturen“ – eine zerstörte Kirche in der Ukraine. Foto: picture alliance / Anadolu | Patryk Jaracz

Systematische Untersuchungen dazu sind bisher entweder nicht eindeutig oder mit offensichtlichen Schwächen behaftet. Bis zur Widerlegung sollte man Huntingtons Thesen aber trotzdem ernst nehmen, wonach Konflikte zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen sowohl den Krieg zwischen Staaten als auch Konflikte innerhalb von Staaten fördern. Mit Huntington kann man auch den Terrorismus als eine Variante des Kampfs der Kulturen verstehen.

Kultur als kleines Zünglein am Gleichgewicht der Mächte

Huntington hatte für die inzwischen schon eingetretene Zukunft Konflikte zwischen der chinesischen und der westlichen Kultur erwartet. Mindestens so plausibel wie die Erklärung des Konflikts zwischen den USA und China durch kulturelle Differenzen ist allerdings der Verweis auf die Veränderung des Machtgleichgewichts, weil China zunächst an Wirtschaftskraft soweit zugelegt hat, daß es ein ernsthafter Herausforderer der USA geworden ist und künftig auch über die Mittel zum Aufbau einer entsprechenden Rüstung verfügen wird.

Zugunsten von Huntingtons Theorie kann man allerdings anführen, daß der Konflikt zwischen China und den USA beziehungsweise dem Westen nicht durch kulturelle Verwandtschaft gedämpft wird, wie es etwa beim weltwirtschaftlichen Machtwechsel von Großbritannien zu den USA Anfang des 20. Jahrhunderts der Fall war.

Der Islam als Belastungsprobe für den Westen

Huntington hatte auch schon geahnt, daß die in den 1990er Jahren schon lange bestehenden Spannungen und Konflikte zwischen der westlichen und der islamischen Kultur andauern würden. Es gab viele Vorläufer dieses Kampfs der Kulturen: die zeitweilige Eroberung von großen Teilen Spaniens und kurzfristig sogar von Südfrankreich im 8. Jahrhundert durch die Araber, dann die Kreuzzüge, später die lange spanische Reconquista und ein habsburgisches Äquivalent auf dem Balkan, die Eingliederung arabischer Länder in europäische Kolonialreiche, in letzter Zeit westliche Angriffe auf den Irak oder Libyen.

Weil Amerikaner oft auf die judäo-christlichen Wurzeln des Westens verweisen, sollte man auch Israel dem Westen zurechnen und kann dann von zumindest permanenten Spannungen zwischen dem Westen und dem islamischen Kulturkreis sprechen, die sich immer wieder auch in Kriegen entladen haben, vor allem zwischen Israel und arabischen Staaten.

Mindestens so problematisch wie die zwischenstaatliche Dimension des Kampfes zwischen dem Islam und dem Westen sind die Folgen der Migration. Vor allem aus den ehemaligen südasiatischen Kolonien sind Muslime nach Großbritannien ausgewandert, aus den ehemaligen französischen Kolonien im Maghreb nach Frankreich und später Muslime aus der Türkei nach Deutschland. Diese Massenmigration hat sich aus dem Arbeitskräftebedarf Westeuropas in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg und der Armut der Herkunftsländer ergeben.

Parallelgesellschaft a la Huntington

Zunächst erschien diese Zuwanderung von Gastarbeitern unproblematisch. Anfangs waren die Zahlen gering. Es gab noch nicht allzu viele wenig qualifizierte und gleichzeitig arbeitslose junge Männer unter den Zuwanderern in Europa mit der aus dieser Merkmalskombination resultierenden Gewaltbereitschaft.

Das änderte sich mit der zunehmenden Asyl- und Flüchtlingszuwanderung, die weder auf die Bedürfnisse der aufnehmenden Volkswirtschaften, noch auf die Integrationsbereitschaft der Zuwanderer abgestellt war. Die großen Zahlen machten außerdem eine Ghettobildung möglich, die den Integrationsdruck vor allem auf muslimische Frauen, die nicht außer Haus arbeiten, mildert. Die Hausfrau, die nebenan in arabischen oder türkischen Läden kaufen kann, muß nicht die Landessprache erlernen.

Die Motoren der Massenmigration

Weil muslimische Zuwanderer oft mehr Kinder als die Einheimischen haben, entwickelt die Zuwanderung eine demographische Wucht, die man in großstädtischen Schulen, in den Kriminalitätsstatistiken und Gefängnissen, bei terroristischen Angriffen auf den Straßen beobachten kann. Man kann darin Vorläufer eines Kampfes der Kulturen um die Macht in den Aufnahmeländern sehen oder auch Übergangserscheinungen in einer Integrationsphase.

Die offizielle Politik neigt zum Optimismus, weil man dadurch nicht die Qual der Wahl hat, entweder massenhaft verelendete Zuwanderer an den Grenzen der Europäischen Union oder des eigenen Landes abzuweisen oder langfristig die eigene westliche Identität und den inneren Frieden zu gefährden, spätestens dann, wenn annähernd gleich viele arme junge Muslime besser ausgebildeten und verdienenden, aber vielleicht weniger zur Gewalt bereiten jungen Alteuropäern gegenüberstehen.

Natürlich ist der sich möglicherweise in Europa anbahnende Kampf der Kulturen kein Kampf, bei dem irgend jemand die Migrantenströme in politischer Absicht nach Europa lenkt. Es hat zwar belarussische Versuche in diese Richtung gegeben, aber die spielten quantitativ keine Rolle. Vielleicht träumen auch irgendwo im islamischen Kulturkreis Theologen oder Intellektuelle in diese Richtung. Das dürfte ebenfalls belanglos sein.

Die Motoren der Massenmigration sind das Elend und eine junge Bevölkerung in vielen muslimischen Ländern, die Nachbarschaft zum viel reicheren Europa, die offenen Grenzen und der offene europäische Sozialstaat verbunden mit einer nicht funktionierenden Abschiebepraxis. Was ein Asylant oder Flüchtling ohne brauchbare Ausbildung etwa in Deutschland an Sozialleistungen erhalten kann, wird im Heimatland selbst mit harter Arbeit kaum erreichbar sein.

Der steigende Antisemitismus erwächst aus dem „Kampf der Kulturen“

Bei weiterer unkontrollierter, meist unqualifizierter Zuwanderung können die Probleme der europäischen Länder mit offenen Grenzen nur größer werden. Aber die meisten Politiker weigern sich schlicht, die Existenz von Problemen zuzugeben, weil man dann als Nationalist, Rassist, Extremist oder gar Nazi gebrandmarkt wird. Diese Denkverweigerung sieht man am deutlichsten dann, wenn man den Zusammenhang von muslimischer Zuwanderung und Judenfeindlichkeit oder Antisemitismus bedenkt.

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Nach meinem Eindruck ist der alte europäische Antisemitismus stark rückläufig. Aber der müde alteuropäische Antisemitismus wird durch den virulenteren Antisemitismus muslimischer Zuwanderer ersetzt. Wer in Anbetracht der deutschen Geschichte seine Solidarität mit den Juden im Lande und mit Israel bekundet, dürfte das nicht geschehen lassen. Oder sind unsere Politiker mit der Wahrnehmung des Problems schon überfordert?

Huntington folgen, Migration begrenzen

Wenn man Huntingtons Thesen zum Kampf der Kulturen ernst nimmt, dann ergeben sich Implikationen für die Migrations-, Asyl- und Flüchtlingspolitik. Wenn es zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen besonders leicht zu Mißverständnissen, Konflikt und Gewalt kommt, dann sollte man wissen, daß die massenhafte Aufnahme von Migranten aus fremden Kulturen leicht zu einer Herausforderung wird, die das Aufnahmeland überfordert.

Vielleicht war es deshalb nur realistisch, daß nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs in Europa die Aufnahmepflicht für Flüchtlinge zunächst nur für andere Europäer galt. Erst 1967 wurde der Schutzanspruch für Flüchtlinge universalisiert. Eine enge Aufnahmepflicht sollte man nicht mit einer eingebildeten Überlegenheit der eigenen Kultur begründen, aber kulturelle Unterschiede haben auch etwas mit Integrationstempo und Integrationschancen zu tun. Realitäten wie diese sollte man zur Kenntnis nehmen.

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Prof. Dr. Erich Weede, Jahrgang 1942, lehrte Soziologie an den Universitäten Köln und Bonn. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft. In der JF äußert er sich regelmäßig zu Fragen der Wirtschafts- und Geopolitik.

Aus der JF49/24.

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