In diesen Wochen des 60. Geburtstags der Bundesrepublik ist viel Rühmen und Lob, aber auch Selbstgefälligkeit um unsere zweite Republik. Gewiß, der Anfang war verheißungsvoll als Antwort der Gründergeneration auf die Katastrophe des NS-Totalitarismus. Es sollte eine freiheitliche Demokratie entstehen und der deutsche Kern- und Treuhandstaat den Auftrag erhalten, „die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden“.
Sicher, dieser Staat hat in seiner Bilanz wesentliche Erfolge nachzuweisen, den ökonomischen Wiederaufbau ebenso wie die Wiedergewinnung der staatlichen Einheit, wenn auch unter schweren Verlusten im Osten. Doch die historisch-politische Orientierungslosigkeit blieb beträchtlich. Man richtete das Augenmerk auf den Ausbau des Sozialstaates, der seit 1969 zum Versorgungsstaat einer Anspruchsgesellschaft auswucherte, auch um den Preis einer zunehmend galoppierenden öffentlichen Verschuldung. Zwanzig Jahr nach dem Ende des Nationalsozialismus spielte die 68er Bewegung ihr linkstotalitäres Spiel. Sie verschob die Koordinaten zu einer „antifaschistisch-demokratischen Ordnung“, und mit ihr begann das öffentliche Klima zunehmend konformistisch und „stickig“ zu werden, wie Eckhard Fuhr 1994 in der FAZ beklagte.
Nicht ohne Grund hat man von den 1968 als einer Art Umgründung der Republik gesprochen. Und es war kein Zufall, daß 1967 auch das Parteiengesetz der damaligen Großen Koalition dazugehörte, das den Parteienstaat etablierte als einen „Pakt“: Wohlstandserhalt der Gesellschaft gegen Machterhalt- und ausweitung der Parteien (R. von Weizsäcker). Über ihre „Mitwirkung“ am politischen Prozeß nach Artikel 21 des Grundgesetzes hinaus beanspruchten die Parteien nun die Gestaltung des Bürgerwillens und ihre Dominanz „in allen Gebieten des öffentlichen Lebens“. Den Endpunkt bildete schließlich die Einflußnahme selbst auf das Denken der Bürger mit den Instrumenten der Geschichtspolitik und der Political Correctness.
Im 60. Jahr der Bundesrepublik sind daher nicht nur Lob und Selbstlob am Platz, sondern auch sehr grundlegende kritische Überlegungen. Unsere parteienstaatliche Verfassungswirklichkeit ist eine massive Deformation der Demokratie und der Freiheit und damit eine Ursache ihrer Schwächen und Gefährdung. Ohne eine gründliche Besinnung auf die geistigen und moralischen Voraussetzungen des freiheitlichen Staates (E. W. Böckenförde) und ihre Erneuerung wird er keine Zukunft haben.
Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Hohenheim.