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Besserwisser lenken vom Thema ab

Besserwisser lenken vom Thema ab

Besserwisser lenken vom Thema ab

 

Besserwisser lenken vom Thema ab

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Zum Verständnis mancher Eigenheiten unserer immer üppiger wuchernden Dialogkultur sei an einen bedenkenswerten Vorschlag von Bert Brecht in einer seiner Keuner-Geschichten erinnert: „Ich habe bemerkt“, sagte Herr K., „daß wir viele abschrecken von unserer Lehre dadurch, daß wir auf alles eine Antwort wissen. Könnten wir nicht im Interesse der Propaganda eine Liste der Fragen aufstellen, die uns ganz ungelöst erscheinen?“ Selbst dann, wenn sie nachweislich keine Antwort wissen, behelfen sie sich mit einem journalistischen Taschenspielertrick. Sie lenken durch einige pfiffige Bemerkungen vom eigentlichen Thema ab und auf Nebensächlichkeiten hin. So hat man zum Beispiel bemerkt, daß Richard Wagner in seinen „Meistersingern“ die berühmte Fliederarie am Johannistag (24. Juni) singen läßt, zu einem Zeitpunkt also, zu dem auch im fränkischen Nürnberg der Flieder längst verblüht ist. Oder: Friedrich Schiller läßt Ende November einen Apfel vom Baum pflücken und von Wilhelm Tell mit einer Armbrust vom Kopf seines Kindes schießen — zirka hundert Jahre, bevor das als unritterlich geltende Kriegsgerät auch in der Innerschweiz verbreitet war. Um noch ein ganz aktuelles Beispiel anzufügen: Eine Diskussion in einer Talkshow zur besten Sendezeit über den gerade anlaufenden Baader-Meinhof-Film drohte auf eine ausführliche Erörterung der Frage hinauszulaufen, ob Andreas Baaders Lispeln auch im Film beachtet werden müßte. Immerhin hat der frühere SPD-Vorsitzende Jochen Vogel die Gesprächsrunde auf das eigentliche Thema zurückgelenkt. Jedermann kennt „Dialogpartner“ im Beruf oder im Privatleben, die nicht nur alles, sondern auch alles besser wissen. Ein sinnvoller Dialog mit Rede und Gegenrede und mit dem Respekt vor der Meinung des anderen ist damit nicht möglich. Man sollte meinen, daß sich diese Besserwisser gelegentlich auch einmal entschuldigen für nachweislich falsche Äußerungen, oder sich doch wenigstens etwas zurückhalten. Das trifft vor allem für die intellektuellen Sympathisanten des wissenschaftlichen Sozialismus zu. An sie hat offensichtlich Kurt Tucholsky gedacht, als er schrieb, „daß sie alles erklären, wie es kommen muß, und wenn es nicht so kommt, warum es nicht so kommen konnte“. Dafür stehen ihnen dann (fast) alle Titelseiten unserer Zeitungen und Zeitschriften und die Fernsehschirme zu Verfügung.   Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste Berlin.

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