Alle Jahre wieder ist die bewegte, allerdings kaum noch bewegende Klage zu hören, daß das Weihnachtsfest durch eine hemmungslose Kommerzialisierung seinen ursprünglichen Sinn verloren habe. Das soll zunächst einmal nicht bestritten werden. Die grüblerische Frage nach dem Sinn hat in Deutschland immer einen Sinn, auch im Blick auf das Weihnachtsfest. Die naheliegende Frage nach dem Sinn dieser Kritik wird allerdings immer seltener gestellt.
Die ideologischen Tugendwächter argumentieren bekanntlich sehr geschickt. Sie stellen die durchaus bedenkenswerte Frage, ob man angesichts des Elends in aller Welt guten Gewissens "fröhliche Weihnachten" feiern könne und ob man die Ausgaben in Milliardenhöhe für "sinnlose" Weihnachtsgeschenke nicht sinnvoller zur Behebung sozialer Notstände ausgeben sollte. In ungezählten Aufrufen aller möglichen Wohlfahrtsverbände (mit anliegenden Überweisungsträgern) werden wir seit Wochen belehrt, welche Wohltaten man bereits mit einer Spende von 5 oder 10 oder 20 Euro finanzieren könne.
Wer möchte dagegen etwas einwenden? Allerdings sollte der Einwand erlaubt sein, daß ideologisch motivierte Kritik am weihnachtlichen "Konsumterror" nur sehr bedingt etwas mit der Rückbesinnung auf den Sinn der Weihnachtsbotschaft des Neuen Testaments zu tun hat. Sie lautet bekanntlich nicht: "Siehe, ich verkündige euch große Nöte und Sorgen", obwohl es dafür reichlich Veranlassung zur Zeit der Geburt Jesu gegeben hat. Man denke nur an das unsoziale Verhalten (mit Anmutungen von Fremdenfeindlichkeit) der Hausbesitzer gegenüber Maria und Joseph, an die Hirten auf dem Felde, Angehörige der damaligen Unterschicht, oder an Herodes, der im politischen Interesse des Machterhalts alle männlichen Kleinkinder ohne Rücksicht auf den demographischen Faktor ermorden läßt. Dennoch verkünden die Engel "große Freude, die allem Volke widerfahren soll" – also nicht nur einem Volk oder einer sozialen Randgruppe mit Migrationshintergrund oder einer ethnischen Minderheit. Diese Botschaft verkündeten die Engel und Hirten, und diese Botschaft verbreiteten die Hirten nach allem, was sie gehört und gesehen hatten. Von neuen Lösungen der damaligen politischen Probleme ist in der Weihnachtsbotschaft keine Rede, sondern allein von der Erlösung der Menschen durch Jesus Christus. Diese Botschaft vermittelte damals wie heute Orientierung, Hoffnung und Zuversicht – kurzum: Große Freude!
Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste Berlin.