Da die Wachstumsschwäche unserer Volkswirtschaft ungebrochen ist, sind und bleiben sinkende Reallöhne die wesentliche Voraussetzung steigender Unternehmensgewinne. Nicht immer läßt sich jedoch eine betriebliche Krise als Anlaß für einen Verzicht der Beschäftigten finden oder erfinden. In vielen Fällen kann man sie nur schlechterstellen, in dem man ihnen für den gleichen Lohn mehr Arbeit abverlangt. Auch dies stellt sich aber in der Theorie oft einfacher dar, als es dann in der Praxis umzusetzen ist. Feiertage sind nicht mir nichts, dir nichts zu streichen, und die Arbeitnehmer scheinen in ihrem eigennützigen Aufbegehren gegen die Notwendigkeiten einer funktionierenden Marktwirtschaft nur selten gewillt zu sein, über die von ihnen bereits jetzt geleisteten durchschnittlich 41 Wochenstunden hinaus noch mehr Lebenszeit in den Wohlstand der Kapitaleigner zu investieren. Also, so hat wohl Norbert Walter, einer von etwa einem Dutzend Chefvolkswirten der Deutschen Bank, gefolgert, muß man andere Wege ersinnen, um der im Prinzip ja allgemein als legitim anerkannten Umverteilung von unten nach oben einen neuen Schub zu vermitteln. Seine Idee: Die Zeit, die Arbeitnehmer für Zigaretten- oder vielleicht auch Teepausen aufwenden, sollte ihnen in Zukunft nicht mehr bezahlt werden. Relevante Kosteneinsparungen ließen sich dadurch erschließen: Ein Raucher, der pro Stunde für fünf Minuten die Arbeit ruhen läßt, um seiner Sucht zu frönen, hätte über das Jahr gerechnet auf einen ganzen Monatslohn zu verzichten. Oder er müßte halt, um diesen Vorschlag hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Fuchs die Anregung Norbert Walters ergänzt, die Zeit, die er seiner Firma gestohlen hat, nacharbeiten. So groß die Empörung über diesen Vorstoß auch ist, so kläglich sind die Argumente, die gegen ihn ins Feld geführt werden. Dem sogenannten Arbeitnehmerexperten der SPD, Ottmar Schreiner, etwa ist nichts besseres eingefallen, als darauf hinzuweisen, daß produktiver ans Werk geht, wer „entspannt“ ist. Das mag durchaus zutreffen, doch widerspricht es der Logik unserer Ökonomie nun einmal, jene, die die Menschen abnutzen, auch für ihre Regenerierung in die Verantwortung zu nehmen. Bislang ist jedenfalls noch niemand auf die Idee gekommen, das Ausschlafen am Wochenende als zu entlohnende Arbeit zu werten. Statt sich über Norbert Walter zu echauffieren, sollte man seinen Vorschlag lieber weiterdenken: Sind Rauch- oder Teepausen denn wirklich der einzige Müßiggang am Arbeitsplatz? Sollte man nicht auch die Auszeiten in Gestalt von Toilettengängen, Smalltalk im Kollegenkreise sowie privaten Telefongesprächen und E-Mails lohnmindernd zur Geltung bringen? Oder das Nichtstun auf Geschäftsreisen – im Zug, im Auto oder im Flugzeug? Vor allem aber sollte man die sogenannten Denkpausen vom Lohn abziehen. Sie beweisen nämlich, daß man seinem Job eigentlich gar nicht gewachsen ist.