Wenn Kati Witt am 3. Oktober auf RTL die umstrittene DDR-Nostalgie-Show moderiert, lastet auf ihr eine Verantwortung, wie sie zuletzt wohl Günther Schabowski auf seiner unvergessenen Pressekonferenz getragen hat. Man kann die Vergangenheit, die sie an diesem Abend heraufbeschwören wird, nicht einfach unbeteiligt genießen, so wie man sich vielleicht über Galaprogramme amüsiert, die mit den überlebenden Stars westdeutscher Unterhaltung längst vergangener Jahrzehnte noch einmal vor Augen führen, was damals in Musik, Mode und Design auszuhalten war. Man wird vielmehr unweigerlich daran erinnert, mit welchen frohen Erwartungen der mißratene Staat zwischen Elbe und Oder zu Grabe getragen wurde – und was aus diesen Hoffnungen dann geworden ist. Seit dem Ende des Sozialismus nimmt die Klassengesellschaft der Bundesrepublik mehr und mehr Konturen an. Früher tat man vieles, um ihren Charakter zu verbergen. Heute traut man sich endlich zu, die Schutzgeldzahlungen an die Massen einzustellen. Für viele Alt-Bundesbürger kommt diese Entwicklung überraschend. Sie haben geglaubt, daß ihr System im Kern nicht so wäre, wie es die dick aufgetragene Propaganda von drüben behauptete. Die Menschen hingegen, die mit der einstigen DDR-Indoktrination groß geworden sind, dürften, sofern sie diese nicht gänzlich vergessen haben, nun besser auf unsere gemeinsame Zukunft vorbereitet sein. Ihr Wissensvorsprung sollte Pflichten nach sich ziehen. Unser Gemeinwesen stellt bekanntermaßen den Einzelnen in den Mittelpunkt. So etwas kann nur Bestand haben, so- lange nicht auch dieser Einzelne selbst sich für den Maßstab aller Dinge hält. Die DDR-Bürger von einst können daher nicht ohne weiteres das Recht beanspruchen, uneingeschränkt an Momente ihres Lebens zurückzudenken, bloß weil sie diese subjektiv als schön wahrgenommen haben. Sie sollten zunächst in sich gehen und sich fragen, ob es nicht gegen sie spricht, daß sie Freude empfanden, obwohl sie doch gar nicht frei waren? Wer unbelastet von dieser grundsätzlichen Scham ist, zeigt, daß er in der Bundesrepublik nicht so angekommen ist, wie er es eigentlich sein sollte. Die Freiheit ist ein Wert, auf dessen Wertschätzung es gerade in der neuen, fälschlicherweise als Krise angesehenen Normalität ankommt. Die Freiheit ist das, was den Massen bleibt, wenn es all jenes, was sonst noch ihre Lebensqualität ausmachte, nicht mehr gibt. Die Freiheit ist nämlich auch da, wo keiner mehr die Mittel hat, etwas aus ihr zu machen. Jede noch so private Erinnerung an eine Zeit, in der überlebte Werte wie soziale Sicherheit und eine humane Arbeitswelt mit Unfreiheit erkauft wurden, hat daher zu unterbleiben. Kati Witt muß am 3. Oktober vor die Kamera treten und sich für alles entschuldigen, was sie hingenommen hat. Danach hat der Bildschirm schwarz zu bleiben. Die DDR-Nostalgiker sollten das tun, was sie immer schon getan haben: schweigen.