Als Pädagoge ist man von einem solchen Vorschlag zunächst unangenehm berührt, denn Erziehung und Bildung können eigentlich nicht gedeihen in einem Umfeld von Mißtrauen und Überwachung. Zugleich aber darf man vermuten, daß täglich rund 100.000 Schüler die Schule schwänzen. Darunter sind viele, die es einmal und nicht wieder tun; darunter sind manche, die Angst vor einer schulischen Prüfung haben; darunter sind aber auch junge Leute, die die Schule schwänzen, weil sie alleine oder mit einer Clique „auf Tour“, zum Beispiel auf Diebstahlstour gehen wollen. Was die Schulängstlichen betrifft, so hilft nur ein sensibles Einwirken von Eltern, Mitschülern, Lehrern und Schulpsychologen auf die Betreffenden. Was die schwänzenden sowie Kaufhäuser und Spielhallen frequentierenden jungen Leute betrifft, so ist die Problemlage eine andere. Hier muß es darum gehen, andere und auch die potentiellen Täter selbst vor kriminellen Handlungen zu schützen. Es ist schließlich bekannt, daß so manche einschlägige „Karriere“ mit Schuleschwänzen, Schulversagen und Kaufhausdiebstahl begann. Hier gilt es zu handeln, aber hier sind die Schulen samt Jugendämtern alleine überfordert. Erfolgreich freilich – und das auch ohne Fußfesseln – verläuft ein Modellprojekt im Großraum Nürnberg/Fürth: Dort kontrollieren Polizisten gerade auch vormittags Kaufhäuser auf herumstreunende Schüler. Der Erfolg gibt dem Projekt recht: Die Zahl der notorischen Schwänzer ist deutlich zurückgegangen. Elektronische Fußfesseln können nur das letzte Mittel sein – nämlich dann, wenn ein junger Mensch bereits eine entsprechende Vorgeschichte „hingelegt“ hat. Und auch dann müssen Vorteile und Nachteile solcher Fesseln im – hoffentlich seltenen – Einzelfall erst äußerst sorgsam zwischen Pädagogen und Psychologen einerseits sowie Justiz und Polizei andererseits abgewogen werden. Josef Kraus ist Oberstudiendirektor und Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Aus Sicht der Eltern macht dieser Vorschlag überhaupt keinen Sinn! Erforderlich sind vielmehr gezielte Maßnahmen zum Ausgleich von sozialen und anderen Nachteilen von Beginn der Grundschule und früher. Nur so können wir erfolgreich verhindern, daß unser Nachwuchs bereits in den ersten Schuljahren die Lust am Lernen verliert und die Schule als „Gefängnis“ betrachtet. Nicht erst die Pisa-Studie hat uns bescheinigt, daß ein Viertel eines Schülerjahrgangs in Deutschland nach Ende der regulären Schulzeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt und erst recht auf dem internationalen Arbeitsmarkt ohne jede Chance ist. Zwar bessern wir mit teuren Mitteln nach, doch ein rechtzeitiger gezielter Mitteleinsatz würde unterm Strich die bessere und außerdem kostengünstigere Maßnahme sein. Wir haben hier bei uns in Berlin in allen Bezirken sehr gute und vor allem zielgerichtete Maßnahmen zur Wiedereingliederung von „schuldistanzierten“ Jugendlichen laufen, die mit ausgezeichneten Erfolg diese Klientel doch noch zu einem Abschluß befähigen. Anstatt hier über weitere Zwangsmaßnahmen zu diskutieren, sollten die Verantwortlichen besser die ohnehin schon zu geringen Mittel für solche Projekte aufstocken. Wenn die Politik in den vergangenen Jahren nicht die Mittel für pädagogisch bewährte Jugendprojekte fast auf Null heruntergefahren hätte, hätten viele dieser Kinder rechtzeitig aufgefangen werden können und damit etliche kriminelle Karrieren gestoppt werden können, bevor sie überhaupt begonnen hätten. Wenn hier über Sanktionen geredet werden soll, dann müssen wir doch wohl zuerst über die Erziehungsberechtigten reden und wie diesen geholfen werden kann, ihrer Erziehungspflicht angemessen nachzukommen. Peter Wisniewski ist Mitglied im Vorstandes des Bundeselternrates und Vorsitzender des Landesschulbeirates Berlin.
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