Der Zusammenhang zwischen Geschichtsbild und Identität einer Gemeinschaft ist auch Thema der jüngsten Ausgabe von Pobl Vreizh– Le Peuple breton – „Das bretonische Volk“. In den Hauptbeiträgen geht es um den französischen Schulunterricht und die Lehrveranstaltungen der Universitäten, die der Geschichte der historischen Provinzen nach wie vor keinen Raum bieten.
Le Peuple breton ist die traditionsreiche Zeitschrift von Unvaniezh Demokratel Breizh –Union Democratique Bretonne (UDB), der stärksten autonomistischen Gruppierung der Bretagne und Repräsentantin der „bretonischen Linken“. Das heißt, man vertritt auf den meisten Feldern Positionen wie die gesamtfranzösischen Kommunisten und Sozialisten, aber ergänzt um die Forderung nach mehr Selbstbestimmung für die Bretagne.
Vieles wirkt zahnlos
Angesichts der schon sehr weitgehenden Regionalisierung, der Zulassung von Zweisprachigkeit im öffentlichen Raum, der staatlichen Förderung von Kulturinitiativen, insbesondere des Bretonischunterrichts vor Ort und der allgemeinen Hebung des Lebensstandards wirkt davon allerdings vieles zahnlos. Nur punktuell – etwa beim Kampf um die „Wiedervereinigung“ der Bretagne mit dem Gebiet um Nantes – gelingt der UDB eine breitere Mobilisierung, und nur im zeitweiligen Bündnis mit den Grünen erreichte sie einen Stimmenanteil von zehn Prozent und darüber bei Wahlen innerhalb der Bretagne. Vor allem ist sie in lokalen Gremien vertreten und kooperiert mit anderen Regionalisten – Korsen und Okzitaniern vor allem – innerhalb Frankreichs wie auf europäischer Ebene.
Besonders bitter traf den UDB deshalb bei den Europawahlen 2014, daß die von ihr mitgetragene Liste Régions et peuples solidaires nur knapp ein Prozent der Stimmen erhielt, während der sozialliberal, aber auch sehr stark ökologisch orientierte Mouvement Bretagne et Progrès (seit neuestem Breiz War Raok! – Pour la Bretagne!) drei Mal so viele Voten auf sich vereinigen konnte. Zusammen sind diese beiden linken Gruppierungen heute die eigentlichen Träger von „Emsav“, der „Bewegung“. Als dritte könnte man den deutlich schwächeren Strollad Breizh – Parti Breton nennen, der allerdings nicht nur autonomistisch ist, sondern eine unabhängige bretonische Republik erstrebt.
Nicht nur Region, sondern Nation
In seinen Reihen beruft man sich darauf, daß die Bretagne eine Nation sei, nicht nur eine Region oder Provinz oder ein Stamm. Eine Behauptung, die auch sonst nur eine Minderheit innerhalb der bretonischen Bewegung vertritt. Gemeint sind damit die Separatisten. Die auf der Linken, vor allem um die Gruppe Emgann – Combat, die radikale Strömungen fortsetzt, die seit den 1970er Jahren zum Teil mit Gewalt eine Losreißung der Bretagne von Frankreich erstrebt haben, und auf der Rechten um die Partei Adsav – Renaissance, die mit ihren Propagandaformen bewußt an den bretonischen Nationalismus der Zwischenkriegs- und Besatzungszeit anknüpft.
Typisch für die weltanschaulichen Mischverhältnisse in regionalistischen Bewegungen wie der bretonischen ist allerdings, daß der Gründer von Adsav, Ronan Le Gall, zu den Veteranen des Front pour la Libération de la Bretagne (FLB) – der „Befreiungsfront der Bretagne“ gehörte. Der FLB war eine Art bretonischer IRA (suchte allerdings Todesopfer zu vermeiden), und Le Gall vertritt mit Vehemenz die Auffassung, daß er seine – linksnationalistischen – Positionen nicht geändert habe, als er sich zur Organisation einer neuen – rechtsnationalistischen – Partei entschloß.
Stolz und Lebenskraft
Von den Nationalisten ist mehr oder weniger deutlich eine Fraktion von „Nationalen“ innerhalb von Emsav zu scheiden. Dazu gehören die Erben des großen Föderalisten Yann Fouéré, die dessen Zeitschrift L‘ Avenir de la Bretagneam Leben halten und momentan sehr intensiv das Beispiel der Katalanen diskutieren, während im Mittelpunkt des gerade erschienen Bandes Perspectives pour la Nation Bretonne von Emile Granville das Muster des Baskenlandes steht.
Granville geht es aber in erster Linie darum, für die Bretagne eine Antwort auf die Frage Ernest Renans zu geben: „Qu’est-ce qu‘ une nation?“ – „Was ist eine Nation?“. Der Verweis auf das „tägliche Plebiszit“ genügt dabei nicht, sondern, wie Renan bemerkte, es ist nötig, sich der großen Taten der Vergangenheit zu erinnern und aus dieser Erinnerung jenen Stolz abzuleiten, der die Lebenskraft einer Nation ausmacht.
– – – – –
Teil eins der Bretonischen Skizzen lesen Sie hier.
Zum zweiten Teil geht’s hier.
Teil drei finden Sie hier.
Teil vier können Sie hier lesen.