Es war am frühen Morgen des 18. Oktober 1913, als sich die Gruppe Männer feierlich versammelte. Dort weit oben standen sie, schweigend, ganz in Schwarz gekleidet, mit Zylinder und Frack, lediglich ihre weißen Handschuhe spiegelten das Licht der aufgehenden Sonne. Dort weit oben über der Stadt standen sie, die deutschen Freimaurer, und weihten ihren Tempel. Denn es war ihr Tempel, das Völkerschlachtdenkmal zu Leipzig, es war ihr Werk.
Die Freimaurer, weit oben über der Stadt, nur den Himmel über sich, gedachten sie der Gefallenen, die sich für Deutschlands und Europas Freiheit geopfert hatten. Sie sprachen die überlieferten Worte, führten die überkommen Handlungen aus. Die Hand schwang den Hammer, der Hammer traf den Stahl, Stahl schlug auf Granit. So wie der Meißel den stummen Stein öffnete, so soll sich auch der verstockte Mensch dem Geist der Erkenntnis öffnen.
Ein langer Weg war es bis hierher. Bereits unmittelbar nach der gewaltigen Schlacht, die das Schicksal Europas entschied, wurde die Forderung nach einem monumentalen Denkmal für die fast hunderttausend Toten laut. Doch nicht zuletzt deutsche Eigenbrötlerei verhinderte immer wieder den Bau. Erst durch die schier übermenschliche Anstrengung des Architekten Clemens Thieme, der eine deutschlandweite Begeisterung für die Sache entfachte, wurde dieser buchstäblich aus dem Boden gestampft.
Ein verärgerter Kaiser
Reichlich verärgert soll Kaiser Wilhelm II. gewesen sein, weil Thieme bei der anschließenden, offiziellen Einweihungsrede nicht ihn persönlich begrüßte. Eine Respektlosigkeit, wie er fand. Wußte er doch nicht, daß er Teil eines noch immer andauernden Freimaurerritus war. Hier aber, in dem einer altägyptischen Tempelanlage nachempfundenen Bau, waren sie alle tatsächlich nur ein einig Volk von Brüdern und Schwestern. So aber sprach Bruder Thieme zu den Anwesenden:
„Deutsche Brüder, deutsche Schwestern!
Wir treten im Beten vor Gott den Gerechten!
Sinn und Gemüt bewegt die Stimme der Weltgeschichte, des Weltenlenkers. Denn heute vor hundert Jahren erbrausten um diese Stunde über dieses Blachfeld die Donner des Weltgerichtes.
Wir treten im Beten vor Gott den Gerechten, die deutschen Fürsten und das deutsche Volk, innig verbunden durch das Band gegenseitiger Liebe und Treue. Wir beugen in Demut unsere Knie vor dem Allmächtigen, der vor hundert Jahren die Waffen der Verbündeten segnete und ihnen den Sieg verlieh im Kampfe um die Freiheit des heißgeliebten Vaterlandes. Gott war gerecht, Gott war mit uns, Gott machte uns frei! Er erleuchtete die Herzen der Deutschen, er führte die Scharen zur Erhebung und zum Siege, ihm sei die Ehre! Unvergänglich stehe da oben die Inschrift: Gott mit uns!“
Und weiter heißt es in den Erinnerungen Thiemes, die 1913 unter dem Titel „Dichtung und Wahrheit“ veröffentlicht wurden:
„Dem Werden des deutschen Reiches ging ein Werden des deutschen Volkes voraus, und hier ist die Geburtsstätte, heute der Geburtstag.
Hundert Jahre sind in das Meer der Vergangenheit dahingeflossen, vieles ist in das Meer der Vergessenheit gesenkt worden, doch das Andenken an die Leipziger Schlacht und an die Helden der Befreiungskriege bleibt bestehen.
In dem Herzen des Volkes erwuchs ihnen ein dauerndes Denkmal der Erinnerung, ein lebendiges Ehrenmal deutscher Dankbarkeit. Deutschland vergißt seine Helden nicht.“
Nach einer Würdigung der Gefallenen für ein freies Deutschland, für ein befreites Europa, für ein geeintes Reich, beschließt Thieme seine Ansprache mit den Worten:
„Eingedenk dieser Mahnung weihe ich dieses Denkmal den Manen der großen Zeit, daß die Väter in den Söhnen leben!
Uns so legen wir als treue Söhne des Vaterlandes heute am Hundertjahrestage der Völkerschlacht im Geiste der Väter auf’s neue das heilige Gelöbnis ab: Treu und fest im Glauben an den allmächtigen Gott, treu und fest zu sein im Wirken für das deutsche Vaterland, treu und fest zu sein in der Liebe zum angestammten Fürstenhause, zum Kaiser und zum Reiche! Dazu verhelfe uns der Gott, der mit unsern Vätern war! Amen!“