BERLIN. Der größte Lichtblick des Kanzler-Duells war nicht Angela Merkel oder Peer Steinbrück, sondern Stefan Raab. Der Krawallmoderator von Prosieben hat sich dem deutschen Publikum als hartnäckiger Nachfrager präsentiert, als jemand, der seine Aufgabe ernstnimmt. Die Amtsinhaberin und der Herausforderer lieferten nur den üblichen Schaukampf, ohne echte Begeisterung auszulösen. Von den anderen drei Journalisten (Peter Kloeppel, Anne Will, Maybritt Illner) ganz zu schweigen.
Von den vier Moderatoren stach Stefan Raab besonders hervor, weil er Dinge fragte, mit denen die Politiker sonst nie konfrontiert werden: „Warum machen Sie nicht ab sofort keine Schulden mehr?“
Angela Merkel schaute sichtlich verwirrt, hatte mit dieser Frage nicht gerechnet. Es gehört zum Repertoire eines jeden Berufspolitikers, eine schuldenfreie Zukunft zu versprechen, was nie wirklich ernst gemeint ist.
Schuldenfrei ab 2015?
„Wir haben uns wirklich vorgenommen, ab 2015 Schulden zurückzuzahlen“, antwortet sie etwas gequält. Und Peer Steinbrück, der sie an dieser Stelle festnageln könnte? Als er noch Finanzminister war (bis 2009), hatte er einen ausgeglichenen Haushalt für 2010 angekündigt. Steinbrück schweigt daher lieber. Er läßt sie sogar davonkommen, als sie sagt, ihre Regierung habe „nur 100 Milliarden“ neue Schulden gemacht, dies sei ein „sensationelles Ergebnis.“ Sensationell ist höchstens, daß Politiker aller Schattierungen selbst in den besten Boomjahren mit Rekordsteuereinnahmen es immer noch schaffen, mehr auszugeben als sie einnehmen.
Es sind diese Spielchen, die das Publikum auf Dauer zu Tode langweilen. Politiker versprechen sinkende Steuern, schuldenfreie Haushalte, höhere Löhne, bessere Bildung, weniger Regen – und am Ende merken die Bürger, daß die Versprechen nichts wert sind und daß sie ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen müssen, wenn sie es besser haben wollen.
Wenig Polarisierungt möglich
Da reduziert sich ein solches Duell schnell auf die Farbe einer Krawatte oder die Originalität einer Halskette. Zu viel Make-Up hier, ein Versprecher dort. Ansonsten: Früher war mehr Unterschied. Merkel und Steinbrück waren inhaltlich so nah beieinander, daß erst recht wenig Polarisierung möglich war. Sie eine linke Christdemokratin, er ein rechter Sozialdemokrat. Beide waren schon einmal Kabinettskollegen. Unter anderen Umständen würde es heißen, es passe kein Blatt zwischen die zwei.
Beim Thema Maut war es wirklich so. Merkel sagt, die von ihren bayerischen Freunden geplante Abgabe sei „europarechtlich schwierig“. Steinbrück antwortet Klartext: „Maut geht gar nicht.“ Und plötzlich sieht Angela Merkel ihre Felle davonschwimmen, weil sie so herumgeeiert hat, und bekräftigt schnell noch, daß sie auch ganz sicher keine Maut will: „Ich will die Autofahrer nicht weiter belasten.“ Da stimme sie „Herrn Steinbrück sehr zu“. Ein peinlicher Moment, auch für den Zuschauer.
Beide sitzen im gleichen Boot
Aber Steinbrück braucht nur Sekunden, um in das gleiche Fettnäpfchen zu treten. Nach der Maut geht es um die Eurorettungspolitik. Hier gilt natürlich auch: Beide sitzen im selben Boot mit Kurs auf den Brüsseler Einheitsstaat und totale Haftung für alle südeuropäischen Schulden. Steinbrück sieht schließlich eine aus dem Marschallplan erwachsene „europapolitische Verantwortung“ und bettelt dann in beleidigtem Ton um Merkels Anerkennung für die Zustimmung der SPD zu den diversen Rettungspaketen: „Wir haben Ihnen geholfen bei der Zweidrittelmehrheit, und jetzt beklagen Sie die mangelnde Zuverlässigkeit der Sozialdemokraten.“ Peinlich, peinlich, peinlich.
Wer jetzt noch vor dem laufenden Apparat sitzenblieb, und das waren rund 12 Millionen Deutsche (oder Menschen, wie Angela Merkel sagen würde), der erlebte eine Debatte, die vor sich hin plätscherte. Das lag auch daran, daß Raab nicht mehr so oft zu Wort kam und die beiden Kontrahenten nur selten aufeinander eingingen. Das Duell war mehr wie zwei parallel geführte Einzelinterviews. Merkel agierte professioneller als früher, wo sie sich immerzu verhaspelt hatte. Aber sie war schnell aus dem Konzept zu bringen und fuhr deswegen jedem Moderator über den Mund, der eine Nachfrage stellen wollte. Das kam beim Zuschauer nicht gerade sympathisch an.
Pensionäre gegen Rentner ausspielen
Sie versuchte es wiedergutzumachen, als das Thema auf die Pensionen kam. Steinbrück sagte verklausuliert, daß Pensionen nicht weiter so stark steigen dürften. Merkel erkannte ihre Chance und sprach die Polizisten, Justizvollzugsangestellten und anderen öffentlich Bediensteten ihre Unterstützung aus, denn diese hätten ja „sehr kleine Gehälter“. Die Wahrheit ist: Beide wissen, daß die Kosten für den überbordenden Beamtenapparat bald alle öffentlichen Haushalte sprengen werden, aber darüber wurde genau so wenig gesprochen wie über die Finanzierung der südeuropäischen Schulden, für die die deutschen Steuerzahler bald werden aufkommen müssen. Dafür hatten beide augenscheinlich keine Ahnung davon, daß auch Renten zu versteuern sind. Kein Wunder, für beide ist das Thema fernab ihrer „Lebenswirklichkeit“, da sich beide auf eine gewaltige Politikerpension freuen dürfen und von normalen Renten nichts wissen.
Auch beim NSA-Skandal nichts Neues: Merkel betonte, Datenschutz müsse gewährleistet werden und tat so, als wäre ihre eigene Regierung frei von Schuld, als gäbe es keine Bestandsdatenauskunft, keine Google-Zensur und keine digitale Bespitzelung, für die deutsche Behörden zuständig sind. Von Peer Steinbrück erfuhr der Zuschauer, daß Edward Snowden in Deutschland kein Asyl beantragt habe und daß deswegen diese Frage nicht zu Debatte stehe. Eine glatte Lüge.
Sein Abschlußstatement verdeutlicht jedoch noch einmal, warum Steinbrück vielen Deutschen nicht ganz geheuer ist. Er spricht sich dagegen aus, daß die Steuerzahler für die Zockerei von Bankern haften müssen. So wie seine blaue Krawatte wird dies als unterschwelliges Angebot an die potentiellen Wähler der Alternative für Deutschland angesehen. Eigentlich warten die Deutschen auf einen Kanzlerkandidaten, der genau das verspricht.
Steinbrück, der Bankenretter
Aber war da nicht etwas? Richtig. Es war Steinbrück, der 2008 die Mutter aller Rettungsschirme aufgespannt hat. Als Finanzminister sicherte er mit Milliarden aus Steuergeldern die angeschlagenen Banken wie IKB oder HRE. Und nicht nur das. Steinbrück preist diese Tat seitdem als eine der größten und wichtigsten Entscheidungen seiner Amtszeit. Selbstredend hat er mit seiner Partei auch allen Eurorettungspaketen zugestimmt.
Und dieser Mann verspricht nun, keine weiteren Garantien für Pleitebanken abzugeben? Das ist nicht glaubwürdig. Wohl auch deswegen konnte Steinbrück am Ende nur einen leichten Vorteil aus dem TV-Duell für sich verbuchen. Er hat die bessere Figur gemacht, aber nicht so, daß er der Amtsinhaberin den Rang abgelaufen hätte. (rg)