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Studienzentrum Weikersheim, Burg Lichtenberg

Alles schnuppe

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Weißmann, Reich, Republik, Nachkriegsrechte

Dicke Luft herrschte in den Redaktionsräumen des Boulevardblattes schnuppe. Der Chefredakteur Thorsten Pfingsthorn hatte wieder einmal schlechte Laune, und die bekam jeder zu spüren – ganz besonders die Assistentinnen und Praktikantinnen, die für wenige hundert Euro im Monat und die geringe Aussicht, eines Tages vielleicht eine feste Stelle zu ergattern, seine Stimmungsschwankungen jeden Tag ertragen mußten. „Dieser alte Sack!“ hatte er in der Redaktionskonferenz gebrüllt, „na warte, dem würgen wir eins rein – denkt euch mal eine schöne Geschichte aus!“

Damit war er eilig in seinem Büro verschwunden und grübelte, wie er dem Fraktionsvorsitzenden der Frei Käuflichen Partei (FKP), Heiner Onkele, einen stattlichen Dämpfer nach dem überraschend guten Landtagswahlergebnis verpassen könnte. Dabei hatte alles schon so gut ausgesehen! Die kleine, einstmals liberale Partei lag deutlich unter fünf Prozent, ein Sieg der oppositionellen rotgrünen Einheitspartei bei der nächsten Bundestagswahl war in greifbare Nähe gerückt, und jetzt schien ausgerechnet der graue, ältliche Onkele das Blatt noch einmal wenden zu können.

Für die seit Jahren angeschlagene schnuppe erhoffte sich der Chef von einem Regierungswechsel einen deutlichen Schub, schließlich war die Illustrierte ein traditionell linkes Hochglanzblatt, das seine fortschrittlichen Botschaften in eine Mischung aus Paparazzi-Journalismus, Promi-News, Lifestyle-Talk, Beziehungsratschlägen und unzähligen Fotos leichtbekleideter Stars und Sternchen verpackte. „Eine Hälfte Titten, die andere Hälfte Hitler, und wir haben ein gutes Heft voll“, pflegte der Chef zu sagen, aber die schnuppe verkaufte sich trotzdem immer schlechter.

„Ja, hätt‘ er dir statt auf die Titten auf deine Denkerstirn schauen sollen?“

„Ey, Blondy“, rief er nach einer plötzlichen Eingebung, und die Praktikantin Lara Lümmelreich, eine blasse Blondine mit ansehnlicher Oberweite, stand in seinem Büro. „Hol’ doch nochmal den Kram, den du vor einem Jahr über den Onkele geschrieben hast, diese verbockte Reportage!“ „Aber mit der waren Sie doch etwas unzufrieden, Herr Pfingsthorn“, antwortete Lara schüchtern.

„Bockmist war’s, wie immer, wenn man dich rausschickt! Du hättest ihm ein paar relevante politische Infos rausleiern sollen; statt dessen fragst du ihn, wie man sich denn so fühlt in seinem Alter, und zickst rum, weil er dir zu lange auf die Titten geguckt hat. Wo hätte er auch sonst hinschauen sollen? Auf deine Denkerstirn vielleicht? Los, Abgang!“

Blitzschnell war Lara wieder draußen und eilte los, um den alten Text auszudrucken, mit dem sie damals nicht zurande gekommen war. Man muß schon einiges über sich ergehen lassen, wenn man eine politische Journalistin werden will – jämmerliche Bezahlung, Arbeitszeiten bis spät abends, tyrannische Chefs, vorgegebene Meinungen und einen gnadenlosen Konkurrenzkampf –, aber einige haben es geschafft und sitzen heute in jeder Talkshow. Bis dahin muß man sich halt hochdienen.

„Geil“, murmelte er grinsend, „das gibt ein kleines Bömbchen“

Die nächsten Stunden saß Pfingsthorn mit angestrengt zusammengezogenen Augenbrauen über der halb angefangenen Reportage und versuchte – gelegentlich an dem Kaffee nippend, den ihm seine Sekretärin in peinlich genau bemessener Temperatur und Stärke zu bringen hatte –, aus den armseligen, abgebrochenen Sätzchen einen Artikel zu fabrizieren, der den ohnehin nicht gerade hohen Anforderungen seines Hauses genügt. Ab und zu schüttelte er den Kopf – im Dirndl war Lara damals in die Hotelbar gegangen, hatte Onkele ungezogene, dümmliche Fragen gestellt, und er hat ihr, um zu zeigen, wie verwegen er trotz seines Alters drauf sein kann, ein paar alberne Komplimente gemacht und schließlich einen Handkuß gegeben. Selbst für einen Profi wie Pfingsthorn war es nicht leicht, solchen Kleinkram zu einem Skandal aufzublasen, aber er beherrschte sein Handwerk, und die politische Situation rief geradezu nach einer Kampagne.

„Onkeles Sex-Tagebücher“ kam ihm in den Sinn, als er über den Titel nachdachte, und er schmunzelte spitzbübisch. Nein, mit Politiker-Tagebüchern will man in diesem Hause lieber nichts mehr zu tun haben; „Onkel Zote“ tippte er schließlich über den Artikel, das ist ärgerlich genug für den Politiker, dessen Foto groß darunter prangte, aber doch unverfänglich. „Geil“, murmelte er grinsend, „das gibt ein kleines Bömbchen, das wir da hochgehen lassen, und Lara hat sich einen Schampus verdient. Heute gibt’s was zu feiern, und die nächsten Tage auch.“ – Für die Praktikantinnen hieß dies, daß der Abend besonders lang werden konnte.

Pfingsthorn hatte sich nicht zu viel versprochen. Eine Talkshow jagte die andere, „Expertinnen“, Ex-Doktorinnen mit geguttenbergten Titeln und andere „Intellektuelle“ genossen ihre Wichtigkeit, moralisierten über „Herrenwitze“ und freuten sich auf „das Ende des weißen Mannes“, Erotik-Models verwahrten sich dagegen, auf ihren Körper reduziert zu werden, und auch Pfingsthorn wiederholte ununterbrochen, wie sehr es ihm ein Anliegen sei, über den Sexismus in unserer Gesellschaft aufzuklären und für ein respektvolles Miteinander zu werben. Am meisten aber freute sich die Regierung, die im Windschatten der allgemeinen Aufmerksamkeit bei einigen unpopulären Angelegenheiten schnell „durchregieren“ konnte, und schließlich Herr Onkele selbst, der bei der nächsten Wahl ein paar männliche Solidaritäts- und weibliche Mitleidsprozente einsammeln konnte.

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