Im Augenblick hat man es als Kolumnist wirklich nicht leicht. Derzeit produziert der politisch-mediale Komplex derart massenhaften Schwachsinn, daß man wirklich nicht weiß, was man sich als Aufhänger für ein paar tiefere Gedankengänge über die große Krankheit unserer Tage herauspicken soll.
Ein schöner Anlaß für einige wütende Zeilen war und ist das uninspirierte „Heul heul, flenn flenn“ des unwahrscheinlich investigativen Rechtsrockrechercheurs Thomas Kuban, dessen Buch „Blut muß fließen“ schon seit geraumer Zeit auf den einschlägigen, volkspädagogischen Internetseiten (und auch beim Deutschlandradio) gepriesen wird. Im Zuge des warmen Geldregens, der auch im Jahre 1 „nach NSU“ noch auf alle tapferen Tintenritter hinabprasselt, durfte der – wie immer – schwer vermummte Kuban am 28. Oktober bei Günther Jauch zum Besten geben, wie die Seelen junger Menschen durch „rechte Musik“ vergiftet würden. Und um sich ein weiteres Feld für das nächste Buch oder vielleicht auch eine „investigative“ Fernsehreihe offenzuhalten, stellte Kuban direkt einen aktuellen Bezug her: Die Südtiroler Deutschrocker von Frei.Wild, deren aktuelles Album just erschien, seien die Vorreiter einer rechten Unterwanderung der Mainstream-Musik.
Die entsprechenden Reaktionen (inklusive Generaldistanzierungen) blieben nicht aus, und die Hörerschaft der Brixener reagiert inzwischen – siehe beispielsweise die Kommentarspalte bei der Blauen Narzisse – mit blindem Umsichschlagen, wo immer der Funke einer Kritik (weswegen, ist egal) an ihren Idolen geäußert wird. Kuban selbst hat seine „Thesen“ bei Brodkorbs Laienschauspieltruppe noch umfangreich ausgebreitet – offensichtlich beruhen sie zu einem gut Teil auf der Unfähigkeit, zwischen den speziellen Bedingtheiten Südtirols und der Bundesrepublik zu unterscheiden. Vielleicht hat die Zeit „unter Glatzen“ auch einfach seine Sinne soweit eingetrübt, daß er allüberall lediglich noch die leise Einflüsterung „Nazi, Nazi!“ vernimmt?
… am besten gar nicht drum kümmern.
So sollte denn diese Kolumne eigentlich auch eine Philippika gegen Kubans Sprechdurchfall sein. Als mir allerdings durch Zufall der gestrige Auftritt eines gewissen Roger W. in der Sendung eines gewissen Stefan R. bei einem gewissen Privatsender unterkam, verwarf ich dieses Konzept. Roger W. hat nämlich das, was mir bei Kuban und der oben erwähnten Jauch-Sendung bereits auffiel, innerhalb von knappen zwanzig Minuten auf die Spitze getrieben: sattes, selbstgefälliges „high brow“-Geschwafel. Als ein Meister der Suade, des eitlen Redeschwalls, der sich weniger an ein Publikum als an den Sprechenden selbst richtet, legt Herr W. niemals sein spitzbübisches, kleines Lächeln ab. Abgesehen davon, daß es unheimlich sophisticated ausschaut, stört es auch nicht beim großbürgerlichen Nippen am Rotweinglas auf der Frankfurter Buchmesse – wenn Herr W. nicht gerade, wie seit Jahren üblich, knappe sechs Male am Tag mit seiner weiblichen Entourage kopfschüttelnd und Bannverse murmelnd am JF-Stand vorbeistreicht, in der stillen Hoffnung, eine Kamera möge doch seine wohlfeile Betroffenheit einfangen. So wird man in der Bundesrepublik erfolgreicher Medienschaffender und gelangt auch zu einer Honorarprofessur – indem man ununterbrochen angenehme Belanglosigkeiten parliert.
Gestern allerdings biß Herr W. dann doch auf Granit: Als er nämlich eine kluge Geschichte über eine Krankenschwester, die besonders fachkundig Spritzen setzte, erzählen wollte, wurde er zeitgleich mit meinem wütenden Aufschrei vor dem Fernseher (weil der, nach W., „Nervus ischiatus“ erstens ischiadicus heißt und zweitens ganz anders verläuft, als der promovierte Germanist W. das gerne gehabt hätte) vom gelernten Metzger Stefan R. darüber belehrt, daß er offensichtlich Unsinn daherrede. Es bedarf eben nicht zwangsläufig eines Semesters Medizinstudium, um ein wenig Ahnung von Anatomie zu haben. Dieser schöne Anlauf dazu, den Gast von seinem hohen Roß herunterzuzerren, versandete aber leider zu schnell – wie zu erwarten war. Schließlich wird im deutschen Fernsehen nicht kontrovers diskutiert, sondern gezeigt, wie sehr sich doch alle liebhaben. Wohl in der Hoffnung, daß der Zuschauer es irgendwann lernen möge.
Immerhin braucht man noch nicht ganz zu verzagen, solange es noch Momente gibt, in denen dem einen oder anderen einmal entgegengehalten wird, was eine allgemeine Medienseuche geworden ist: daß er nämlich nicht die geringste Ahnung von dem hat, worüber er spricht.