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Danke, daß ich lebendig bin

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Danke, daß ich lebendig bin

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Weißmann, Reich, Republik, Nachkriegsrechte

Gut einen Monat nach Kinostart ist er fast schon wieder aus den Lichtspielhäusern verschwunden. Zu Unrecht. „Wyssozki – danke, für mein Leben“ (wörtlich übersetzt: „danke, daß ich lebendig bin“) ist ein großer Film über einen großen Mann, wie ihn jedes Volk in jeder Generation höchstens einmal hervorbringt.

Der russische Liedermacher, Dichter und Schauspieler Wladimir Semjonowitsch Wyssotzkij war so ein Ausnahmemensch. Zehntausende folgten seinem Sarg, als er im Sommer 1980, erst 42jährig, während der Olympischen Spiele in Moskau an Herzversagen als Folge exzessiven Alkohol- und Medikamentenkonsums starb. Im russischen Volk ist er bis heute unvergessen, seine Lieder sind Allgemeingut und gehören zum unvergänglichen Nationalerbe.

Nikita Wyssotzkij hat seinem Vater mit dem Drehbuch ein Denkmal gesetzt, Pjotr Buslow hat bei dieser aufwendigen russischen Kinoproduktion Regie geführt. Anders als in den großen filmischen Sängerbiographien der letzten Jahre – James Mangolds „Walk the Line“ über Johnny Cash, Olivier Dahans Edith-Piaf-Hommage „La Vie en Rose“ – wird nicht ein ganzer Lebensbogen nachgezeichnet, selbst seine Lieder spielen nur eine Nebenrolle. Andrej Smoljakow sieht zwar dank aufwendiger Maskentechnik Wyssotzkij täuschend ähnlich. Singen aber hört man ihn kaum.

Geschichte von Intrige, Verrat und unbedingter Hingabe

Denn der Film verdichtet das rasante Leben des Künstlers auf wenige dramatische Tage im Sommer 1979, ein Jahr vor seinem Tod, als Wyssotzkij dem körperlichen Verfall und seinem Herzleiden trotzend eine zugesagte Konzertreise in Usbekistan – damals noch Sowjetrepublik – erzwingen wollte, im Hotelzimmer tot zusammenbrach und noch einmal ins Leben zurückgeholt wurde.

Um dieses tatsächliche Ereignis rankt sich eine Geschichte von Intrige, Verrat und der unbedingten Hingabe eines im Innersten freien und autonomen Menschen an seine Kunst und die Menschen, die er liebt. Ruhige, intensive Szenen wie Wyssotzkijs Gebet für seine Freunde und Liebsten wechseln mit rasanten Szenen, denen man anmerkt, daß Nachwuchsregisseur Buslow mit der Ganoven-Groteske „Bumer“ (russischer Slang-Ausdruck für dicke BMW-Limousinen) und der Satire-Serie „Nasha Russia“ seinen Ruf begründet hat.

Daß der Antagonist der Hauptperson, der KGB-Oberst, der sich schließlich auf die Seite des von ihm Verfolgten stellt, augenfällig Ulrich Mühes Stasi-Offizier aus Florian Henckel von Donnersmarcks Oscar-Streifen „Das Leben der anderen“ nachempfunden ist, hat dem Film einige Kritik eingetragen. Wladimir Putin, der sich den Film in einer Exklusivvorführung zeigen ließ, kannte solche Kollegen zweifellos nicht.

Treffsichere Wiedergabe des Kolorits der Breschnjew-Ära

Dennoch kann Buslows Wyssotzkij-Film, der sich im übrigen durch treffsichere Wiedergabe des Kolorits der Breschnjew-Ära auszeichnet, auch den Nachgeborenen eindringlich nahebringen, daß das Leben in einer totalitären Diktatur wie der Sowjetunion der sechziger und siebziger Jahre nicht nur schwarz und weiß ist. Da kann ein angesehener Künstler erbitterte Feinde beim Geheimdienst haben, die ihm heimtückische Fallen stellen, und gleichzeitig Gönner in der Nomenklatura, die dennoch die Hand über ihn halten. Da kann einer Star am im Tauwetter der Sechziger gegründeten Taganka-Theater sein und hochgeschätzter Filmschauspieler und sogar einige Platten im staatseigenen „Melodija“-Verlag veröffentlichen, seine wahre Popularität aber den im Samisdat und in illegalen Konzerten verbreiteten Liedern verdanken.

Mehr als 500 Lieder hat Wyssotzkij geschrieben. In ihnen macht er sich mit unverwechselbarer Reibeisenstimme über das durchregulierte Sowjet-Leben lustig („Morgengymnastik“) und die Hölle des hoffnungslosen Alltags vor dem Fernseher; er spürt der verlorenen Jugend in seiner alten Straße nach und fand seine Bilder im russischen Dampfbad, in der Wolfsjagd und bei Massengräbern, auf die niemand Kreuze stellt und Blumen niederlegt, er schrieb Kriegslieder von einer Authentizität, als hätte er selbst an der Front gestanden, und von einer zeitlosen Gültigkeit, daß jeder Soldat jeder Armee sie mitsingen könnte wie das Lied vom schmerzlichen Fehlen des Kameraden, der gestern nicht aus der Schlacht heimkehrte; er rang mit der Vergebung für seine Fehler, mit der Last des ertragenen Leides, mit dem nahen Tod und immer wieder mit Freundschaft und Liebe, ohne die kein Leben ist. Die Berge sind ihm Sinnbild der Freiheit – „schöner als Berge sind nur die Berge, auf denen ich noch nicht war“ –, die Kameradschaft in den Bergen Prüfstein der Freundschaft, die Bergsteigerin eine Metapher für die liebende Gefährtin, die ihn wieder und wieder aus dem Abgrund zieht.

Romane und Prosa erschließen sich der Übersetzung in fremde Sprachen leichter, die Lyrik sperrt sich dagegen. Vielleicht liegt gerade deshalb in ihr der Seelenkern einer Nationalliteratur. Den Russen ist ihr Größter des 19. Jahrhunderts weder Dostojewskij noch Tolstoj, sondern Puschkin. Für das 20. Jahrhundert mag diesen Platz vielleicht einmal Wladimir Wyssotzkij einnehmen. In Frankreich genießt er bis heute einige Popularität, weil er mit der Filmschauspielerin Marina Vlady verheiratet war und auch einige Chansons in französischer Sprache eingespielt hat („Plus rien ne va“). Die Deutschen, denen er in seiner Zerrissenheit und Unbedingtheit im Grunde nähersteht, haben ihn noch zu entdecken zusammen mit ihrem eigenen, verschütteten, nicht-westlichen Selbst.

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