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Den Bäcker gibt’s noch

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Den Bäcker gibt’s noch

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Cato, Weidel, Exklusiv

Mit Ausnahme des „Speckgürtels“ um Berlin und einiger touristischer Zentren, die davon gleichfalls nicht weit entfernt sind, besteht Brandenburg aus Randregionen: Prignitz, Uckermark, Lausitz. Industrielle Leuchttürme strahlen da kaum ins Land, Manfred Stolpes Renommierprojekte Cargo-Lifter und Lausitz-Ring floppten längst; dafür gibt es nun Tropical-Island. Bewundernswert erscheint eher das zähe Überleben von Restbeständen jenseits der „Clusterungen“. Rainald Grebes seltsame Brandenburg-Elegie ist satirisch, hat aber etwas tragisch Stimmiges.

Das Westprignitzer Dorf, in dem ich aufwuchs, ist längst eingeschlafen, um mal ein Euphemismus zu bemühen. Wo das Kapital kaum Möglichkeiten für die Erwirtschaftung von Mehrwert ausmacht, überläßt es die Region seiner Hilfsagentur, dem Staat, damit er die Reservation der übrig gebliebenen Kleinkonsumenten und aus dem Reproduktionsprozeß Ausgegliederten verwalte und alimentiere.

Es bleiben die Discounter, Autohäuser und Kliniken, in denen noch Kasse gemacht werden kann. Die Leute kauften für ihr Erspartes in den Baumärkten der Kreisstadt ein, renovierten ihr Häuschen und richteten sich im Stagnationsraum ein. Von der Dorfkultur selbst bleiben ein paar folkloristisch anmutende Auftritte. Das Erntefest etwa. Obwohl kaum mehr jemand erntet, sondern die Agrarunternehmer Biomasse für Sprit und Gas produzieren.

Hunderte Hektar mit sechs Leuten

In meinem Ort schlossen hintereinander die Post, die Schule, die Pfarre, die Kneipe. Längst erstarb das Leben auf der Straße. Die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft modelte sich in einem effizienten Agrarbetrieb, der dank toller Technik für Hunderte Hektar mit sechs Leuten auskommt. Die alte Stärkefabrik aus Gutszeiten, die den Sozialismus über qualmte und stank, überlebte reinkarniert, indem ein holländischer Großkonzern sie zusammenschob, neu aufbaute und mit einem Zehntel an Arbeitskräften offenbar gewinnträchtig weiterführt.

Der alte Park des Schlosses, das in der DDR-Zeit ein Kinderheim behauste, wurde an einen vermögenden Herrn aus dem Rothaargebirge verkauft. Als erstes ließ er die zahlreichen alten Eichen fällen und an den Holzhandel verscherbeln – absolut rechtens, da es nicht gelang, das Terrain, auf dem sich eine mittelalterliche Burganlage befindet, als Natur- oder Geschichtsdenkmal zu schützen. Nutzwald will genutzt sein.

Nahezu alle Gewerke machten dicht. Übrig blieb allerdings der Bäcker, ein Junggeselle, wie man früher zu einem Single sagte, ein blonder Riese, den man im Dorf kaum sah, weil er die zweite Nachthälfte arbeitete und nur ab und an in den Verkaufsraum kam, um ein auf der Schulter getragenes Brett frischer Brote abzuladen.

Die Arbeitsspuren mehrerer Generationen sind noch sichtbar

Weshalb gibt es den Bäcker noch, wenn Fleischer, Elektriker, Maler, Schlosser und Kneiper ihre Firmenschilder längst abschraubten? – Der Verkaufsraum sieht genau so aus, wie ich ihn als Kind kannte. Alles aus Holz, alles schlicht, alles so lange benutzt, daß man die Arbeitsspuren mehrerer Generationen sieht. Man könnte sich die Kulisse sofort für einen Film ausleihen, der im Vorkriegsdeutschland spielt. Das Warensortiment ist ebenso dasselbe geblieben, nichts verschwand, nichts kam hinzu. Das Schaufenster so langweilig, daß man sich nicht merken kann, was es präsentiert. Einen Blumenstrauß auf einem Häkeldeckchen wohl, wahrscheinlich Trockenblumen.

Kein „Backshop“, keine Werbung, schon gar keine Website mit grimassierenden Angestellten in Firmenuniform. Bestellungen werden von der einzigen Verkäuferin mit Dutt immer noch per Hand so eng in einen Kalender geschrieben, daß sie selbst eine Lupe braucht, um nachzusehen, ob tatsächlich zehn Brötchen für den Samstagmorgen bestellt waren. Und was für Brötchen – fest und knackig. Das Brot duftend, würzig und scharf mit bißfester Kruste gebacken.

Ich habe mich hintenrum erkundigt: Nicht eine Maschine ist neu, alles alt und bewährt. Fertige Backmischungen gebe es nicht, dafür seien die Teigruhe- beziehungsweise Vorhaltezeiten viel länger als anderswo, Brot und Brötchen werden im Dampfofen frei geschoben oder auf Steinplatte gebacken. Chemische Kampfstoffe, wie man sich ausdrückte, kämen nicht rein. Der Bäcker sah sich einfach nie veranlaßt, entscheidend zu investieren oder gar zu expandieren. Er redet ungern über die neuen Zeiten, er macht seine Arbeit genau so wie schon sein Vater. Man sieht ihn noch immer kaum.

Geheimtip in abgeblühten Landschaften

Weil meine Eltern mir bei ihren Besuchen noch immer das Brot mitbringen, das mich an meine Kindheit erinnert, schrieb ich dem jetzt alten Bäcker einen Brief. Handschriftlich natürlich. Die Botschaft: Vielen Dank für Qualität, die blieb, was sie war. Bloß nichts verändern! Höchstens vielleicht beim Retroversand „Manufactum“ anfragen, ob das Brot bundesweit an Gourmets zu versenden wäre, vielleicht für zehn Euro das Stück.

Ich bekam keine Antwort, weiß aber, der Meister arbeitet tatsächlich einen jungen Nachfolger ein, dem die Kundschaft schon jetzt beargwöhnt, weil sie befürchtet, der könne modernisieren. Sie kommen von sonstwo, um dort einzukaufen. Der ganze Laden eine Legende ohne Bedürfnis nach Ruhm, ein Geheimtip in abgeblühten Landschaften.

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