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Libyen: Das Massenmörder-Märchen

Libyen: Das Massenmörder-Märchen

Libyen: Das Massenmörder-Märchen

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Libyen
 

Das Massenmörder-Märchen

„Was in Libyen geschieht, ist Völkermord in höchster Potenz“, sagte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn im Deutschlandfunk. Insbesondere mit der angeblichen Bombardierung von Demonstranten aus der Luft wurde die Öffentlichkeit auf den Nato-Krieg gegen Libyen eingestimmt. Der Reporter Billy Six recherchierte vor Ort und kam zu einem anderen Ergebnis: maßlos übertriebene Kriegspropaganda.
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„Spiegel“-Artikel über „Bruder Massenmörder“ Gaddafi mit Schlagzeilen: Völlig übertriebene Opferzahlen Screenshot: JF

Die westliche Öffentlichkeit hielt den Atem an. „Was in Libyen geschieht, ist Völkermord in höchster Potenz“, sagte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn im Deutschlandfunk am 23. Februar 2011. Harte Worte. Stündlich überschlugen sich ab dem 20. Februar die Meldungen über den Aufstand gegen Langzeitherrscher Muammar al Gaddafi – und dessen „Krieg gegen das eigene Volk“.

Die Uno beschloß unter dem Eindruck dieser und anderer Nachrichten im März die Einrichtung einer Flugverbotszone. Und der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat in dieser Woche einen Haftbefehl auf Gaddafi ausgestellt. Vier Monate später ist es an der Zeit, die dramatischen Schlagzeilen führender deutscher Medien auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.

„Tausende Tote“ sind völlig übertrieben

400 Tote meldeten Deutsche Welle und Kölner Rundschau allein in der Küstenmetropole Bengasi am 21. und 22. Februar, wo die Proteste ihren Anfang genommen hatten. Von über 500 Toten sprach zur selben Zeit Spiegel online unter Berufung auf Oppositionelle. Ebenso der Fernsehsender Euronews. Für n-tv bestätigte die Nahost-Korrespondentin Antonia Rados die Angabe. Al Arabiya berichtete zusätzlich von 1.400 Vermißten. Am 23. Februar zitierten viele Tageszeitungen zeitgleich einen französischen Arzt, der von 2.000 Toten „allein in Bengasi“ berichtete. Dies und die Ausweitung der Unruhen aufs gesamte Land veranlaßten Bild und Stern am 25. Februar zur wortgleichen Schlagzeile: „Tausende Tote bei Protesten in Libyen“.

Was ist dran an diesen Zahlen? Juni 2011. Im Djalla-Krankenhaus in der Innenstadt von Bengasi berichten libysche Ärzte von den ersten zehn Tagen der Revolution. In dieses Krankenhaus wurden die meisten Opfer der bewaffneten Auseinandersetzungen gebracht. Zwar schätzen befragte Ärzte zunächst auch, daß es zwischen 450 und 1.100 Todesopfer gegeben habe. Aber das stellt sich bei genauer Prüfung als total übertrieben heraus.

Ein persönlicher Blick in die Unterlagen des Klinikchefs Akram Scheikhi bringt Überraschendes zutage: 98 Todesopfer sind dort registriert. „Einige Fälle können im Chaos untergegangen sein“, sagt der Chefarzt. Es gibt noch zwei weitere Kliniken in der Stadt, das Medizinzentrum und das Hawari-Spital. Doch sie nahmen damals nur Einzelfälle auf. Dennoch, eine weitere Überprüfung ist vonnöten – auf den Friedhöfen der Stadt.

Maximal 200 Opfer durch Kampfhandlungen

Fast alle Opfer wurden auf der Hawari-Ruhestätte beerdigt. Innerhalb eines Tages, nach islamischer Sitte. Es kostet Zeit, das ganze Gelände abzulaufen, aber am Ende ist klar: Maximal 136 Gräber lassen sich der Zeitphase vom 15. bis 24. Februar zuordnen – und nicht jeder von ihnen starb durch die Gewalteinwirkung.

Auf den beiden kleinen Gräberfeldern Bengasis, Quefia und Chalifa, fanden ausdrücklich 55 Märtyrer ihre letzte Ruhe – aber fast alle starben im März und April, so die örtlichen Imame. Somit erhärtet sich der Verdacht, daß zwischen 100 und 200 Bürger die Februarrevolte nicht überlebt haben. Die Berichterstattung in dieser Zeit hat also massiv übertriebene Zahlen übermittelt.

Dies gilt auch für die anderen Orte des „befreiten“ libyschen Ostens: In Tobruk, Derna, Schahaat, Al Bayda und Adschdabija starben nach übereinstimmenden Berichten zusammen zwischen 70 und 80 Einwohner. Die im Laufe des Krieges besonders leidgeplagte Stadt Misratah fiel am 19. Februar beinahe kampflos an die Revolution – nur ein Demonstrant war von Gaddafi-Loyalisten erschossen worden. Eine Tragödie für jede betroffene Familie, ohne Frage. Aber objektiv kein Genozid.

Keine Kampfjets gegen Demonstranten eingesetzt

Besondere Nahrung hatte diese Behauptung vom „Krieg gegen das eigene Volk“ durch die Meldungen erhalten, die libysche Armee würde mit Kampfflugzeugen gegen das demonstrierende Volk vorgehen. Auch diese Meldungen waren dazu geeignet, die Akzeptanz für die Einrichtung der alliierten Flugverbotszone zu schaffen. Am 21. Februar 2011 berichtete tagesschau.de unter Berufung auf Al Dschasira von Angriffen der Gaddafi-Luftwaffe. Es seien in Tripolis „Flugzeuge gegen Demonstranten“ eingesetzt worden. Die Süddeutsche Zeitung machte daraus: „Kampfjets feuern auf Demonstranten“. Und n-tv schließlich meldete: „Libyen bombardiert Demonstranten“.

Nach fast vier Monaten Recherche in Libyen und vielen Gesprächen mit geflohenen Einwohnern aus der Hauptstadt ließ sich dafür kein einziger Hinweis finden. Tatsächlich ist seinerzeit ein gefallenes Waffenlager bombardiert worden. Zweifellos ging der Diktator mit Hubschraubern und Flugabwehrgeschützen gegen die bewaffneten Rebellen vor.

Auf der Cyrenaika lassen sich die Orte der Gaddafi-Luftschläge besichtigen: das einst umkämpfte West-Tor von Adschdabija, der Flughafen Labrack in den Grünen Bergen und das Rajma-Munitionsdepot bei Bengasi. Ein Angriff aus der Luft auf die Schauplätze der Protestbewegung hingegen hat auch in Ost-Libyen nirgendwo stattgefunden.

Letztes Flugzeugmysterium in Luft aufgelöst

Auch die zahlreichen Berichte unter Berufung auf arabische Quellen, der Flughafen von Bengasi sei zerstört worden, waren falsch. Der langjährige Luftwaffenoberst Yussuf Ahmed al Obeidi runzelt im Interview nur die Stirn: „Ich war die ganze Zeit vor Ort – die einzigen Luftangriffe haben Mitte März stattgefunden. Und die Piloten warfen ihre Bomben absichtlich neben Landebahnen und Gebäuden ab.“ Die Darstellungen im Stern („Pisten von Flughafen im libyschen Bengasi zerstört“, 22. Februar 2011) und Financial Times Deutschland („Bomben zerstören Landebahnen im libyschen Bengasi“, 22. Februar 2011) wurden bis heute nicht richtiggestellt.

Auch das letzte Flugzeugmysterium hat sich mittlerweile in Luft aufgelöst: „Rebellen schießen Kampfflugzeug ab“ hieß es unter Berufung auf „einen Augenzeugen“ am 28. Februar 2011 im Focus zu einem Vorfall im west-libyschen Misratah. Tatsächlich haben die Aufständischen an jenem Tag auf einen Hubschrauber gefeuert, der die örtliche Radiostation angriff. Der Helikopter flog daraufhin beschädigt zu seiner Einsatzbasis zurück.

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Billy Six (24) ist als Reporter seit Januar in Nordafrika unterwegs und berichtet derzeit für die JUNGE FREIHEIT aus Libyen. 

(JF 27/11)

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