„Spiegel-Leser wissen mehr“, lautet der Werbespruch des bekannten Hamburger Nachrichtenmagazins. Doch gibt es offenbar einige Themen, bei denen es die Redaktion des Spiegels vorzieht, die Leserschaft nicht ganz so umfassend zu informieren, wie diese es vom „Sturmgeschütz der Demokratie“ erwartet. Ausländergewalt scheint eines davon zu sein.
Die Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe widmet sich unter dem Titel „Mordswut“ der „unheimlichen Eskalation der Jugendgewalt“. Anlaß war der brutale Angriff des 18 Jahre alten Schülers Torben P. auf einen 29jährigen Handwerker kurz vor Ostern in Berlin. Auf den Bildern einer Überwachungskamera des U-Bahnhofs Friedrichstraße ist zu sehen, wie Torben P. sein Opfer zuerst mit einer Flasche niederschlägt und ihm danach mehrfach gegen den Kopf tritt. Die Szenen sorgten deutschlandweit für Aufsehen und entfachten eine neue Diskussion über den Umgang mit den meist jugendlichen Tätern.
Der Spiegel nimmt sich dies zum Anlaß, um den Ursachen solcher Gewaltexzesse nachzugehen und nach Möglichkeiten zu suchen, wie diese verhindert werden könnten. Auf 13 Seiten werden dabei bekannte und weniger bekannte Fälle extremer Jugendgewalt geschildert, wie zum Beispiel der des pensionierten Schuldirektors Hubertus Bruno N. Der 76jährige war im Dezember 2007 von zwei Jugendlichen auf einem Münchner U-Bahnhof halb totgetreten worden, weil er sie zuvor auf das Rauchverbot hingewiesen hatte.
Beschimpfung als „scheiß Deutscher“ wird verschwiegen
Im Spiegel werden die Täter als „ein 17- und ein 20jähriger“ beschrieben. Ihre Namen – Serkan A. und Spyridon L. – werden nicht genannt, ebensowenig ihre Herkunft. Serkan A. ist Türke, Spyridon L. Grieche. Daß sie Hubert N. als „scheiß Deutscher“ beschimpften, während sie ihn zusammentraten, schien den Autoren des Artikels ebenfalls nicht erwähnenswert.
Nicht anders verhält es sich mit dem Fall des afghanischstämmigen Intensivstraftäters, der im vergangenen Sommer auf dem Hamburger S-Bahnhof Jungfernstieg völlig grundlos einen 19 Jahre alten Schüler erstach. Im Spiegel wird aus dem polizeibekannten Messerstecher nichtssagend „ein 16jähriger“. Auch die vier brutalen Schläger, die im Februar einen 30jährigen Maler auf dem Berliner U-Bahnhof Lichtenberg ins Koma traten, werden nur als „vier Jugendliche, 14 und 17 Jahre alt“ beschrieben. Kein Wort davon, daß sie aus dem Irak, dem Kosovo, Albanien und Nigeria stammen.
Beklemmend detailliert berichten die Spiegel-Autoren von Michael R., der in München von zwei Männern zusammengetreten wurde: „Knochen krachten, Blut spritzte. Michaels Freundin warf sich auf ihn; ein paar Sekunden später, und er wäre vermutlich tot gewesen (…) seine Gesichtsknochen waren zermatscht, der Oberkiefer vom Kopfskelett getrennt. Mit 14 Schrauben fügten Ärzte die Titanplatten unter seiner Haut zusammen, monatelang konnte er nur flüssige Nahrung zu sich nehmen.“ Über diejenigen, die ihm das angetan haben, erfährt der Leser nur, daß es sich um „zwei 19jährige“ handelte, die betrunken waren.
80 Prozent haben einen „Migrationshintergrund“
In Wahrheit gab es jedoch drei Täter: Patrick W., Andre A. und den Bosnier Edin M – allesamt einschlägig vorbestraft. Edin M., der dem Opfer als erster ins Gesicht schlug, befand sich zudem auf Bewährung.
Nun könnte man fragen, was hat die Nationalität oder die Herkunft der Täter mit ihren Verbrechen zu tun? Als Antwort empfiehlt sich ein Blick in die Listen jugendlicher Intensivstraftäter, die die Polizei mittlerweile in jeder deutschen Großstadt führt. In Berlin beispielsweise haben über 80 Prozent von ihnen einen sogenannten Migrationshintergrund.
Dem Spiegel ist das jedoch keine Erwähnung wert. Statt dessen heißt es, die Täter solcher Gewaltexzesse seien immer wieder „junge Kerle, manchmal allein, meistens zu zweit, zu dritt, zu viert, oft randvoll mit Alkohol“.
Das konsequente Vermeiden der Täter-Herkunft führt in dem Artikel bisweilen zu kuriosen Stilblüten. So ist von „vier Verwandten“ zu lesen, die im Januar 2009 einen Kioskverkäufer in einer Hamburger S-Bahnstation mit einer Axt und Messern attackierten und dabei lebensgefährlich verletzten. Die Tat wurde von einer Überwachungskamera aufgezeichnet, im Spiegel finden sich fünf Bilder der Aufnahmen. Die Namen der Täter – Zvezdan K., David und Dusan N. sowie Radisav M. – sucht man dagegen vergeblich.
„Scheiß Hurensöhne und Nazis“
Lediglich in zwei Fällen nennen die Autoren Vornamen: Bei Torben B. sowie den zu trauriger Berühmtheit gelangten Frankfurter U-Bahn-Schlägern „Simon und David“. Die Gewalt-Vita der beiden bildet den Einstieg in den Artikel und zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte. Bekannt wurden sie Anfang 2008, als sie gemeinsam mit drei anderen jungen Männern zuerst in einer Frankfurter U-Bahn randalierten und anschließend deren Fahrer zusammenschlugen. Daß alle fünf Täter aus Einwandererfamilien kommen, erfährt der Leser nicht (der Vater von David stammt aus Polen, Simons Eltern aus Eritrea – letzteres wird vom Spiegel, immerhin, beiläufig erwähnt).
Verschwiegen wird indes, daß Hessens damaliger Ministerpräsident Roland Koch (CDU) den Fall im Wahlkampf aufgriff, als Beweis für seine Aussage, es gebe in Deutschland zu viele kriminelle jugendliche Ausländer. Selbst daß David L. bei seiner Festnahme die Polizisten als „scheiß Hurensöhne und Nazis“ beschimpfte und sich recht sicher gab, er komme „sowieso nie in den Knast, weil die Richter im beschissenen Deutschland überhaupt nichts drauf haben“, gab beim Spiegel offenbar niemandem zu denken. Zwar werden die Zitate erwähnt, auf die Idee, daß sich die Herkunft der Täter vielleicht doch auch auf deren Handeln auswirken könnte, kam man in der Hamburger Redaktion aber nicht.
> Sezession im Netz: Jugendgewalt im Spiegel
Literaturtip: Michael Paulwitz, Götz Kubitschek: Deutsche Opfer, fremde Täter.
JF 19/11