Die gegenwärtige Wirtschaftskrise ist die Frucht jahrzehntelanger Unverantwortlichkeit. Bei Sonntagsreden huldigte man der Nachhaltigkeit und dem Prinzip Verantwortung, aber unter der Woche wurde dann gewirtschaftet, als gäbe es kein Morgen. Banken und viele andere Finanzunternehmen haben ihre Eigenkapitalausstattung und ihre Liquidität ständig verringert. Sie haben in risikoreichen Anlageklassen immer neue Wachstumsfelder gesucht und gefunden.
Die Regierungen wiederum haben turmhohe Schulden angehäuft, in dem offensichtlichen Glauben, daß an eine Rückzahlung dieser Summen ohnehin nicht zu denken sei. Regierungen und private Finanzmarktteilnehmer haben riesige Schattenhaushalte geschaffen, die das wahre Ausmaß der Schuldenwirtschaft verschleiert haben.
Gelungene Spekulation auf den steuerzahlenden Bürger
Im Ergebnis glichen die Finanzmärkte daher seit vielen Jahren einem Kartenhaus. Die „streßgetestete“ Gesundheit unserer Banken, gerade der öffentlichen Banken, war und ist hohl. Aber ebenso hohl ist auch unsere Politik. Durch jahrzehntelange Mißwirtschaft in eine ausweglose Lage versetzt, schreitet sie nun von einer Verzweiflungstat zur nächsten. Immer neue und höhere Schulden, immer radikaleres und schnelleres Abweichen von langgehegten Grundsätzen, immer neue und tiefere Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger, um vermeintlich Steuerlücken zu schließen und „Spekulanten“ zu bestrafen. Warum dieses Fehlverhalten?
Der entscheidende Punkt ist, daß Regierungen und die Banken immer davon ausgingen, daß letztlich alle Kosten ihres Tuns vom steuerzahlenden Bürger beglichen werden würden, ob der Bürger nun wollte oder nicht. Die Regierungen verstanden dies ohnehin immer so, denn die Staatsfinanzierung beruht auf dem Prinzip der Zwangszahlung. Aber auch die Banken gingen davon aus.
Gerade auf dem europäischen Kontinent haben sie seit langem eine herausragende Rolle bei der Finanzierung von Unternehmen und Staat gespielt. Infolgedessen spekulierten sie darauf, daß die Regierungen sie (schon aus staatlichem Eigeninteresse) vor einem Konkurs bewahren würden. Die Ereignisse der vergangenen zwei Jahre haben gezeigt, wie berechtigt diese Auffassung war. Das nennt man eine gelungene Spekulation.
„Moralisches Risiko“ als Weg zur massiven Unverantwortlichkeit
In der ökonomischen Theorie wird der perverse Anreiz zu einem Fehlverhalten auf Kosten anderer Leute „moral hazard“ genannt, auf gut deutsch also die Versuchung zu unsittlicher Bereicherung. Natürlich will auch ein gewöhnlicher Dieb sich auf Kosten seines Opfers bereichern, aber er läuft dabei Gefahr, erwischt und bestraft zu werden. Ganz anders, wenn der Staat diese Gefahr abschafft und sogar noch eine Belohnung für besonders eifrige Bereicherung zu Lasten anderer in Aussicht stellt. Dann wird die genannte Versuchung geradezu institutionalisiert, und es kommt somit zu massiver Unverantwortlichkeit.
Die langjährige Entwicklung der Finanzmärkte liefert dafür ein Paradebeispiel. Weil der Staat dem Markt ein (von den Zentralbanken produziertes) immaterielles Grundgeld aufzwang, konnten Staat und Banken beinahe unbegrenzt finanziert werden, und zwar zu Lasten der gewöhnlichen Geldbenutzer. Die Folgen: Schuldenwirtschaft und Anfälligkeit, aber auch Materialismus, finanzielle Abhängigkeit und Duckmäusertum, Aufstieg kreditfinanzierter und bankgesteuerter Manager, Niedergang persönlich haftender Unternehmer. >>
Aber solche Erscheinungen finden sich nicht nur im Finanzsektor. Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Bereiche unseres Lebens, in denen durch staatlichen Zwang die Möglichkeit zur Bereicherung auf Kosten anderer geschaffen wurde. Alleinerziehende werden subventioniert, also verringert sich der Anreiz zur Ehe und es gibt immer mehr Alleinerziehende. Kriminelle Kinder und Jugendliche werden nicht oder nur gering bestraft, daher bereichern sich immer mehr Kinder und Jugendliche durch gewaltsame Übergriffe auf ihre Mitmenschen. Arbeitslose werden durch Zwangsgelder alimentiert, somit steigt der Anreiz zur Arbeitslosigkeit, sobald die Marktlöhne auf das Niveau der staatlichen Zahlungen fallen. Grundeigentum steht unter staatlichem Vorbehalt und kann bei Bedarf enteignet werden, mithin wird der Boden überdüngt und überbewirtschaftet.
Wo liegt der Ursprung dieser fatalen Entwicklung? Ein westfälischer Moraltheologe meinte kürzlich (vielleicht nicht ganz scherzhaft), der Bismarcksche Wohlfahrtsstaat sei das Optimum der sozialen Fürsorge. Aber es liegt auf der Hand, daß die staatliche Rentenfürsorge die Anreize zur Ehe und zur Gründung einer Familie unterhöhlt und somit die Zukunft der Nation untergraben hat. Ebenso offensichtlich ist, daß die staatliche Gesundheitsfürsorge Nikotin- und Alkoholkonsum, Völlerei, übermäßigem Sport oder langwierigen Kuraufenthalten Vorschub leistet.
Der Staat darf die Kosten individuellen Handelns nicht sozialisieren
Der Volkswirt Hans-Hermann Hoppe hat immer wieder und sehr eindringlich darauf hingewiesen, daß diese Tendenzen geradezu im Wesen des modernen Staates verwurzelt sind. Der ökonomische Kern dieser Staatsauffassung ist ein faustischer Handel, in dem die Bürger sich gegenseitig verpflichten, auf eigenmächtigen Schutz zu verzichten und dem Staat einen Alleinanspruch auf die Rechtspflege einzuräumen. Hier ist das Grundmuster der Verantwortungslosigkeit angelegt. Dies erkannte bereits der französische Ökonom Frédéric Bastiat, als er den Staat sehr treffend definierte als die „große Fiktion, mit deren Hilfe jeder versucht, auf Kosten aller anderen zu leben“.
Es wird immer wieder zu Recht darauf hingewiesen, daß es keine individuelle Freiheit ohne individuelle Verantwortung geben kann. Aber umgekehrt gilt auch, daß es echte Verantwortung nur dort gibt, wo staatliche Eingriffe die Kosten des individuellen Handelns nicht sozialisieren.
(JF 50/10)