Es war schon eine reichlich bizarre Debatte, die letzte Woche Donnerstag bei der ersten Lesung des von der SPD-Bundestagsfraktion vorgelegten Gesetzentwurfes zur Änderung des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (17/3481) geführt wurde. Mit diesem Gesetzentwurf wollte die SPD-Fraktion mit dazu beitragen, eine Übernahme des deutschen Baukonzerns Hochtief durch den spanischen Baugiganten Grupo ACS zu verhindern.
Laut dem stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Fraktion Joachim Poß geht es der SPD darum, „feindliche Übernahmen“ möglichst zu verhindern. Es müsse erschwert werden, daß „ein hervorragendes Unternehmen wie beispielsweise Hochtief von einem hochverschuldeten Konkurrenten [wie im Fall von ACS] viel zu günstig und mit dem möglichen Ziel der Zerschlagung und den damit verbundenen negativen Konsequenzen … übernommen wird“.
„Mehr positive als negative Beispiele“
Der CDU-Redner Mathias Middelberg gab in seiner Erwiderung den Marktradikalen, als er Poß als „Märchenonkel“ abkanzelte, der ein „Horrorgemälde“ aufzeichne. Es gebe bei Übernahmen deutscher Unternehmen angeblich viel mehr „positive als negative Beispiele“, wozu Middelberg zum Beispiel auch Mannesmann zählte, das nach der Übernahme durch Vodafone „derzeit Marktführer mit mehr Beschäftigten als je zuvor und dem Unternehmenssitz in Düsseldorf“ sei.
Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang daran, daß Mannesmann nach dem erfolgreichsten Jahr seiner Unternehmensgeschichte in einer Übernahmeschlacht Anfang 2000 von dem britischen Konzern Vodafone übernommen wurde. Daraufhin folgte bekanntlich die rücksichtslose Ausweidung des Konzerns. Die Anteile gingen an Vodafone, Siemens und die Salzgitter AG. Middelberg hätte überdies korrekterweise von der Vodafone D2 GmbH mit Sitz in Düsseldorf und nicht von Mannesmann sprechen dürfen.
Doch zurück zur Bundestagsdebatte: Für die FDP erklärte wenig überraschend Volker Wissing, daß es nicht Aufgabe der Politik sei, in den Wettbewerb einzugreifen, und die Linke meinte in Gestalt von Ulla Lötzer, der Gesetzentwurf ginge nicht weit genug. Und schließlich raunte Kerstin Andreae von den Grünen im für diese Partei wolkigen Gefühlssprech davon, daß die „Ängste der Menschen ernstgenommen werden“ müßten. Statt „populistischer Schnellschüsse“ bedürfe es einer „soliden Gesetzgebung“.
Firmenjäger wittern Beute
Diese Debatte wurde hier deshalb etwas ausführlicher dargestellt, weil sie spiegelt, auf welchem Niveau sich im Bundestag die Auseinandersetzung über zentrale Fragen deutscher Industriepolitik abspielt. Dominierend ist derzeit das Lager der Marktpuristen, zu denen auch die Unionsparteien gehören, die Firmenjäger aus aller Welt gewähren lassen wollen.
Da gibt es möglicherweise bald satte Beute, denn nicht nur Hochtief ist an den Börsen unterbewertet, wie Thomas Sigmund in einem Beitrag für das Handelsblatt deutlich machte, sondern zum Beispiel auch Rheinmetall, Infineon oder der Halbleiterhersteller Aixtron.
Während andere Länder wie Frankreich oder England ausländischen Investoren größtmögliche Hindernisse in den Weg zu legen versuchen, gefällt sich Deutschland darin, mit das liberalste Übernahmerecht in Europa zu haben. Eine mögliche Verschärfung dieses Übernahmerechts sei „Abschottung“, sei „Protektionismus“. Frage: Ist es wirklich „Protektionismus“, wenn man zu verhindern sucht, daß zum Beispiel ein finanziell angeschlagener spanischer Bauriese ein wirtschaftlich gesundes deutsches Unternehmen gegen dessen Willen zu übernehmen versucht, um sich gesundzustoßen?
Klares Bekenntnis zur Industriepolitik
Da scheint aus nationaler Perspektive doch die Linie, die der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel aufgezeigt hat, weitaus plausibler zu sein. Er erklärte nämlich gegenüber der Hamburger Zeit: „Es ist nicht ausgemacht, daß wir unsere Exportstärke erhalten … Deshalb darf man nicht wie die FDP sagen, wir halten uns aus ordnungspolitischen Gründen aus der industriellen Entwicklung heraus. Es muß ein klareres politisches Bekenntnis zur Industriepolitik geben.“
Und weiter: „Industrie, Wissenschaft und Politik müssen sich die Leitmärkte der Zukunft gemeinsam anschauen. Und wir müssen uns gemeinsam ein klares Ziel setzen: Deutschland will als industrieller Anbieter die gesamte Wertschöpfungskette darin vorhalten. Es muß Schluß damit sein, daß wir uns zwar zu Forschung und Entwicklung bekennen, dann aber achselzuckend akzeptieren, daß die Produktion in anderen Ländern stattfindet.“
Oder damit, so möchte man ergänzen, daß erfolgreiche deutsche Unternehmen durch ein „liberales“ deutsches Übernahmerecht als Marktkonkurrenten eliminiert werden können. Gabriel hat recht: Nach der Produktion geht auch die Forschung, womit wichtige Kernkompetenzen verloren gehen und womöglich ganze Industriezweige absterben.