Je länger die DDR zurückliegt, desto mehr verspüre ich, wenn von ihr in der Öffentlichkeit die Rede ist, eine merkwürdige Eifersucht auf sie. Und das sogar bei Meldungen wie die über die Stasi-Verstrickungen in der brandenburgischen Landtagsfraktion der Linken.
Denn es geht bei den Enthüllungen nicht um ein Verstehen der DDR-Geschichte und um eine Annäherung an sie, sondern um ihre Instrumentalisierung. Mein eigenes Leben war und bleibt mit dieser Geschichte verwoben. Und so wenig ich es bis 1989 mochte, instrumentalisiert zu werden, so wenig mag ich das heute. Weil man sich bei diesem komplizierten Thema nur den Mund und die Finger verbrennen kann, sei Folgendes vorausgeschickt:
Es wäre schön gewesen, wenn die DDR-Revolution über die Kraft verfügt hätte, die SED zu verbieten, ihr Vermögen einzuziehen, ihre Strukturen aufzulösen. Anschließend hätte sich eine radikal linke Partei – die zu einem vollständigen Parteienspektrum gehört wie eine rechtsradikale – neu gründen können.
Dann wäre dort weniger moralische Negativ-Auslese versammelt, weniger Altfunktionäre, Parteisekretäre, IM-Zuträger und Nostalgiker. Und wir hätten keine Bundestagsvizepräsidentin, die den Charme einer hauptamtlichen FDJ-Maid verströmt. Andererseits hat auch unsere Bundeskanzlerin eine Vergangenheit als FDJ-Funktionärin, was zu erwähnen den Rausschmiß aus der CDU bedeutet – siehe den Fall Rohbohm.
Es mußte wohl so kommen
Und vielleicht wäre ein SED-Verbot ja auch für einen russischen General das Signal gewesen, den deutschen Genossen zur Hilfe zu eilen? Also, es mußte wohl so kommen, wie es gekommen ist. Es ist nun mal ein Kreuz mit der verkorksten deutschen Geschichte.
Was die Stasi-Vergangenheit angeht, hätte es ein festes Regelwerk gebraucht. Für eindeutig kriminelle Vergehen wäre die Justiz zuständig gewesen, im übrigen hätte gelten müssen:
Bekenntnis – Buße – Schamfrist für tätige Reue – Vergebung. Jeder hauptamtliche Mitarbeiter und IM hätte dann gewußt, woran er ist und worin seine Chance liegt. So aber durften die einen hoffen, ohne Schuldbekenntnis davonzukommen, den anderen wurde Erpressungsmaterial in die Hände gegeben, das sie je nach politischer Opportunität veröffentlichen.
Nun wird der 52 Jahre alt Forstwissenschaftler und Linksparteipolitiker Michael Egidius Luthardt skandalisiert, weil er von 1977 bis 1980 seinen Wehrdienst „im Stasi-Wachregiment ‚Felix Dzierzyinski’“ geleistet hat. Das Regiment bewachte unter anderem die Einrichtungen von Partei und Regierung. Wer hier diente, war zuvor natürlich überprüft worden, ob er ein Sicherheitsrisiko darstellte, doch deswegen war er nicht automatisch ein Fanatiker und Denunziant.
Überdruß an der Moralisierung und Dämonisierung der DDR
Ein verstorbener Verwandter hat dort ebenfalls gedient: Er war politisch desinteressiert, nie Parteimitglied, intelligent, sportlich, gutaussehend und wollte Medizin studieren. Als er sich zum Dienst im Wachregiment bereit erklärte, spielte natürlich der Gedanke eine Rolle, daß dies für Chirurgenhände schonender wäre als der Dienst bei den Mot.-Schützen.
Auch gegen Luthardt wird als schlimmstes Delikt lediglich vorgebracht, er hätte innerhalb des Wachregiments zu einer speziellen Elitetruppe gehört, die ein Pendant zur bundesdeutschen GSG 9 bildete. Na, und?, möchte man fragen, ganz jenseits der eigenen politischen Vorlieben und Abneigungen. Ganz dämlich kann der Mann also nicht sein. Die DDR war ein Staat, und Staaten unterhalten Anti-Terror-Einheiten. Wer das für empörend hält, der reduziert die Existenz der DDR auf einen moralischen Skandal.
Spätestens an diesem Punkt werde ich eifersüchtig auf die DDR, die genauso Frucht und Folge des Zweiten Weltkriegs war wie die Bundesrepublik. Was abschätzig Ostalgie genannt wird, ist vor allem der Überdruß an ihrer Moralisierung und Dämonisierung, am dahinterstehenden historischen Unverstand – und an der Furcht der Bundesrepublik vor Selbsterkenntnis, die sie daran hindert, die DDR aus dem Kontext der deutschen Nationalgeschichte abzuleiten und auf sich selbst zu beziehen.