BERLIN. Der Direktor des polnischen Westinstituts, Andrzej Sakson, hat eine Zusatzdeklaration zum Nachbarschaftsvertrag mit Deutschland gefordert, um angeblich bestehende Asymmetrien zwischen beiden Ländern abzubauen. „Es nähert sich sein 20jähriges Jubiläum, und es wäre gut, über eine Durchsicht nachzudenken“, sagte Sakson der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita (Rz).
Gegenstand des Vorstoßes, der auch von polnischen Politikern unterstützt wird, ist die aus polnischer Sicht nach wie vor bestehende Ungleichbehandlung der in Deutschland lebenden deutschen Staatsbürger polnischer ethnischer Herkunft im Verhältnis zur deutschen Minderheit in den ehemaligen Ostprovinzen des Deutschen Reiches. Seit Jahren gibt es immer wieder Versuche, unter Verweis auf die vergleichsweise befriedigende Rechtsstellung der deutschen Heimatverbliebenen und ihrer Nachkommen für Polnischstämmige in Deutschland den Minderheitenstatus zu erwirken.
Informelle Beratungen über einen interpretierenden Zusatz zum „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17. Juni 1991“ sollen nach Informationen der Rz im Februar kommenden Jahres beginnen: auf einer wissenschaftlichen Konferenz am Westinstitut in Posen aus Anlaß des 70. Jahrestages der „Verordnung über die Organisationen der polnischen Volksgruppe im Deutschen Reich vom 27. Februar 1940“ des Ministerrats für die Reichsverteidigung, welche die Auflösung aller polnischen Vereinigungen und die Einziehung ihres Vermögens zur Folge hatte.
„Riesengroßes Mißverhältnis”
Bereits Ende August hatten polnische Organisationen in Deutschland die Anerkennung als polnische Minderheit sowie die Aufhebung der Verordnung gefordert.
„Die Bundesregierung gibt für die Unterstützung polnischer Sprache und polnischer Kultur höchstens einige hunderttausend Euro, wohingegen die Ausgaben Polens für das deutsche Schulwesen etwa 38 Millionen Złoty jährlich betragen“, monierte West-Institutschef Sakson. Die „Disproportionen“ seien „riesengroß“.
Die stellvertretende Vorsitzende der Sejm-Kommission für die Verbindung mit den Auslandspolen, Joanna Fabisiak von der Regierungspartei Platforma Obywatelska (PO), schlug in die gleiche Kerbe: „Wir haben es mit einer jahrelangen Nichtbeachtung von seiten vieler Regierungen zu tun, denn nur so läßt sich das bestehende Mißverhältnis zwischen unseren Ländern erklären.“
Sich anzusehen, wie zwischenstaatliche Verträge umgesetzt werden, sei nur zu berechtigt, und das polnische „Außenministerium führt solche Analysen durch“, versicherte die Sejm-Abgeordnete gegenüber der Rz.
„Verzicht auf Entschädigungsansprüche”
Auch vom ehemaligen Vize-Chef des Außenamtes, Karol Karski von der sozialkonservativen PiS-Vorgängerregierung, kam Unterstützung: „Ein guter Vorschlag.“ Seit den neunziger Jahren sei der Schutz der Minderheitenrechte weit ins Hintertreffen geraten. „Man kann also eine Deklaration herausgeben, die die Vorschriften des Vertrages interpretiert“, sagte Karski. Die Wiener Konvention lasse das zu.
„Zielführend“ wäre es nach Direktor Andrzej Sakson auch, darüber nachzudenken, „ob in einer künftigen Deklaration zum Vertrag von 1991“ nicht ein Zusatz „über gegenseitigen Verzicht auf alle Entschädigungs- und Besitzansprüche“ aufgenommen werden sollte. (ru)
> Das Westinstitut: „Die Heimstatt des nationalpolnischen Chauvinismus“