Die Schlacht von Solferino, die vor einhundertfünfzig Jahren, am 24. Juni 1859, geschlagen wurde, hatte nicht nur militärisch-politische Bedeutung, insofern sie ein entscheidender Schritt auf dem Weg zum italienischen Nationalstaat war und den Rückzug Österreichs von der Apenninhalbinsel besiegelte. Die Schlacht von Solferino war auch die Geburtsstunde einer der wichtigsten humanitären Organisationen: des „Roten Kreuzes“.
Bekannt ist die Geschichte des Schweizer Kaufmanns Henri Dunant, der eher zufällig auf das Schlachtfeld geriet und, entsetzt über das Elend der Verwundeten, spontan zu helfen begann, ohne auf die Nationalität der Soldaten zu achten. „Tutti fratelli!“ sollen die italienischen Frauen gerufen haben, die ihn unterstützten: Alle sind Brüder. Das entsprach dem Prinzip, dem sich das Rote Kreuz in der Folgezeit verpflichtet sah, gemäß seinem Motto „inter arma caritas“ („inmitten der Waffen Nächstenliebe“).
In einem der modischen Dokudramen, die das Fernsehen unlängst ausstrahlte, sah man Dunant, der einen Zug mit Verwundeten begleitete und zur Markierung weiße Laken und Decken verwendete, auf die mit Blut Kreuze gemalt worden waren. Es ist allerdings unwahrscheinlich, daß das Ursprung und Bedeutung von Symbol und Organisationsnamen erklärt.
Nach der offiziellen Darstellung hat das von Dunant und einigen anderen Genfer Bürgern gebildete Internationale Komitee der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege auf einer Konferenz, die mit Delegierten verschiedener Länder vom 26. bis zum 29. Oktober 1863 tagte, unter anderem beschlossen, daß Krankenpfleger beim Kriegseinsatz durch eine weiße Armbinde mit rotem Kreuz kenntlich zu machen seien. Das dann im Folgejahr gegründete Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat wohl auf Betreiben seiner Mitglieder Louis Appia und General Henri Dufour an dieser Regelung festgehalten, vielleicht um Dunant zu ehren (obwohl der kurz darauf aus dem IKRK ausgeschlossen wurde), sicher aber aus patriotischem Stolz, denn das neue Symbol entsprach der Umkehrung der schweizerischen Flagge, dem weißen griechischen Kreuz im Zentrum eines roten Feldes.
Das Rote Kreuz ist ein „Schutzzeichen“, das sich seit dem 19. Jahrhundert wachsender internationaler Anerkennung erfreut und im Krieg sowohl von militärischen Sanitätseinheiten und Lazaretten als auch von zivilen Krankenhäusern verwendet wird. Personen, Fahrzeuge, Gebäude oder Schiffe, die entsprechend markiert sind, sollen von Kampfhandlungen ausgenommen werden. Das IKRK selbst ist zu strikter Neutralität verpflichtet und hat sich in der Vergangenheit als vermittelnde Instanz in Konfliktfällen großes Ansehen erworben. Bereits während des Deutsch-Dänischen Krieges 1864 kam das Rote Kreuz zum Einsatz und entfaltete seine „protektive“ Wirkung, weil es gemeinhin von allen Kampfparteien geachtet wurde.
Allerdings gab es rasch Einwände gegen die Gestaltung von seiten verschiedener Staaten, die im Kreuz ein genuin christliches Symbol sahen, das sie aus religiösen Gründen nicht übernehmen wollten. Dementsprechend führte das Osmanische Reich während des Kriegs gegen Rußland 1876 einen Roten Halbmond mit Stern (also die Umkehrung der türkischen Flagge) als Zeichen seines Sanitätswesens ein. Diese Entscheidung ist durch das IKRK anerkannt und in die Genfer Konvention in der Fassung von 1929 beziehungsweise 1949 aufgenommen worden.
Sehr kurzlebig waren demgegenüber Varianten wie eine Rote Zeder im Libanon (unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg), eine Rote Palme in Syrien (item), ein Rotes Rhinozeros im Sudan (item) oder eine Rote Flamme mit dem Roten Kreuz in Thailand (zwischen 1893 und 1906). Langfristig erhalten hat sich als anerkanntes Emblem neben dem Roten Kreuz und dem Roten Halbmond nur der Rote Löwe mit Sonne des Iran; allerdings verzichtete die neue Führung nach Errichtung der Islamischen Republik 1982 auf dieses Emblem und übernahm den Roten Halbmond.
Nicht offiziell anerkannt sind der Rote Davidstern von Israel und das Rote Hakenkreuz auf Ceylon/Sri Lanka. Allerdings wurde im September 2005 durch das IKRK der Entschluß gefaßt, mit einem „Roten Kristall“ (ein auf die Spitze gestelltes Quadrat) ein drittes Emblem einzuführen, das eine hinreichend große weltanschauliche Neutralität verbürgen würde.
Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.
Foto: Hinweisschild auf eine Apotheke im türkisch besetzten Teil von Nikosia, 2008: Internationales Schutzzeichen