Spielt sich im Iran derzeit eine Revolution ab? Wenn ja, dann ist es vielleicht die erste reale Internet-Revolution. Auf den Straßen Teherans kämpfen Polizei und Wächter des Mullah-Regimes mit konventioneller Gewalt gegen aufgebrachte Anhänger der Opposition.
Die eigentliche Schlacht findet jedoch nicht mit Knüppeln, Tränengas und Pistolen auf der Straße statt, sondern auf den Datenautobahnen des virtuellen Computernetzes. Mit immer neuen technischen Blockaden bemüht sich die iranische Führung, Herr über den Informationsfluß zu werden, der via SMS, Twitter, Facebook, Youtube in Echtzeit um den Erdball an Milliarden Empfänger verbreitet wird.
Die Herrschenden der Welt machen die unangenehme Erfahrung der Asymmetrie, wenn sie der millionenfachen Macht der Vielen im Netz gegenüberstehen. Nicht nur spontane demokratische Demonstrationen, auch die Kriege der Partisanen von morgen werden sich über das Netz organisieren.
Voraussetzungen für Zensur im Netz
Al-Qaida, die nicht lokalisierbare informelle Plattform des islamistischen Terrorismus, ist der Prototyp – und das Schreckbild. Nicht nur im Iran oder China, auch in den freiheitlichen Staaten des Westens wollen Regierungen nun die Möglichkeit der totalen Kontrolle über die Informationsnetze gewinnen.
Unter dem sympathischen Vorwand, die Verbreitung von Kinderpornographie im Internet einschränken zu wollen, installiert die Bundesregierung durch das jetzt verabschiedete „Zugangserschwerungsgesetz“ über das BKA Filter, die das Aufrufen „anstößiger“ Seiten stoppen sollen.
Bereits jetzt zeichnet sich ab, daß es um die prinzipiellen technischen Voraussetzungen für Zensur im Netz geht. Schon wird über eine Ausweitung auf „Killerspiele“, aber auch „verfassungsfeindliche“ Seiten diskutiert. „Es wird eine Sperrinfrastruktur aufgebaut“, stellen Kritiker fest.
Microsoft „filtert“ schon
Da unmittelbare staatliche Zensur durch das Grundgesetz verboten ist, müssen sich die Freunde obrigkeitlicher Meinungslenkung auf andere Methoden verlegen. So existieren bereits jetzt privatwirtschaftlich angebotene Filterprogramme, die anstößige Seiten in Großnetzen sperren. Wenn Eltern ihre Kinder schützen, wenn eine Firma oder eine öffentliche Behörde verhindern will, daß ihre Angestellten von ihrem Arbeitsplatz aus pornographische oder extremistische Seiten aufrufen – dann ist dies verständlich.
Was aber, wenn solche Filter auch an Universitätsrechnern und anderen öffentlichen Einrichtungen eingesetzt werden, wo Bürger sich politisch frei informieren wollen, und plötzlich die Seite einer unabhängigen kritischen Zeitung gesperrt wird – wie im Falle der JF schon geschehen?
Ein spektakulärer Fall von Internetzensur zeichnet sich jetzt bei der vom Software-Riesen Microsoft mit Millionenaufwand vermarkteten Suchmaschine Bing ab, die Google den Rang ablaufen soll: Dort wird in der deutschen Version die Internetseite der JUNGEN FREIHEIT durch Filter so ausgesteuert, daß sie in den Ergebnislisten nicht mehr angezeigt wird. Trotz Protesten hat Microsoft Deutschland bislang das „Ausfiltern“ der JF-Internetseite nicht aufgehoben. Ein Vorgeschmack auf weiche Zensur im Westen, die alle treffen kann.
JF 27/09