NÜRNBERG. Überdurchschnittlich häufig sollen Verhaltensauffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen mit einer rechtsextremen Gesinnung einhergehen. „Wir führen keine Statistik“, sagte der Chefarzt der Jugendpsychiatrie am Klinikum Nürnberg, Viktor Herlitz, gegenüber der Nürnberger Zeitung. „Doch wir haben solche Fälle immer wieder aus der ganzen Region.“
Die meisten Patienten würden jedoch nicht aufgrund ihrer Gesinnung, sondern wegen psychischer Beschwerden oder psychotischer Erkrankungen klinisch behandelt, macht der leitende Arzt der Jungendabeilung für Psychische Gesundheit des Universitätsklinikums Erlangen, Oliver Kratz, deutlich. Erst im Verlaufe von Gesprächen entdecke der Psychiater hinter Verhaltensauffälligkeiten „latenten oder offenen Rechtsradikalismus“.
Rechtsextremismus als Folgeerscheinung
Diejenigen Jugendlichen, die während ihrer Behandlung eine „tiefbraune Ideologie“ erkennen lassen, seien häufig besonders ängstlich, depressiv oder aggressiv. „Probleme in der Schule oder Schwierigkeiten im sozialen Bereich“ ließen diese anfällig für rechtsextreme Gruppen werden. „In diesem Kreis finden sie eine neue Heimat“, verdeutlicht Herlitz.
„Die Überweisungsgründe in die Psychiatrie sind so gut wie immer andere“, ergänzt Friedrich Lösel vom Institut für Psychologie der Universität Erlangen-Nürnberg. Aber es sei doch auffällig, wie viele Patienten zum Rechtsradikalismus neigten. Bisweilen müßten Gutachter sogar feststellen, ob bei rechtsextremen Straftaten ein Jugendlicher überhaupt voll schuldfähig sei.
Sinkende Kontrolle der Eltern
Als besonders schwierig bezeichnen die Forscher dabei die sinkende Kontrollmöglichkeit der Eltern. Hätten diese noch vor früher beim Telefonieren beiläufig erfahren, mit wem sich ihre Kinder treffen, so würden Kontakte heute durch das Internet aufgebaut, stellt Kratz fest: „Noch vor einigen Jahren wußten die Eltern, wo und mit wem die Kinder ihre Zeit verbringen – das ist jetzt völlig anders.“
Dennoch plädieren die Forscher für einen akzeptierenden Umgang mit der Gesinnung der Patienten: „Mit reinen Vorwürfen kommt man nicht weiter – das geht meistens nach hinten los.“ Damit wenden sie sich implizit allerdings gegen das Konzept des „Kampfes gegen Rechts“, der das Modell einer akzeptierenden Jugendarbeit, wie es mit rechtsextremen Jugendlichen noch in den neunziger Jahren praktiziert wurde, scharf ablehnt und seitdem auf Repression und Ausgrenzung setzt. (FA)