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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Einblick in die Hexenküche

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Seit seiner Entdeckung durch die „Nouvelle Vague“ und François Truffauts Buch „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ gilt der britische Regisseur (1899–1980) als Autorenfilmer. Ein Image, das er selbst kräftig gefördert hat: Nicht allein, daß er seine – in doppelter Hinsicht – gewichtige Person zur Kultfigur stilisierte, gekrönt durch Kurzauftritte in (fast) jedem seiner Filme, auch in den Filmen scheint jedes Detail sein Markenzeichen zu tragen.

Dagegen will die Ausstellung „Casting a Shadow. Alfred Hitchcock und seine Werkstatt“ der Deutschen Kinemathek den teamorientierten Hitchcock zeigen, das Universal-Monument ein wenig unterspülen. Aber keineswegs mit destruktiver Absicht – schließlich sind selbst hochqualifizierte Mitarbeiter zu keiner Höchstleistung fähig, wenn der Rudelführer sie nicht abverlangt, wenn er nicht in allen Bereichen kompetent ist. Ebendiese Kompetenz hat sich der barocke Brite früh angeeignet, als er 1925 die UFA-Studios in Babelsberg besuchte. Dort beobachtete er Friedrich  Wilhelm Mur­nau bei den Dreharbeiten zu „Der letzte Mann“ und fungierte als Drehbuchautor, Ausstatter sowie Regieassistent für die deutsch-britische Co-Produktion „The Blackguard / Die Prinzessin und der Geiger“. Die Erfahrung mit dem Berliner Filmschaffen sollte Hitchcocks Stil lebenslang prägen. Sein erster Krimi, „The Lodger“ (Der Mieter, 1926), zeigte eine unmittelbare Verarbeitung des deutschen Filmexpressionismus.

Daß der Großmeister nicht – wie er oft glauben machte – schon vor Beginn des Drehs den fertigen Film vor Augen hatte, daß manche Szenen seiner Spätstreifen von Mitarbeitern gefilmt wurden, ist seit langem bekannt (so hat er zum Beispiel den legendären Duschmord in „Psycho“ gar nicht selber inszeniert, sondern sein Titelgraphiker Saul Bass). Aber die Ausstellung zeigt mit zahlreichen Storyboard-Entwürfen, Briefen, Fotos oder Kostümzeichnungen – im Vergleich mit den fertigen Filmszenen – den permanenten Einfluß der Mitarbeiter. Sie vermittelt Einblicke in Hitchcocks Großküche und stellt jene Lieferanten vor, mit deren Zutaten der Regisseur den Hexentrank seiner Ängste und Begierden zusammenstellte, auf daß er dem Publikum schmackhaft werde.

Zu diesen Assistenz-Hexenmeistern gehörten die Kostümbildnerin Edith Head (für „To Catch a Thief“, dt. Über den Dächern von Nizza, 1954, und „The Birds“, dt. Die Vögel, 1963) oder Christian Dior (für „Stage Fright“, dt. Die rote Lola, 1950), der Spezialeffekt-Kameramann John Fulton (für „Saboteur“, 1942) oder Graphiker für Vorspanntitel wie Saul Bass („Psycho“, 1960) und James S. Pollack („The Birds“, 1963). Umgekehrt zeigen diese Dokumente aber auch, wie Hitchcock das Talent der Mitstreiter für seine ästhetischen Visionen nutzbar machte. Das reicht bis zum Image der Stars. So läßt Edith Heads Kostümentwurf für Grace Kelly („To Catch a Thief“) bereits deren anbeterische Stilisierung durch den Regisseur erkennen.

Als Enttarnung Hitchcockscher Selbsterhöhung dient das – nachträglich angefertigte – Diagramm zur Szenenauflösung in „North by Northwest“ (Der unsichtbare Dritte, 1959). Das sollte einst suggerieren, daß der allmächtige Meister jeden Kameraschuß und alle Bewegungen der Darsteller vorab geplant habe.

Der angrenzende Vorführraum präsentiert Ausschnitte aus Fernsehgesprächen mit dem Altmeister. In der Sendung „Frankfurter Stammtisch“ (aus den Sechzigern) beklagte er die mangelnde Abgrenzung des Films von traditioneller Bühnenästhetik. Die meisten Zelluloid-Werke erinnerten ihn bloß an „Fotos von Leuten, die spricht“, wie er in eigenwilligem Deutsch erläuterte. Aber auch das Abfilmen purer Aktion wie reitender Cowboys ergebe noch keinen Film. Kino, und da blieb er ganz der Filmtheorie der zwanziger Jahre verhaftet, sei vor allem Montage. Er führte dies am Beispiel eines „Schockschnitts“ aus: In „Psycho“ schleicht der Privatdetektiv die Treppe im Bates-Haus empor. Dies sei aus hoher Luftperspektive gefilmt. Wenn dann Normans Mutter hervorstürzt und auf den Detektiv einsticht, springt die Kamera unmittelbar in eine Nahaufnahme vom entsetzten Gesicht des Opfers. Nicht das Spiel der Akteure, sondern dieser Schnitt von der Totalen in die Großaufnahme verursache den Schockeffekt dieser Szene.

Da Hitchcock glaubte, ein Film entstehe „am Schneidetisch“, hätte die Ausstellung auch einige seiner Cutter vorstellen können. Schließlich sind die Vertreter dieser Sparte zugleich die am wenigsten bekannten. Und eine Vertiefung von Hitchcocks Montagetheorie könnte auch für mehr Verständnis für dessen Umgang mit Schauspielern wecken. So sagte er zu Janet Leigh („Psycho“) und Vivien Merchant („Frenzy“, 1972): „Ich sage Ihnen nicht, wie Sie spielen sollen. Wenn ich nicht wüßte, daß Sie spielen können, hätte ich Sie nicht engagiert.“ Keine gemeinsame Rollenanalyse, keine Vorgaben zur Filmfigur – nichts. Aber Hitchcock konnte sich diese Laissez-faire-Haltung erlauben, eben weil sein Universum der Angst nicht durch Schauspiel, sondern mittels Montage funktioniert. 

Die Ausstellung „Casting a Shadow. Alfred Hitchcock und seine Werkstatt“ ist bis zum 10. Mai in der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Potsdamer Straße 2, Berlin-Tiergarten täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, zu sehen. Der Eintritt kostet 4 Euro (ermäßigt 3 Euro) Telefon: 030 / 30 09 03-0, Internet: www.deutsche-kinemathek.de.

Foto:  Kostümentwurf von Edith Head für Grace Kelly in dem Film „Über den Dächern von Nizza“, 1955: Anbetende Stilisierung

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