Als am 28. Januar 1938 die deutsche Presse bekanntgab, wie Hitler die Stadt Berlin durch einen umfassenden Neugestaltungsplan in den nächsten Jahren umzubauen und verkehrstechnisch zu modernisieren vorsah, da schien es fast, als träte die Person des eigentlich hauptverantwortlichen Architekten, des Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt, Albert Speer, für einen Augenblick in den Hintergrund. Und tatsächlich: Speers Architekturbüro und seine Behörde des Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt (GBI), durch Erlaß Hitlers vom 30. Januar 1937 geschaffen, hatte im wesentlichen die architektonischen und stadtplanerischen Ideen Adolf Hitlers umzusetzen. Im Grunde war Speers Architekturbüro folgerichtig ein hochqualifiziertes Ausführungsorgan der Vorstellungen des „Architekten Hitler“, der bekanntlich selbst gerne vorskizzierte. Wohl auch im Bewußtsein dieser unmittelbaren physischen Nähe und des ausgeprägten persönlichen Interesses Hitlers – neben der Perspektive der inspirierenden gewaltigen Bauaufgabe – mußten Speers engere Mitarbeiter ihre gewaltige Aufgabe in Angriff nehmen. Hieraus mag sich ihre vielfach belegte hohe Motivation erklärt haben. Die von Speer für die Umsetzung der Neugestaltungsideen ausgesuchten Abteilungsleiter der Planungsstelle, wo alle wichtigen Bauprojekte entwickelt bzw. architektonisch und baurechtlich umgesetzt wurden, zählten wie Speer selbst kaum mehr als dreißig Jahre. Einer der engsten Mitarbeiter Speers in dieser Zeit und einer von nur vier Abteilungsleitern in der entscheidenden Planungsstelle des GBI, neben den Architekten Willi Schelkes, Speers Studienfreund Rudolf Wolters sowie dem Juristen Gerhard Fränk, war der Architekt Hans Stephan (1902-1973). Jüngst nun ist Hans Stephan, der übrigens unter anderem direkt für die erfolgreiche Planung der fertiggestellten Ost-West-Achse verantwortlich war, als Zeichner und Karikaturist der Neugestaltung unter Albert Speer erneut ins Bewußtsein der Forschung gerückt. Die Wiederauffindung und wissenschaftliche Aufarbeitung von fotografischen Wiedergaben seiner Zeichnungen, ein Verdienst der Autoren Lars Olof, Ingolf Lamprecht und der Autorin Sabine Larsson, zeigt Überraschendes: von frischer Selbstironie getragene, intelligente Satire. Ihre Anfang dieses Jahres im kleinen Kieler Verlag Ludwig erschienene Dokumentation der Zeichnungen Hans Stephans wirft unerwartet ein neues Licht auf die Arbeit der Planungsstelle, das Verhältnis der leitenden Mitarbeiter Speers zueinander und zu ihrem Chef und schließlich deren Blick auf die Neugestaltung Berlins. Das Buch beinhaltet zudem eine Biographie Stephans, welcher zunächst von 1937 bis 1942 bei der Generalbauinspektion beschäftigt, danach bis Kriegsende mit der Wiederaufbauplanung kriegszerstörter westdeutscher Städte betraut und schließlich 1956 als Senatsbaudirektor von Berlin (West) ausgerechnet verantwortlich für die Planung der Internationalen Bauausstellung im Berliner Hansaviertel gewesen ist. Unter dem von ihm nachträglich selbst gewählten Titel „Fröhliche Neugestaltung oder Die Gigantoplanie von Berlin 1937-1943“ konnten nun die Bearbeiter erstmals die in Fotografien überlieferten Karikaturen der Neugestaltungsmaßnahmen, mit beißendem Witz gezeichnete Glückwunschadressen an Speer und diverse meist satirische Porträts der Mitarbeiter in großer Anzahl versammeln. Nachdem bereits in den 1950er Jahren einzelne der farbigen Blätter Eingang in verschiedene baufachliche Publikationen fanden, liegt nunmehr endlich eine zusammenhängende Dokumentation vor. Dies war möglich geworden, da vereinzelte Diapositive und vor allem Fotoabzüge der Karikaturen in zwei von Stephan zusammengestellten Mappen im Nachlaß erhalten blieben. Eine der Fotomappen stammte noch aus den Kriegsjahren, die andere aus dem Jahr 1973. Ein Vermerk des Zeichners auf dem Titelblatt der jüngeren Mappe informiert darüber, daß sich die mehrfarbigen Originale damals noch in seinem Besitz befanden. Heute sind diese aquarellierten Federzeichnungen zwar verschollen. Die wiederaufgefundenen Fotowiedergaben überraschen dennoch: sie zeigen geradezu in amerikanisch anmutendem „Comic-Stil“ humorvolle Anspielungen auf wichtige, meist vertraute Großprojekte, etwa die Umsetzung der Siegessäule an die neue Ost-West-Achse oder die von Geschützen freigeschossene Schneise als Anspielung auf die Überwindung von Hindernissen zur Freimachung von Flächen für die geplante Nord-Süd-Achse, aber auch den beeindruckten Staatsbesucher in einer endlos anmutenden Marmorgalerie der Neuen Reichskanzlei. Andere Blätter zeigen unter anderem einen übriggebliebenen Schrebergarten-Pächter inmitten von Riesenbauten der geplanten Nord-Süd-Achse oder auch das versehentliche Greifen des Riesenbaggers nach dem Reichstagsgebäude anstelle eines Steines für die „Große Halle“. Als Hitler Speer einmal durch die Beauftragung seines Erzrivalen Hermann Giesler zur Neugestaltung von Hitlers Heimatstadt Linz Speer tief beleidigte, zeichnet Stephan diese Begebenheit in einer glänzenden Satire ebenso, wie er Speer andererseits herzhaft aufgrund der nicht enden wollenden Ehrungen und zuerkannten neuen Ämter „auf den Arm nimmt“. Karikaturen aus dem politischen Umfeld der höchsten Führer des Dritten Reiches waren bisher vor allem von der Fliegerlegende Ernst Udet bekannt. Nun scheint mit den Zeichnungen aus dem Speer-Stab eine weitere Lücke auch zu diesem Thema geschlossen. Fotos: Der Architekt Hans Stephan karikiert die Gigantomanie der „Germania“-Pläne: Irrtum beim Bau der Großen Halle – „Der Kollege vom Kran F hat versehentlich das Reichstagsgebäude gegriffen“; Modell der „Großen Halle“ mit Pariser Platz, dem Reichstag und Brandenburger Tor: Vorstellungen des „Architekten Hitler“; Lars Olof, Sabine Larsson, Ingolf Lamprecht: „Fröhliche Neugestaltung“ oder Die Gigantoplanie von Berlin 1937-1943. Albert Speers Generalbebauungsplan im Spiegel satirischer Zeichnungen von Hans Stephan. Verlag Ludwig, Kiel 2008, kartoniert, 128 Seiten, 19,90 Euro