Deutsche haben Angst vor der Polizei“, hieß es in den USA, während unsere Urgroßeltern die „Yankees“ für „flegelhafte Gesellen“ hielten. Vor hundert Jahren galten US-Amerikaner und Deutsche im Bild des anderen als Parvenüs. Berlin und Chicago symbolisierten die Lebenskraft zweier junger, dynamischer, vielleicht auch aggressiver Nationen. Auch wirtschaftlich marschierten sie an der Spitze des Fortschritts. Elektrotechnik, Chemie und Stahl, Leitsektoren moderner Industrie, waren stark entwickelt. Doch existierten auch fundamentale Unterschiede; letztlich gingen beide Mächte verschiedene Wege. Historiker und Sozialwissenschaftler gestalteten diesen interessanten Sammelband, der den deutsch-amerikanischen „Wettlauf um die Moderne“ thematisiert. Allerdings fehlt das analytische Fazit, mehrere Beiträge stehen relativ unverknüpft nebeneinander. Dennoch ist der „rote Faden“ zu erkennen. Die amerikanische Kultur prägt ein starker wirtschaftlicher Individualismus. Lange Zeit spielte der Staat eine sekundäre Rolle; er ließ Wirtschaft und Kirche „freien“ Lauf. Deutsche Geistliche ordneten sich dem Staat unter, der schon im 19. Jahrhundert begann, die Wirtschaft sozial abzufedern. Wurde im Kaiserreich der Staat abstrakt überhöht, so genoß die US-Verfassung eine „beispiellose zivilreligiöse Verehrung“. Erst 1935 setzte in der „Neuen Welt“, durch Not erzwungen, staatliche Sozialpolitik ein. Extreme Ungleichheit bestimmte amerikanische Zustände, der autoritäre Staat reglementierte deutsche Verhältnisse. Nach 1945 kopierte Westdeutschland viele Elemente des amerikanischen Modells, selbst die Verfassungsgerichtsbarkeit ähnelte dem Supreme Court. US-Amerikaner bestehen auf nationaler Souveränität, die Deutschland, das ständig Hoheitsrechte an Brüssel verliert, preisgibt. Viele Amerikaner bewunderten deutsche Bildungs- und Sozialsysteme, deren Vorbildcharakter durch zunehmenden Sozialabbau und den Bologna-Prozeß bald dahin sein wird. Das multikulturelle Projekt treibt die USA, wo Bürger, deren Ahnen in Europa lebten, bald einer Minorität angehören, ungebremst in stürmische See. Ähnlich wie Rom, scheitert Amerika aus den gleichen Gründen, die seinen Aufstieg bedingten. „Damit ein globales Imperium entstehen kann, muß die Republik liquidiert und die Bürgerschaft globalisiert werden. Das galt für Rom — und gilt nun auch für die Vereinigten Staaten.“ Christof Mauch, Kiran Patel (Hrsg.): Wettlauf um die Moderne. Die USA und Deutschland 1890 bis heute. Pantheon Verlag, München 2008, gebunden, 480 Seiten, 16,95 Euro