Es war alles andere als eine friedliche Demonstration. Es war auch keine demokratische Demonstration, obgleich es die meisten Beteiligten so sahen. Aber unzweifelhaft war es eine beeindruckende Machtdemonstration. Selten hat man in Deutschland erlebt, daß so vielfältige divergente Kräfte sich zusammenschlossen, Differenzen für eine Weile ruhen ließen und auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiteten: die Verhinderung des Anti-Islamisierungskongresses in Köln, organisiert von der Bürgerbewegung Pro Köln. Ein erstaunliches Bild, wie Politiker, Bürger, Gewerkschaftsfunktionäre und Kirchenmänner einmütig Seite an Seite schritten: Bürgermeister, Pfarrer, Atheist — Linksautonomer, Lehrer, Polizist. Günter Wallraff und die „Satanischen Verse“ Als Mythos erscheint die geschlossene Front gegen den Feind. Denn den Gesetzen der Logik gemäß hätten die Demonstranten eigentlich begeisterte Anhänger einer Islamisierung Deutschlands sein müssen. Ausgerechnet in einem Aufruf gegen den „Rassistenkongreß“ äußerte die linksextreme Antifa Köln dagegen Unmut über den Islam, der „gefangen in feudalistischen Normen und Ordnungsvorstellungen längst vergangener Zeiten“ sei. Koran-Suren wurden entsprechend als „Seufzer“ verunglimpft, ebenso die Anhänger der Scharia als „reaktionäre politische Bewegung“. Ein anderer Aufruf endete mit den Worten: „Zeigt Pro Köln, daß ihr für eine Gesellschaft frei von Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus, Islamismus und Patriarchat eintretet.“ Warum man dazu die Anhänger von Pro Köln verprügeln muß, bleibt ein Geheimnis. Auch andere Kölner Bürger, die so beherzt „ihre“ von der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) geplante Großmoschee verteidigten, haben mit dieser so ihre Schwierigkeiten. Beispielsweise der Schriftsteller Günter Wallraff: Erfreut zeigte er sich über das Verbot des Anti-Islamisierungskongresses, welches sein Kollege Henryk M. Broder als „Kapitulation des Rechtsstaates“ bezeichnete. Wallraff sprach lieber von der „Spezies des ewigen deutschen Mitläufers“ und meinte damit nicht etwa die Demonstranten. Andererseits muß man wissen, daß auch Wallraff seine private Fehde mit der Ditib austrägt. Als „selbsternannter Dialogbeauftragter“ versteht er sich nämlich als Gesandter eines multikulturellen Traumlandes, aus dem ihn die Ditib einst unsanft erweckte. Denn als Wallraff sein volkspädagogisches Lieblingsprojekt vorschlug, Salman Rushdies „Satanischen Verse“ in einer Moschee vorzulesen, schlug ihm die Ditib dagegen dezent vor, die Tür zu benutzen. Seitdem ist Deutschlands wohl bekanntester säkularer Inquisitor auch schon mal zur Islamkritik entschlossen, die dann so klingt: „Und wenn der türkische Ministerpräsident Recep Erdoğan, als er noch Bürgermeister von Istanbul war, einen türkischen Dichter zitiert: Die Minarette der Moscheen sind unsere Lanzen, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Armee, dann ist das nicht ganz von der Hand zu weisen, daß man da durchaus hinterfragt, was meint der eigentlich, ja?“ Ja, was könnte er wohl meinen? Auch ein anderer Kölner Sprachstilist hat Verständigungsschwierigkeiten mit dem türkischen Ministerpräsidenten. Denn zumindest in einigen europäischen Ländern ist jetzt CDU-Oberbürgermeister Fritz Schramma als solcher bekannt, nachdem er die Kongreßteilnehmer als „braune Biedermänner“, „Rassisten im bürgerlichen Zwirn“ und Teil einer „verfaulten Clique des Eurofaschismus“ begrüßte, kurzum als „braune Soße, die in die Toilette gehört“. Soviel rhetorischer Einsatz dürstet nach Anerkennung, und die erhofft sich Schramma von Erdoğan. In einem Brief weist er diesen auf ein im Februar in Köln gegebenes Versprechen hin, eine christliche Pilgerstätte im türkischen Tarsus zu ermöglichen. Bisher muß Erdoğan dies nämlich irgendwie entfallen sein. „Es wäre ein deutliches und unübersehbares Zeichen nach innen und außen für die in den heutigen Zeiten so wichtige Toleranz in Glaubensfragen“, erinnert ihn nun Schramma. Homosexuelle werden „abgebügelt“ Subtilität ist offensichtlich nicht Schrammas Stärke, denn in dem Brief heißt es weiter: „Ich möchte bei dieser Gelegenheit daran erinnern, ohne daraus irgendwelche Ansprüche ableiten zu wollen, wie wichtig mir stets die Umsetzung des Baus der Moschee in Köln in Trägerschaft der Ditib war, … die dem türkischen Staat bekanntermaßen sehr nahesteht.“ Nachdem Schramma so energisch gegen den Anti-Islamisierungskongreß vorgegangen ist, erhofft er sich nun ein türkisches Dankeschön: „Ich würde mich daher sehr freuen, wenn aus der Türkei ein ähnliches Zeichen gesendet würde und wenn Sie sich als Ministerpräsident an die Spitze dieser Bewegung stellen würden und ein deutliches Zeichen setzen.“ Man darf gespannt sein, ob sich die rheinische Diplomatie durchsetzen wird. Auf der unteren Ebene dürfte sie jedenfalls schon mal gescheitert sein. Volker Beck, Kölner Bürger und für die Grünen im Bundestag, reihte sich selbstverständlich auch in die Phalanx der Irgendwie-gegen-Nazi-Protestierer ein. Er sei „stolz auf meine Stadt“, bedankt sich Beck bei seinen Mitstreitern, die erfolgreich die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit ausgehebelt hatten. Doch in dieser Welt gibt es nichts umsonst, auch nicht Becks Zivilcourage. „Die muslimischen Verbände sollten sich gegen die antisemitische und antiisraelische Demonstration zum sogenannten al-Quds-Tag am Wochenende wenden“, verlautbarte er. Am al-Quds-Tag, dem letzten Tag des Ramadan, der dieses Jahr auf den 27. September fiel, versammelt die schiitische Terrororganisation Hizb Allah traditionell ihre Anhänger und fordert die Vernichtung Israels, Tod den Zionisten, die Islamisierung von Jerusalem und dergleichen mehr. „Wir haben letzte Woche in Köln unsere Solidarität mit den Rechten der Muslima und Muslime in Deutschland zum Ausdruck gebracht. Jetzt ist die Solidarität und der demokratische Standpunkt der muslimischen Organisationen gefordert“, sagte Beck. Leider konnte er selbst nicht zu dieser Protestveranstaltung in Berlin kommen. Sonst hätte er feststellen können, daß die „Muslima und Muslime in Deutschland“ an diesem Tag offensichtlich gerade Besseres vorhatten. Als Frohnatur, die auch außerhalb der Karnevalszeit öfter feiert, gerne sich selbst und gerne auch mit Fahnenaufmärschen — so stellt sich die Ditib eine „Friedensdemonstration“ vor. Unter dem Motto „Hand in Hand für Frieden und gegen Terror“ demonstrierten vor vier Jahren in Köln über 20.000 Menschen — und unter einem unüberschaubaren Meer roter Fahnen mit weißem Emblem. Über hundert Quadratmeter maß die größte der türkischen Fahnen. Hinter ihrem mächtigen Halbmond stellte ein Transparent unmißverständlich klar: „Terror darf nicht dem Islam zugeschoben werden.“ Was im Umkehrschluß dann wohl heißt, daß die Christenverfolgungen in der Türkei im ortsüblichen Nationalchauvinismus begründet liegen. Auch die „Islam heißt Frieden“-Schilder waren unübersehbar. Das ist zwar nicht ganz richtig, weil Islam eigentlich „Unterwerfung“ bedeutet, aber warum auch nicht. Es wäre ja nicht das erste Mal in Deutschland, daß eine „bedingungslose Kapitulation“ sich im nachhinein als Befreiung herausstellte. Es ist das Versagen elementarster Überlebensinstinkte, welches die Proteste gegen den Anti-Islamisierungskongreß so bizarr erscheinen läßt. So fordert Beck, sonst eigentlich Cheflobbyist des deutschen Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD), weiter Rechte über Rechte für die nach Deutschland drängenden und in Deutschland lebenden Muslime. Dabei übersieht der Politiker großzügig, daß es inzwischen wohl zur verbreiteten Freizeitgestaltung muslimischer Jugendlicher gehört, regelrechte Hetzjagden auf Homosexuelle zu veranstalten (JF 13/08). Wie egal deren Schicksal in einer islamischen Mehrheitsgesellschaft der Ditib ist, davon konnte sich der LSVD am „Tag der offenen Moschee“ ein Bild machen. Rund vierzig Aktivisten suchten hier den Dialog mit der Ditib. Offen stand ihnen die Moschee jedoch nur beim Hinausgehen. „Abgebügelt“ habe man sie, klagte der Berliner SPD-Politiker und LSVD-Beisitzer Georg Härpfer dem Spiegel. Übrig bleibt der Verdacht, daß sich nicht wenige der Demonstranten in Wirklichkeit auch gerne unter die Islamkritiker gereiht hätten. Natürlich nur unter einem schützenden Banner, auf dem man sich von den handfesten Argumenten des gewaltfreien Widerstands distanziert, um anschließend nicht von den Medien als „braune Soße“ die Toilette runtergespült zu werden. Solange ein solches Banner aber nicht in Sicht ist und Wallraff lieber Bücher für die Bibliothek der Kölner Großmoschee sammelt (damit die unsere Kultur kennenlernen), begnügt man sich mit der weit ungefährlicheren Jagd auf „Nazis“, „Rassisten“ und anderen „Islamophoben“ in Köln und anderswo. Stichwort: Al-Quds-Tag Die schiitische Hizb Allah („Partei Gottes“), die laut Verfassungsschutz in Deutschland über 900 Anhänger verfügt, veranstaltet alljährlich in Berlin den „al-Quds-Tag“, an dem an die „Befreiung“ Jerusalems erinnert wird. Auch dieses Jahr demonstrierte ein Bündnis linker Politiker, jüdischer Organisationen, der Antifa und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes — Motto „Zusammen gegen antisemitische und antiisraelische Hetze“ — gegen den Al-Quds Aufmarsch. Foto: Linke Gegendemonstranten erwarten Teilnehmer des Anti-Islamisierungskongresses am 19. September in Köln: Nur wenige sind begeistert von der Islamisierung