Simon Dach ist einer der frühen bedeutenden Barockdichter (1604—1659) der deutschen Sprache. Es sollte nicht nur für Germanisten der Mühe wert sein, sich mit ihm zu befassen. In Deutschland haben dies Gottlieb Bayer bereits im 18. Jahrhundert und gut hundert Jahre später Hermann Österley federführend mit ihren Biographien getan. In den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat dann noch Alfred Kelletat sein Reclam-Heftchen zum Thema „Simon Dach und der Königsberger Dichterkreis“ herausgebracht. Ansonsten ist es um Simon Dach eher still geworden, insbesondere an germanistischen Seminaren deutscher Universitäten. Es ist deshalb erfreulich, daß diese Stille jetzt wenigstens an der Kant-Universität in Königsberg (Kaliningrad) unterbrochen wurde. Wladimir Gilmanov ist zwar nicht wie dieser in Memel geboren, aber 350 Jahre später in Kaliningrad. Er hat nach mehrjähriger Beschäftigung mit dem ostpreußischen Barockdichter das obige Werk vorgelegt. Schon der Titel deutet an, daß es nicht nur eine russische Biographie Simon Dachs darstellt. Gilmanov analysiert in einem ersten Teil gleich die gesamte Barocksituation im deutschen Sprachraum, politisch, philosophisch und literarisch. Dabei arbeitet er die Eigenheit des ostpreußischen Gebietes um Königsberg heraus, das in der Barockzeit durchaus in besonderer Weise geprägt war. Äußerlich blieb es vom Dreißigjährigen Krieg nur indirekt betroffen. Diese relative Kriegsferne und der besondere Einfluß der Lehre Luthers bestimmten die Barockpoetik Königsbergs wesentlich. In einem zweiten Teil verknüpft Gilmanov die Biographie Simon Dachs aufs engste mit dessen Werk. Das gelingt auch deshalb, weil er seine Darlegungen durch häufige Zitate aus Dachs Dichtung belegt. Dabei verfährt er so, daß er das deutsche Original zitiert und dazu eine russische Übersetzung gegenüberstellt. Schon deshalb, weil bis heute nur ganz wenige Gedichte wie von Sem Simkin vom Werk Dachs ins Russische übertragen sind, stammen die Übersetzungen alle von Gilmanov selbst. Er zielt dabei stets auf zweierlei. Einmal achtet er auf die inhaltliche Übereinstimmung, zum anderen versucht er in der Form der Gedichte im Russischen den Reim zu erfassen. Gilmanov referiert bei seinen Zitaten also nicht nur Inhalte, sondern schafft Nachdichtungen. Wie schwer das gewesen sein muß, wird jedem Deutschen klar, der — des Russischen weniger kundig — dieses Buch aufschlägt und die deutschen Zitate auf sich wirken läßt. Der merkt schnell, daß es im Jahre 2008 durchaus einige Konzentration erfordert, die Inhalte vor allem der fast 400 Jahre alten Lyrik Dachs auf deutsch zu verstehen. Natürlich ist da im Russischen nicht nur der Sprachwissenschaftler gefordert, sondern auch eine philologische Formkraft. Simon Dach widerfährt nach dieser langen Zeit das Glück, daß sich mit Wladimir Gilmanov ein russischer Universitätslehrer seines Werkes annimmt, der beide Begabungen in sich vereint. Auf diese Weise übertragen, enthält das Buch fast fünfzig Gedichte Simon Dachs, davon etwa ein Dutzend kürzere vollständig. Dazu gehört auch das „Exegi-Monument“, der Eigenhymnus Dachs auf die Ewigkeit des dichterischen Werks. Im dritten Teil geht Gilmanov speziell auf das Ännchen von Tharau ein. Er schildert die Umstände der Entstehung, die inhaltliche Bedeutung und geht schließlich auf die Legenden ein, die sich um diese Person ranken. Den vierten Teil widmet er dem Königsberger Dichterkreis. Darin erläutert er die Bedeutung der Kürbishütte für diesen, nimmt darin sogar die Verortung der einstmals wirklich vorhandenen Kürbishütte im gegenwärtigen Kaliningrad vor. Der kongenialen Zusammenarbeit Simon Dachs mit Heinrich Albert gibt er entsprechend Raum. Zur Illustration bildet er das Titelblatt der „Musikalischen Kürbishütte“ ab, die „Heinrich Alberten“ herausgab. Es handelt sich dabei um eines von sieben Bildern, die dem Buch beigegeben sind. Der fünfte Teil ist ein besonders anspruchsvolles Kapitel, in dem der Autor auf die Barockdichtung als Erfahrung des Todes und der Hoffnung eingeht. Das Thema behandelt er im Kontext der regionalen Geistesgeschichte. Mit einbezogen sind die zwei bekannten Streite, deren Ausgangspunkt Königsberg war und die den ganzen deutschen lutherischen Raum erfaßten. Schon dadurch wird die Bedeutung dieses Kapitels deutlich. Besonderen Wert verleihen dem Buch die Verzeichnisse am Schluß. Hilfreich sind vor allem die zehn Seiten des „Wörterbuches der Begriffe“. Es reicht von Agape bis Eschaton. Wer käme da ohne dieses aus? Die anschließende Bibliographie umfaßt sieben Seiten. Sie führt alle Literatur auf, die zu Simon Dach nennenswert ist. Schließlich fügt er noch ein fünfseitiges Namensverzeichnis an, das jeden erfaßt, der zu Simon Dach etwas beigetragen hat. Nachdem Wladimir Gilmanov so überlegt beim Entwurf seines Buch vorgegangen ist, überrascht eigentlich nicht, daß man schon vor Erscheinen in Kaliningrad erkannte, wie vorbildlich es ist. Im Rahmen eines regionalen Wettbewerbs im Jahre 2007 wurde das Manuskript im letzten Herbst als eines der besten unter etwa sechzig befunden und erlangte damit die Drucklegung, die der Autor selbst kaum hätte finanzieren können. Wenigstens die Verbreitung des Buches unter den Germanisten in Rußland ist damit gesichert. Leider wird an dieser Stelle auch der derzeit noch größte Mangel des Buches sichtbar. Deutschen Germanisten bleibt das Gilmanovsche „Geheimnis des Barock“ noch weitgehend verborgen, weil es nicht in einer übersetzten Ausgabe vorliegt. Dem sollte schnellstmöglich abgeholfen werden. Wladimir Gilmanov: Simon Dach und das Geheimnis des Barock. Verlag Terra Baltica, Königsberg 2008, gebunden, 310 Seiten, Abbildungen, 12,50 Euro