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Marc Jongen, ESN Fraktion

Weiß-blau-rote Bekenntnisse

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Cato, Palmer, Exklusiv

Jeweils am 28. August des Jahres wird der Tag der Rußlanddeutschen begangen. Dieses Jahr findet die zentrale Veranstaltung der Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland, der Vereinigung Heimat und anderer Interessenverbände am 30. August vor dem Berliner Reichstag statt, andere sind in Friedland und Augsburg geplant. Der 1982 eingeführte Gedenktag stimmt nicht nur deshalb nachdenklich, weil er an den Stalinischen Deportationserlaß vom 28. August 1941 und dessen tragische Folgen für die gesamte deutsche Volksgruppe in der Sowjetunion erinnert. Das Datum gibt vor allem Anlaß, das Augenmerk auf die nicht unproblematische Lage der rußlanddeutschen Aussiedler zwischen Rhein und Oder zu richten. Als Zuwanderer für lange Zeit ausgesprochen beliebt Manch einer wird sich noch an die Tage vor dem Halbfinal-Aus der russischen Fußballnationalmannschaft Ende Juni erinnern, als außer den allgegenwärtigen schwarzrotgoldenen Fahnen viele türkische, italienische und eben auch russische Flaggen gezeigt wurden. Letzteres war auf deutschem Territorium in diesem Ausmaß noch bei keinem anderen großen internationalen Sport-ereignis zu beobachten gewesen und veranschaulicht das Entstehen russisch geprägter Parallelgesellschaften. Außer durch die bundesweit eher zu vernachlässigenden Kontingente „echter“ Russen und russischer Juden in den Metropolen, vor allem in Berlin, rekrutiert sich diese Parallelgesellschaft zunehmend aus den Reihen rußlanddeutscher Aussiedler. Der Volksmund und die Massenmedien differenzieren längst nicht mehr, wenn sie die hier lebenden Rußlanddeutschen pauschal als „Russen“ bezeichnen. Diese Aussiedler sind geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie sich die öffentliche Wahrnehmung einer größeren Bevölkerungsgruppe in nur anderthalb Jahrzehnten grundlegend verändern kann. Die Ursachen sind zunächst quantitativer Art. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zogen rund vier Millionen Aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland – vor allem Oberschlesier, Rumäniendeutsche und nicht zuletzt Rußlanddeutsche. Die Gesamtzahl der aus der ehemaligen Sowjetunion Übergesiedelten beläuft sich auf über 2,3 Millionen, wobei einige hunderttausend jüdische Kontingentflüchtlinge und zahlreiche nicht-deutschstämmige Ehepartner und Familienangehörige rußlanddeutscher Aussiedler eingeschlossen sind. Das Aufnahmeland sah sich dadurch vor außerordentliche organisatorische wie soziale Herausforderungen gestellt. Immerhin kam der weitaus größte Teil dieser Migranten mit dem Gefühl hierher, deutsch zu sein. Das bedeutete zugleich, daß ihre Loyalität zunächst eindeutig dem deutschen Staat gehörte, selbst wenn man die deutsche Sprache als Folge der sowjetischen Nachkriegsrepressionen nicht beherrschte. Zumindest bei jenen Aussiedlern, die vor der Wende von 1989 nach Westdeutschland einreisten, war sogar ein viel stärkeres Nationalbewußtsein als bei Binnendeutschen spürbar. Hier kamen die Erfahrungen als eine angefeindete ethnische Gruppe in einer andersnationalen Umgebung zum Tragen. Für die Rußlanddeutschen galt lange, daß sie eine große Bereitschaft zeigten, sich an die örtlichen Verhältnisse anzupassen. Bloß nicht als Aussiedler auffallen, das war oberstes Gebot, zumal man sich vielfach tatsächlich durch Sprache, Kleidung, Eßgewohnheiten, Wohnungseinrichtung deutlich von den Einheimischen abhob. Der Wille, die eigene, ohnehin gebrochene kulturelle Identität weiterzutragen, war nur gering ausgeprägt. Speziell die Jüngeren orientierten sich ganz an hiesigen Normen und Moden. Nur bei sehr religiösen Gruppen wie den rußlanddeutschen Mennoniten oder Adventisten bestanden schon immer deutliche Vorbehalte gegen manche typischen Aspekte der bundesdeutschen Gesellschaft. Vor allem diese Gruppen dürften zahlenmäßig inzwischen von erheblicher Bedeutung für das freikirchliche Gemeindeleben in Deutschland sein. Als Zuwanderer und Arbeitskräfte waren die Rußlanddeutschen für lange Zeit ausgesprochen beliebt. So titelte der Spiegel im Jahr 1992 (Nr. 48) „Unsere Russen“ und berichtete über eine „erstaunliche Fremdenfreundlichkeit“ gegenüber den Aussiedlern. Sie galten als fleißig, unkompliziert, anspruchslos und anpassungsfähiger als andere Migrationsgruppen. Doch das änderte sich schnell. Nur ein paar Jahre später gilt dieses Bild nicht mehr. Rußlanddeutsche oder eben „die Russen“ erscheinen fast immer als Problemfaktor. Insbesondere in städtischen Ballungsgebieten wie Berlin (allein im Stadtbezirk Marzahn-Hellersdorf wohnen um die 25.000 Rußlanddeutsche, von denen über 60 Prozent von Hartz IV leben) oder in regionalen Ansiedlungszentren wie im niedersächsischen Landkreis Cloppenburg, im Hunsrück oder im badischen Lahr mit ihren hohen rußlanddeutschen Bevölkerungsanteilen von bis zu 30 Prozent fallen jüngere Angehörige dieser Gruppe durch fehlende Integrationsbereitschaft und Kriminalität auf. Seit Mitte der neunziger Jahre ist eine deutliche Häufung der Konflikte mit der alteingesessenen Bevölkerung zu beobachten. Desgleichen eine weitverbreitete Verärgerung der Einheimischen über die wachsenden Sozialleistungen nicht nur an türkische, afrikanische oder andere ausländische Migranten, sondern auch an die häufig als nicht minder fremd empfundenen rußlanddeutschen Spätaussiedler. Mythen und diffuse Stimmungsbilder Das gleiche gilt für den Kriminalitätsvorwurf. Die bekannten Jugendstudien des hannoverschen Kriminologen Christian Pfeiffer aus den Jahren 2005 und 2007 haben das eindeutig belegt. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wiesen rußlanddeutsche Spätaussiedler demzufolge nach jungen türkischen Zuwanderern die höchste Kriminalitätsrate auf, weit vor den heranwachsenden Binnendeutschen. Unterstrichen sei hierbei das Wort „Heranwachsende“. Denn nicht selten ist allgemein nur von „den Aussiedlern“ die Rede. Diesen Sprachgebrauch hat schon im Jahr 2000 eine Studie der Kriminologischen Forschungsgruppe der bayerischen Polizei (KFG) ad absurdum geführt. Sie konstatierte Mythen und diffuse Stimmungsbilder in Medien und an den Stammtischen und resümierte: „Die Quantität der Aussiedlerkriminalität ist derzeit nicht besorgniserregend. In den Jahren 1997 und 1998 sind Aussiedler ähnlich hoch mit Kriminalität belastet wie Deutsche. Die Anzahl der polizeilich registrierten tatverdächtigen Aussiedler bietet damit keinen Anlaß zur Dramatisierung.“ Und auch der Beirat für Spätaussiedlerfragen im Innenministerium erklärte beschwichtigend: „Die Kriminalitätsbelastung ist bei Aussiedlern insgesamt nicht höher als bei einheimischen Deutschen. Allerdings tritt Aussiedlerkriminalität im wesentlichen als Jugendlichenkriminalität in Erscheinung.“ Infolge des fast gestoppten Nachzugs aus den GUS-Staaten – zur Hochzeit der Einreise kamen im Jahr 1994 über 210.000 Aussiedler, 2007 nur noch 5.600, und im ersten Halbjahr 2008 waren es 1.842 Personen – hat sich diese Situation mittlerweile zwar deutlich gebessert, doch für eine Entwarnung ist es noch zu früh. Bedingt durch die veränderte Struktur der jüngsten rußlanddeutschen Aussiedlerwelle (ungleich schlechtere bzw. fehlende Deutschkenntnisse, hoher Anteil andersnationaler Familienmitglieder, rein russische Sozialisation) und die stetig abnehmende soziokulturelle und wirtschaftliche Integrationskraft des Landes besteht eine – durch den Machtgewinn des Putinschen Rußland noch verstärkte – wachsende Tendenz zur Schaffung einer durch die russische Sprache geprägten eigenen Kulturlandschaft. In Gebieten konzentrierter Ansiedlung haben sich ghettoartige Strukturen verfestigt – mit kyrillisch beschrifteten Lebensmittelläden, Buchhandlungen, eigenen Restaurants und Reisebüros oder den vielen sogenannten „Russen-Discos“. Nicht nur in den mitteldeutschen Bundesländern läßt sich seit längerem eine Ostalgie-Welle beobachten, sondern auch unter Rußlanddeutschen. Konkrete Integrationsfehler durch die Politik Im Ausnahmefall vermischen sich beide Entwicklungen mit einer irrationalen Verklärung früherer Zeiten und münden politisch in Sowjetnostalgie. Die große Mehrheit der Rußlanddeutschen ist davor allerdings gefeit, da die zahllosen Opfer des roten Terrors nicht ganz vergessen sind und die heutigen Konsummöglichkeiten im „Goldenen Westen“ ungleich attraktiver wirken als die sattsam bekannte kommunistische Mangelwirtschaft. Bei Erklärungsversuchen für die Herausbildung der genannten Parallelgesellschaften ist nicht nur auf die Selbstausgrenzung vor allem jüngerer Rußlanddeutscher hinzuweisen, die sich in ihrer Flucht ins „Russische“ manifestiert. Auch die fehlende Bereitschaft der hiesigen Meinungsmacher und mit ihnen eines beträchtlichen Teils der binnendeutschen Bevölkerung, diese Menschen gegebenenfalls als Landsleute kennenzulernen und innerlich anzunehmen, ist ein Teil des Problems. Vielleicht sogar der wichtigste. Denn was weiß ein bundesdeutscher Normalbürger schon von der Geschichte der Rußlanddeutschen, ihren Leistungen, besonderen kulturellen Prägungen, aber auch ihren unvorstellbaren Leiden im 20. Jahrhundert? Darüber hinaus sind von seiten der Politik eine Reihe konkreter Integrationsfehler begangen worden, etwa die Nicht-Anerkennung mitgebrachter Schul- und Berufsabschlüsse. Insbesondere akademisch gebildete Aussiedler wurden so unnötig vor den Kopf gestoßen. Ein Teil findet bis heute keinen Ausweg aus der Misere und muß sich mit unbefriedigenden Jobs herumschlagen, während für die vielen rußlanddeutschen Landarbeiter und andere Minderqualifizierte ohnehin kaum Arbeitsplätze vorhanden sind. Folgerichtig resümiert man im Bundesministerium des Innern etwas hilflos, daß die Integration seit Mitte der 1990er Jahre „trotz rückläufiger Zuzugszahlen schwieriger geworden“ sei. Um dem entgegenzuwirken, setzt die Bundesregierung zwar auf „gemeinwesenorientierte und wohnumfeldbezogene Projekte“. Doch aufgrund des „ganz ähnlichen Integrationsbedarfs bei Spätaussiedlern und Ausländern“ hat man mittlerweile die vormaligen speziellen Spätaussiedlerprojekte „für alle Zuwanderer geöffnet“. Foto: Berliner Fanmeile beim EM-Spiel Rußland gegen Spanien: Deutsche „Russen“ oder „echte“ Russen?   Stichwort: Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland Die Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland (Hauptsitz in Stuttgart) sieht sich als Interessenvertretung, Hilfsorganisation und Kulturverein aller Rußlanddeutschen in der ganzen Welt. Sie bietet die obligatorische Migrationserstberatung (MEB), offene Seminare und Veranstaltungen sowie kostenlose Sozialberatung (bis zu 50.000 Fälle jährlich) an. Sie betreut zudem die Wanderausstellung „Volk auf dem Weg. Geschichte und Gegenwart der Deutschen aus Rußland“. Weitere Informationen im Internet unter deutscheausrussland.de sowie unter ornis-press.de.

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