Ein Jahr ist es her, seit Franz Müntefering den Bundeskanzler in der Rolle des SPD-Vorsitzenden abgelöst hatte. Das Wort „Rolle“ wurde bewußt gewählt, weil Gerhard Schröder ja die „Funktion“ des SPD-Vorsitzenden nie ausgeübt, bestenfalls „ausgefüllt“ hatte. Die Partei war Gerhard Schröder seit seinen Anfängen als Jungsozialist im Grunde immer schnuppe, immer nur Mittel zum Zweck gewesen, Mittel, um über die SPD politische Karriere zu machen. Deshalb haben wir ihn in seiner gesamten Parteilaufbahn auch nie in ernsthafte ideologische oder programmatische Gruppen- oder Fraktionskämpfe verwickelt gesehen. Schröder hatte immer das vertreten und dank seines alle Konkurrenten überragenden Redetalents für sich mehrheitsfähig gemacht, was seine Anhänger in der jeweiligen Zeit(geist)strömung hören wollten. Als Bundeskanzler in einer für das gesamte Land schwierigen Phase, in der im Prinzip nur noch unpopuläre Entscheidungen getroffen werden müssen, fiel ihm diese Rolle gegenüber seiner Mitgliedschaft immer schwerer. Also war der Schachzug naheliegend, den Parteivorsitz der Sozialdemokraten abzugeben. Auch das wurde ihm auf dem Parteitag vor einem Jahr von den Delegierten mit Sympathiebekundung honoriert. Und die Rechnung schien aufzugehen: Im zweiten Halbjahr 2004 holte die SPD wieder auf, die Union mußte bei Landtagswahlen tüchtig Federn lassen, die SPD zog in Meinungsumfragen an. In der SPD selber verbesserte sich das Klima, Müntefering erschien als der richtige Mann für die Doppelrolle des Partei- und Fraktionsvorsitzenden. Doch plötzlich ist die SPD auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt. Schleswig-Holstein war die Probe aufs Exempel, und dort ist nicht nur die vermeintliche SPD-Übergröße Heide Simonis, sondern die Partei insgesamt auf die Nase gefallen. Das vor aller Öffentlichkeit aufgeführte Polittheater hat nicht nur die soeben noch hochgejubelte „Heide“ ins totale Abseits gestellt, sondern auch den Parteivorsitzenden beschädigt. Führungsschwäche wird ihm vorgeworfen, weil er die Kieler Trotz-„köpfin“ nicht rechtzeitig in die Schranken verwiesen hat. Hinzu kommen Pannen und Mißhelligkeiten in der Fraktion sowie solche zwischen Fraktion und Bundesregierung, deren Knirschen nur allzu oft und allzu deutlich nach außen dringt. Damit ist der Vorteilsschub seit der Übernahme des Parteivorsitzes durch Müntefering wieder dahin. Die Sozialdemokraten sind jetzt wieder dort angekommen, wo sie schon vor einem Jahr standen. Das aber ist nur zum Teil ein Problem „Müntefering“. Gewiß ist naßforsches Auftreten, wenn es die Grenzen zur Arroganz überschreitet, ein wichtiger Hemmschuh. Doch ebendies ist eine der wesentlichen Eigenschaften des SPD-Vorsitzenden. Darin war und bleibt ihm eben der Smarty Schröder überlegen. Wichtiger ist aber, daß zwischen den Parteien und ihren Fraktionen – das ist bei der Union nicht anders – Klüfte entstanden sind, die sich nur noch schwer überbrücken lassen. Die Parlamentarier haben den Draht zu ihren Mitgliedern (von den Wählern ganz zu schweigen) verloren, gelten als abgehoben, als bloße Ja-Sager im Sinne ihrer Fraktionsführungen, zu feige, eigene Meinungen zu äußern, nur noch am Erhalt ihrer Posten interessiert. Diesem wesentlichsten Makel gegenzusteuern, ist auch Müntefering nicht gelungen.