Sie wird im nächsten Bundestag fehlen: Vera Lengsfeld. Die 53 Jahre alte ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin gehört zu den wenigen in der CDU, die in der Öffentlichkeit den Mund aufmachen, eigene Gedanken äußern und sich auch nicht scheuen, die Tabus der „political correctness“ zu verletzen. Doch das kam nicht gut an in ihrer Partei, die häufig den Anschein erweckt, sie schicke lieber stromlinienförmige Aktenkofferträger in die Parlamente als eine querköpfige Ex-Dissidentin. Lengsfeld fordert von der CDU nichts geringeres als eine Anti-68er-Revolution. „Ein bloßer Politikwechsel wird nicht genügen“, mahnt Lengsfeld mit Blick auf die mögliche Abwahl von Rot-Grün. „Es reicht nicht, hier das Steuerrecht zu verbessern, da ein paar Ausgaben zu streichen. Wir brauchen einen Kultur- und Mentalitätswandel“, sagte Lengsfeld gegenüber der liberalen Zeitschrift eigentümlich frei (ef). Vor Autoritäten wollte Lengsfeld noch nie kuschen. Als junge promovierte Philosophin an der Ost-Berliner Akademie der Wissenschaften protestierte sie 1983 öffentlich gegen die Stationierung sowjetischer Atomraketen in Mitteldeutschland, wurde darauf von der SED abgestraft und aus der Partei ausgeschlossen. Fünf Jahre später wurde sie am Rande einer Demonstration verhaftet, von der DDR-Justiz wegen versuchter „Zusammenrottung“ verurteilt und nach London abgeschoben. Noch vor dem Mauerfall kehrte sie nach Berlin zurück. Sie engagierte sich an den Runden Tischen und half mit, den SED-Staat zu überwinden und die Stasi-Hinterlassenschaften aufzuarbeiten. Anfang der neunziger Jahre erfuhr sie, daß ihr eigener Ehemann, der Schriftsteller Knud Wollenberger, sie zehn Jahre im Auftrag der Stasi als IM „Donald“ bespitzelt hatte. Die Mutter von drei Kindern ließ sich scheiden und nahm wieder ihren Mädchennahmen Lengsfeld an – soweit die persönliche Tragödie. Erstaunlich ist jedoch der Humor und die gute Laune, die sie sich bewahrt hat. Ihr Buch „Von nun an ging’s bergauf … Meine drei Leben“ durchweht trotz aller Schicksalsschläge ein andauernder Optimismus. Im Bundestag, wo sie seit den ersten gesamtdeutschen Wahlen 1990 saß, wechselte Lengsfeld 1996 zur CDU, da Bündnis90/Die Grünen ihrer Auffassung nach immer weniger Distanz zur SED-Nachfolgepartei hielt. SED-Nostalgiker haben gut jubeln Das Versprechen auf Meinungsfreiheit, welche die Bürgerrechtler nach dem Untergang der DDR erhofften, habe das wiedervereinigte Deutschland nur bedingt gehalten. „Ich habe festgestellt, daß man sich Meinungsfreiheit tagtäglich erkämpfen muß“, sagte Lengsfeld kürzlich der katholischen Tagespost. „In einem Klima, das von den 68ern einschlägig geprägt ist, die in ihrer Jugend Marx-Engels-Lenin-Mao verinnerlicht haben, da ist Meinungsfreiheit nicht selbstverständlich.“ Offene Debatten fänden in Deutschland kaum noch statt, sie seien ideologisch geprägt. „Wenn mal ein offenes Wort gesagt wird, das gegen die politische Korrektheit verstößt, sind die fast unvermeidlichen Folgen Hysterie, Ausgrenzung und Einforderung von Sanktionen.“ Besonders bitter für Lengsfeld ist, daß ihr erzwungener Abgang aus dem Bundestag mit dem Wiederaufstieg der nun erneut umbenannten ehemaligen DDR-Staatspartei zusammenfällt. Lengsfeld ist es nicht gelungen, in ihrem Thüringer Wahlkreis erneut als CDU-Direktkandidatin aufgestellt zu werden (JF 27/05). Damit ist das Ende ihrer Zeit im Bundestag besiegelt. Gelernte DDRler und SED-Nostalgiker haben gut jubeln – sie sind die sperrige Antikommunistin jetzt endlich los. Das ehemalige FDJ-Zentralorgan Junge Welt freut sich, die als „nützliche Idioten zur Abwicklung und Delegitimierung der DDR“ verhöhnten Bürgerrechtler wie Lengsfeld, Günter Nooke (CDU) und Werner Schulz (Bündnis 90/Die Grünen) aus dem Bundestag ausscheiden zu sehen. Auch in der CDU mag der eine oder andere aufatmen, daß Lengsfeld nun geht. „Es gab Versuche, besonders in der Thüringer Presse, die noch von alten SED-Journalisten dominiert wird, mich als ‚konservativ‘ und damit für die CDU als ‚unhaltbar‘ abzustempeln“, stellt Lengsfeld gegenüber dem ef-Magazin fest. Ihr größter Sieg in der Politik sei gewesen, durch eine Änderung des Bergrechts im Einigungsvertrag eine großangelegte Landschafts- und Umweltzerstörung zu verhindern. Auf die Frage nach ihrem „schlimmsten Erlebnis im Bundestag“ antwortet Lengsfeld ohne Zögern: „Der Ausschluß von Martin Hohmann“. Ihre Parteinahme für den in die Kritik geratenen Fuldaer Abgeordneten hat ihr selbst langfristig geschadet. Ans Aufgeben möchte Vera Lengsfeld noch lange nicht denken, ein kluger Kopf gibt nicht auf. Doch die Art, wie die CDU sie aus dem Bundestag herausgedrängt hat, hat sie nachdenklich gemacht. Acht Jahre CDU-Fraktion waren ernüchternd: „Meine Erfahrung in und mit der CDU sagt mit, daß Volksparteien alten Stils die heutigen Probleme nicht lösen können.“ Steht ein Austritt aus der CDU bevor? Denkt sie gar an eine eigene Parteigründung? Lengsfeld kann oder will noch keine klare Antwort geben: „Ich habe jahrelang einem neuen Parteiprojekt keine Chance gegeben. Jetzt bin ich nicht mehr sicher“, sagte Lengsfeld im ef-Magazin. Der Aufstieg der neuen Linkspartei zeige, wie man eine heimatlose Klientel sammle. Als „echte politische Marktlücke““ bezeichnet Lengsfeld ein „Angebot für alle, die Veränderungen und wirkliche Reformen hin zu freiheitlichen Strukturen wollen“.