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Marc Jongen, ESN Fraktion

Das Schöne, man kann auswählen

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Berlin ist eine eigenartige Stadt. Die einen sehen in ihr eine moderne Weltmetropole, andere lediglich ein heterogenes Konglomerat mit Rudimenten preußischer Architektur. Die einen erinnern an die verspätete Boomtown mit ihrer Avantgarde in den sogenannten Goldenen Zwanzigern, die anderen an die Frontstadt des Kalten Krieges, mit Kaufhaus des Westens hier und Stalinallee dort. Daß in Berlin „trotz aller preußischen Mentalität und Ordnungskraft Freiheit für gegenwärtige Gedanken herrscht“, meint Susanne Titz, Kuratorin der Sonderausstellung „Temporary Import“ auf dem 10. Art Forum Berlin, das bis zum 3. Oktober in den Messehallen am Funkturm stattfindet. Das mag nur jemand so ausdrücken, der nicht in Berlin lebt. Wahr jedoch ist, daß diese Stadt eine hohe Anziehungskraft auf Künstler aus dem In- und Ausland ausübt. Sei es, weil sie so heterogen ist, also Platz für all jene bietet, die nach der eigenen Façon selig werden wollen. Sei es, weil es keine polizeiliche Sperrstunde, relativ günstige Ateliermieten, das Künstlerhaus Bethanien sowie das Künstlerprogramm des DAAD (Deutsch Akademischer Austauschdienst) gibt. „Temporary Import“ will denn auch einen exemplarischen Überblick über die Arbeiten von internationalen Kunststipendiaten bieten, die in den letzten zehn Jahren in Berlin lebten und oft auch hier hängenblieben. Von der Revolte zur Erfolgsgeschichte Für Sabrina von Ley, Leiterin der Kunstmesse, ist das Art Forum Berlin „grundsätzlich eine Erfolgsgeschichte“. Man hört das Aber geradezu heraus, denn der Weg von der Revolte einiger unzufriedener Galeristen gegen das Kunstestablishment der Art Cologne bis hin zur Gründung der Berliner Messe und ihrer internationalen Anerkennung war lang und beschwerlich. Messen werden gesungen oder aber an ihrem kommerziellen Erfolg gemessen. Auch in der Kunst. Was dazu führte, daß das Art Forum im Jahr seiner Gründung bereits vor dem Aus stand. Heute, neun Jahre später, teilen sich weit über 100 Galerien aus 25 Ländern den Platz in den lichtdurchfluteten Ermisch-Hallen. Über 3,50 Meter hohe Stellwände ermöglichen sowohl die Petersburger Hängung (Bild über Bild) als auch Präsentationen von Monumentalwerken. Ein Viertel der von einer fünfköpfigen Jury ausgewählten Teilnehmer ist erstmals in Berlin dabei. Die Erfolgsmeldung des letzten Jahres war der Verkauf eines Gemäldes von Neo Rauch, des mittlerweile berühmtesten Sohnes der Leipziger Schule, für 170.000 Euro nach Nordamerika. In diesem Kontext erstaunt es, wie bieder sich die internationale Kunstmesse nach außen hin präsentiert: Geworben wird im verbalen Dreischritt der klassischen Werbeindustrie mit „frisch, energisch, qualitätsvoll“. Um dann in das Stereotyp der immergleichen Werbeslogan privater Radiosender zu verfallen: „die besten Künstler und ihre Galerien aus Berlin, Deutschland, Europa, den USA, Lateinamerika, Asien und Australien“. Für Aufsehen im Vorfeld sollte das Gemälde „Der Kunde ist König“ von Sigurd Wendland sorgen, ein Fake, der in seiner bezeichnend pornographischen Simplizität ironischer Kommentar auf die Messe selbst sein könnte: ein nackter Mann, der eine Frau über dem Warenkorb von hinten nimmt. Kunstmessen, die gegen das Art Forum aufbegehren Gut, daß es zeitgleich Kunstmessen gibt, die wiederum gegen das Establishment des Art Forums aufbegehren. Sie hantieren mit weniger Geld, dafür mit mehr Idealismus. So ist etwa im „2. Berliner Kunstsalon“ (Arena Treptow, bis 6. Oktober) eine Skulptur mit ungewöhnlicher Entstehungsgeschichte zu sehen: Monatelang fahndete der Künstler Christoph Kopac nach einer 1,50 großen Frau, als Vorlage für seine „Wassernymphe mit Perlenhaar“. Nachdem das ideale Modell endlich gefunden war, verlor die junge Frau nach einem Ganzkörperabguß sämtliche Haare und forderte entnervt eine Gagenerhöhung. Nun fehlte das Geld an anderer Stelle. Ob im „2. Berliner Kunstsalon“, bei der „Berliner Liste 05“ (Umspannwerk Kopenhagener Straße, bis 3. Oktober) oder der „Preview – The Emerging Art Fair“ (Backfabrik Saarbrücker Straße, bis 2. Oktober), überall geht es um ein möglichst breites Spektrum internationaler Gegenwartskunst – um Themen wie Migration, Mobilität, virtuelle Welten, reale Sehnsüchte und sich rasant verändernde Weltbilder. Und natürlich um provozierende. So wirbt die „Berliner Liste 05“ mit einem geschmacklosen Plakat, auf dem ein sehr junges Mädchen in leicht lasziver Pose eine Zigarette raucht, aufgenommen am Bahnhof Ostkreuz, einem sozialen Brennpunkt der Stadt. – Das Schöne, man kann auswählen. So ist das in Berlin. Bild: Höher hängen: Rasant steigende Preise – das „Diktat“ von Neo Rauch

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