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Im Museum Europäischer Kulturen in Berlin behandelt die Ausstellung „Menschenbild und ‚Volksgesicht'“ derzeit mutig einen oft verdrängten Gegenstand. Die Porträtkunst der 1930er und 1940er Jahre war es, mit der damals das Menschengesicht als Verbildlichung und Ausdrucksform des Volksganzen dargestellt werden sollte. Allein schon die Wahl des Untertitels der Ausstellung „Porträtfotografie zwischen Konstruktion und Propaganda“ verdeutlicht, auf welch dünnen Eis sich die Ausstellungsmacher mit der Thematisierung von „NS-Kunst“ bewegen. Dieser Konflikt ist ähnlich geartet immer wieder bei der Auseinandersetzung um das künstlerische Vermächtnis von Leni Riefenstahl hervorgetreten, wobei jedoch mittlerweile die Erkenntnis obsiegt hat, daß eine Dämonisierung dieser Kunst genau das Gegenteil hervorrufen kann. Dennoch meistert die Ausstellung, ein Kooperationsprojekt des Instituts für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin und des Instituts Kunst im Kontext der Universität der Künste, den Drahtseilakt zwischen politisch korrekter Museumspädagogik und notwendiger Distanz zum künstlerischen Objekt. Gleichwohl stand für die Ausstellungsmacher schon vor Beginn der Konzeption fest, daß allein der damalige Versuch, das Volksgesicht nachzuzeichnen, aus heutiger Warte als völlig absurd zu bewerten sei. Gleich im ersten Ausstellungsraum wird der Besucher darüber aufgeklärt, daß sich die Porträtkunst zwar schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts langsam zu etablieren begann, ihr jedoch erst nach der Instrumentalisierung für die nationalsozialistische „Blut und Boden“-Ideologie der eigentliche Durchbruch gelungen sei. Hier war es vor allem die Fotografin Erna Lendvai-Dircksen (1883-1962), die sich fortan auf völkische Aufnahmen konzentrierte und dabei nicht nur bei den NS-Propagandisten große Begeisterung hervorrufen konnte. Durch die Motivauswahl – deutsche Trachten, Bräuche und Landschaften – brachte sie dem damaligen Zeitgenossen die Naturverbundenheit und Schönheit der bäuerlichen Lebensform nahe, die von den Vertretern der dominierenden Weltanschauung als Vorzeigemodell für die Idee der Volksgemeinschaft interpretiert wurde. Die Gesichter ergreifen auch den heutigen Betrachter Die Landschaft, so die These der Fotografin, die sich 1952 rückblickend als „Entdeckerin der deutschen Physiognomie“ bezeichnete, habe das jeweilige „Stammesgesicht“ der Menschen geprägt. Dabei wurde der Volksbegriff vor allem mittels Postkarten, Fotografie und Zigarettenbildchen der breiten Masse in bildlicher Darstellungsform vermittelt. Für ihre nach Regionen aufgeteilte knapp 20bändige Reihe „Das deutsche Volksgesicht“ nahm Lendvai-Dircksen anhand der unterschiedlichen deutschen Landschaften, Baustile und Menschenschläge die jeweiligen typischen Ausdrucksformen der deutschen Landesteile auf. In Porträtaufnahmen versuchte sie das charakteristische „Antlitz der deutschen Stämme“ einzufangen, das sie – einem jeden Stamm seine spezifischen Charaktermerkmale zuordnend – in der Summe als Ausdrucksform des „organisch gewachsenen“ Volksganzen interpretierte. Das Volk schien so als „einheitliche natürliche Lebensgemeinschaft mit all seinen Wurzeln im Boden einer Landschaft“ verankert zu sein. Ihre Bilder sollten dem „Volksgenossen“ als positive Identifikationsobjekte dienen, in denen er sein eigenes Volk wie auch sich selbst wiederfinden konnte. Thematisch eingebettet war die Darstellung der Volksgesichter in die Epoche der Agrarromantik, die als kulturpessimistische und gefühlsartige Gegenbewegung zur Moderne auftrat, da diese im Sinne des Spenglerschen „Untergang des Abendlandes“ „hastig und nivellierend Kultur und Volk zersetzte“. Entgegen der städtisch-industriellen Lebensweise schien der Bauer als naturverbundener Mensch in seiner heilen und unschuldigen Welt zu leben und durch sein Schaffen an der richtiger Stelle im „ewigen Kreislauf der Natur“ eingeordnet zu sein. Sehnsüchte nach dem genuinen, identitätsstiftenden Kollektiv scheinen hier ihre eine gesuchte Lebensform zu finden. Bei aller Betonung der propagandistischen Verwertung der Volksgesichter für die NS-Ideologie schmälern die Ausstellungsmacher nicht den rein künstlerischen Wert der von Lendvai-Dircksen aufgenommenen Gesichter. Doch nicht nur aufgrund dieser selten anzutreffenden Objektivität, vor allem durch deren eigene zeitlose und ewige Schönheit und Ausstrahlungskraft entfalten die in der Ausstellung gezeigten Volksgesichter auch in der heutigen Zeit ihre ergreifende Wirkung auf den Betrachter. Die Werke sprechen für sich! So beispielsweise die Porträtaufnahmen einer alten Frau und eines alten Mannes. Beide wirken unendlich alt, faltig und gezeichnet. Dennoch scheint aus ihren Gesichtern die Weisheit und natürliche Kraft von Jahrhunderten zu sprechen. Darunter das Porträt eines flämischen Kriegsfreiwilligen. Drahtig, markant und zielstrebig wirkt sein Gesicht. Begeisterung und Idealismus sprechen aus seinen Augen. Daneben das Gesicht einer jungen Mutter. Klarheit und unendliche Schönheit erfassen den Betrachter. Darunter ein Junge und ein Mädchen, beide voller Lebensfreude, Unschuld und Kindlichkeit – um hier mit einigen Beispielen aufzuzeigen, welche Faszination diese Porträts auch heute noch auf den Museumsbesucher ausüben. Dann der Schnitt. Herausgerissen aus der märchenhaften völkischen Idealwelt, wird der Besucher im letzten Ausstellungsraum mit einer Installation von Roman Minaev und Marcel D’Apuzzo dann doch noch auf politisch korrekte Weise gezwungen, sich mit einer ganz anders gearteten Realität auseinanderzusetzen. Wie vor den Kopf gestoßen ist er durch die Aneinanderreihung von farbigen Porträts farbiger Kinder wieder in der multikulturellen Wirklichkeit der Bundesrepublik angekommen. Daneben eine Schautafel, die über die heute geltende doppelte Staatsbürgerschaft aufklärt. Eine museumspädagogische Holzhammer-Methode, die angesichts der zuvor erfolgten Verdammung einer Nutzbarmachung von Kunst zu Propagandazwecken befremdlich anmutet – angesichts des Zeitgeistes aber auch nicht anders zu erwarten war. Dennoch sollten sich Interessierte nicht von einem Besuch dieser seltenen Ausstellung abhalten lassen, die noch bis zum 30. Oktober in Berlin-Dahlem gezeigt wird. Die Ausstellung ist zu sehen im Berliner Museum Europäischer Kulturen, Arnimallee 25, täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, Sa./So. ab 11 Uhr. Tel.: 030 / 83 01-438 Dithmarscher Bauernsohn und „Jugend aus altem Stamm“, fotografiert von Erna Lendvai-Dircksen Mark und Benningen, fotografiert von Marcel D’Apuzzo: Der museumspädagogische Holzhammer fällt

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