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„Ich nenne das Geofaschismus“

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„Ich nenne das Geofaschismus“

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Herr Professor Galtung, die Hintergründe der Entführung der deutschen Archäologin Susanne Ostenhoff im Irak sind nach wie vor ungeklärt. Dennoch fragen sich die Deutschen, rücken wir durch unsere partielle Unterstützung der Irak-Politik der USA unter Rot-Grün, die die neue Bundesregierung fortsetzen will, ins Visier des islamischen Terrorismus? Galtung: Das glaube ich nicht. Wenn es bis heute nur einen solchen Entführungsfall gibt – wenn denn die Motive politische sind -, so ist das im Grunde sogar ein Zeichen für den Erfolg der deutschen Politik. Wie kommen Sie denn darauf? Galtung: Denken Sie zum Beispiel daran, wie viele Briten oder Italiener schon entführt worden sind. Ist eine Entführung nicht eine zuviel für eine „erfolgreiche Politik“? Galtung: Natürlich ist das eine tragische Angelegenheit für den Betroffenen und seine Angehörigen, aber so einfach ist die Situation eben nicht: Die Lage im Irak ist äußerst zugespitzt, und auch die Leute der irakischen Widerstandsbewegung machen Fehler. Fehler? Galtung: Da wird mitunter der Mann oder die Frau mit der falschen Staatsbürgerschaft getötet. Solche Fehler sind auch der norwegischen Wiederstandsbewegung im Zweiten Weltkrieg unterlaufen. „In Afghanistan stecken die Deutschen mitten in einem Krieg“ So ungefährlich scheint unser Engagement nicht zu sein. In Afghanistan sind inzwischen sechs deutsche Soldaten gefallen. Der letzte erst am 14. Oktober bei einem Selbstmordattentat – zwei seiner Kameraden wurden schwer verwundet. Galtung: Man darf nicht vergessen, daß die deutschen Soldaten in Afghanistan mitten in einem Krieg stecken – auch wenn die Politik das offiziell nicht beim Namen nennt. Erst am 28. September hat Deutschland die Verlängerung des Isaf-Einsatzes in Afghanistan um ein Jahr und Aufstockung des deutschen Kontingents von 2.250 auf 3.000 Soldaten beschlossen. Galtung: Nein, nicht Deutschland, der Deutsche Bundestag, die Regierung, die Eliten. Ich bin übrigens sicher, hätten Sie eine Volksabstimmung über den Einsatz abgehalten, sähe es anders aus. Die amerikanische Kriegslogistik stützt sich wesentlich auf die US-Fliegerhorste in Deutschland. Außerdem hat die Bundesrepublik bislang etwa 2.000 Personen für den politischen und staatlichen Wiederaufbau des Irak ausgebildet und ausgerüstet, wie etwa Journalisten, Beamte, Richter oder Wahlbeobachter. 1.000 davon sind sogar Sicherheitskräfte, also Polizisten und Soldaten. Galtung: Dennoch spielt Deutschland keine wirklich wichtige Rolle im Irak. Nun kommt der Verdacht hinzu, über Flughäfen in Deutschland habe die CIA ungestört verdeckte Gefangenentransporte durchgeführt, womöglich zu geheimen „Foltergefängnissen“. Wie wird das in der arabischen Welt bewertet werden? Galtung: Ich glaube, entscheidend für die arabische Welt ist, in welchen Ländern sich diese Lager befinden, nicht welche auf dem Weg dorthin passiert werden. Und ich kann mir nicht vorstellen, daß es ein solches Lager in Deutschland gibt. Also hat die Bundesregierung alles richtig gemacht? Galtung: Die Bundesrepublik Deutschland ist natürlich an gewisse Natoverträge gebunden. Deshalb meine ich, man sollte solche Verträge erst gar nicht abschließen. Man sollte wissen, daß die USA seit 1945 siebzig-, seit 1804 gar 240mal in anderen Ländern interveniert haben. Leider ist das jedoch vielen deutschen Politiker nicht bewußt. Wer aber mit solch einem „Angriffsstaat“ Verträge abschließt, der hat einen Fehler gemacht. Die USA sind nicht die Schweiz; muß eine Weltmacht sich nicht notgedrungen auch die Hände schmutzig machen? Galtung: Die USA versuchen ihre ökonomische, militärische, kulturelle und politische Außenpolitik zu koordinieren. Sie investieren soviel, daß sie zuviel verlieren, wenn es nicht funktioniert. Also wenden sie jedes Mittel an. Die Außenpolitik der USA ist nicht nur eine Frage von Krieg, sondern von Krieg zur Erhaltung ihres Imperiums. Deshalb brauchen wir eine Alternative, etwa zu der grausamen amerikanischen Politik im Irak. Denken Sie an die jüngsten Äußerungen des ehemaligen irakischen Premierministers Allawi. Der in der vergangenen Woche kritisiert hat, die Menschenrechtslage im Irak sei heute nicht besser als unter Saddam Hussein, wenn nicht gar „schlimmer“. Galtung: Bislang sind seit Beginn der US-Invasion zusammengezählt mindestens 100.000 Menschen im Irak umgekommen. Wenige Tage, nachdem Allawi von Folter im „amerikanischen“ Irak gesprochen hat, tauchten die jüngsten Gerüchte um spezielle US-Verhörzentren möglicherweise gar in Europa auf. Sie werfen den USA schon lange vor, „ein ganz gewöhnlicher faschistoider Folterstaat“ zu sein. Galtung: Ich kenne die US-Folterpraxis aus Lateinamerika. „Ganz gewöhnlich“ bezieht sich darauf, daß diese Praxis „normal“ ist für einen imperialistischen Staat. Das Problem ist, daß die USA „von innen“ ganz sympathisch aussehen, so daß die Menschen „die andere Seite“ übersehen. Die USA foltern nicht selbst, sie bilden die Folterknechte aus. Es ist das Prinzip zum Beispiel der „School of the Americas“ … Einer 1946 von den USA in Panama gegründeten – 2001 in „Western Hemisphere Institute for Security Cooperation“ umbenannten – Militärschule, die als Ausbildungszentrum für die irreguläre Kriegführung lateinamerikanischer Diktatoren berühmtberüchtigt geworden ist. Galtung: … oder der „Operation Phoenix“ in Vietnam mit Mord und Folter. Die USA wollen erstens Zugang zu Märkten und Rohstoffen haben. Zweitens wollen sie verhindern, daß sich eine eigenständige „Verteilungspolitik“, wie sie zum Beispiel der venezolanische Staatspräsident Hugo Chavez vertritt, etabliert. Drittens wollen sie Militärbasen haben. Wenn Sie die siebzig Interventionen seit dem Zweiten Weltkrieg nach diesen Motiven abklopfen, werden Sie bei allen siebzig fündig werden. Man interveniert in Nicaragua gegen die Sandinisten, aber nicht gegen Somosa. Man versucht gegen Chavez zu intervenieren, aber nicht gegen Marcos Pérez Jiménez, den füheren Diktator Venezuelas, in Kuba gegen Castro, aber nicht gegen Batista. „Die USA bewegen sich auf einen Umsturz zu“ Was meinen Sie mit faschistoid? Galtung: Das was die USA außenpolitisch betreiben, bezeichne ich als Geofaschismus. Der Begriff Faschismus ist historisch belegt, halten Sie seine Adaption tatsächlich für eine glückliche Wahl? Galtung: Töten für politische Zwecke halte ich für faschistoid. Das ist aber keine Spezialität der historischen Faschisten. Galtung: Das ist richtig. Aber für mich war zum Beispiel auch die deutsche RAF eindeutig eine faschistische Organisation. Einerseits sprechen Sie von einem möglichen Umsturz in den USA … Galtung: Auch im Inneren bewegt sich die USA auf Faschismus zu, und einen Umsturz halte ich keineswegs für unmöglich. Die Armee besetzt das Kapitol? Galtung: Nein, eher ein stiller Putsch, der nicht mittels Waffen, sondern mittels Gesetzen erfolgt. Der Präsident wird auf ein Seitengleis der Politik geschoben, während Militärs und Konzerne künftig die Entscheidungen treffen. … andererseits sagen Sie den absehbaren Untergang des amerikanischen Imperiums voraus. Galtung: Ich habe 1980 den Fall der Mauer für 1990 vorhergesagt und den darauffolgenden Untergang des sowjetischen Imperiums. Den Untergang der USA habe ich 1999 für 2025 vorhergesagt. Wieso ausgerechnet 2025? Wie soll das vor sich gehen? Galtung: Dahinter stecken eine Unmenge von Theorien. Das sind sehr komplexe Prozesse, Synergien, Synchronisierungen etc. Zum Beispiel durch ökonomischen Boykott von US-Produkten. Oder zum Beispiel gibt es schon immer mehr Regionalkonferenzen, die die USA einfach außen vor lassen. So werden die USA Stück für Stück hinfällig gemacht. Die Bush-Administration wird das Ende beschleunigen. Die USA verlieren jeden Tag mehr von ihrem Prestige. Bedenken Sie, unlängst hat eine Studie gezeigt, daß in 25 von 27 Ländern die Menschen mehr Sympathien für China als für die USA haben. Kritiker werfen Ihnen Antiamerikanismus vor. Galtung: Nein, ich liebe die Vereinigten Staaten, und ich hasse den US-Imperialismus. Das ist wie wenn Sie sagen, ich hasse aber den Faschismus, aber ich liebe Deutschland. Wenn Folter und Intervention jedoch nicht nur Unfälle, sondern traditionell integraler Bestandteil der US-Politik sind, müßte das dann nicht Folgen haben für das Verhalten der europäischen Staaten gegenüber den USA? Trotz ihrer bei jeder Gelegenheit geäußerten hohen moralischen Ansprüche werden die USA im Grunde behandelt wie etwa die Schweiz. Galtung: Es sind nur kleine Minderheiten in Europa, die die US-Außenpolitik befürworten. Sechzig bis achtzig Prozent der Europäer sind gegen die US-Außenpolitik. Sie haben die Regierung Schröder 2003 für ihre Außenpolitik gelobt, andererseits haben Sie nun mehrfach geäußert, das Problem der europäischen Außenpolitik seien die politischen Eliten. Galtung: Es war ausgesprochen positiv, daß Deutschland sich damals nicht an dem illegalen Angriffskrieg auf den Irak beteiligt hat. Negativ ist aber, daß sich Deutschland nicht wirklich für eine Konfliktvermittlung einsetzt. Zum Beispiel? Galtung: Ich könnte mir etwa eine Art Helsinki-Konferenz für den Nahen Osten vorstellen. Deutschland könnte dafür den Anstoß geben. Doch ich finde keinen Aspekt der Friedensorientierung in der deutschen Politik. Was ist die Ursache für diese Passivität? Galtung: Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil die Bundesregierung 2003 innenpolitische Motive für ihre Irak-Politik hatte und sich für eine Friedensregelung im Grunde gar nicht interessiert? Galtung: Ich könnte mir vorstellen, daß der Schritt, sich nicht am Krieg beteiligt zu haben, die Regierung Schröder schon soviel politische Kapital gekostet hat, daß nichts mehr übrigwar. Es geht aber doch nicht nur um eine Unterlassung. Die Bundesregierung hat sich aktiv an der Stützung der globalen US-Politik beteiligt, nicht nur durch das deutsche Engagement im Afghanistan und für den Irak, sondern seit 2002 auch durch die Seeluftblockade „Enduring Freedom“ im Rahmen des „Krieges gegen den Terror“, mit 1.300 Mann zwischen dem Roten Meer und der Küste Kenias. Galtung: Den Begriff „Krieg gegen den Terror“ würde ich überhaupt nur akzeptieren, wenn man auch über Staatsterrorismus redet. Denn 99,5 Prozent aller Opfer von Terror fallen dieser Art des Terrorismus zum Opfer. Deutschland kennt das ja aus der Bombardierung seiner Städte während des Zweiten Weltkrieges durch die Angloamerikaner. Es bleibt die Frage, wie Sie sich die Beteiligung der von Ihnen gelobten Bundesregierung daran erklären. Galtung: Die USA waren für Deutschland lange Zeit „der neue Gott“. Es ist nicht so einfach, sich von einem Gott zu befreien. „Amerika war für die Deutschen lange ein neuer Gott“ Deutschland hat also ein Souveränitätsproblem? Galtung: Nein, denn das „Nein“ Schröders gegen den Irak-Krieg hat eine gewisse Unabhängigkeit gezeigt. Aber es ist richtig, man hätte auch noch mehr Souveränität zeigen können und statt nur „nein“ zum Krieg, „ja“ zum Frieden sagen können. Der Europarat will nun mit Satellitenfotos die Aktivitäten der USA auf europäischen Flughäfen aufklären. Der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele kommentiert dies mit dem Einwand, es sei „ein Armutszeugnis, wenn die EU Satelliten braucht, um zu wissen, was auf ihren Flughäfen los ist“, und forderte, „die Souveränität Deutschlands auf deutschem Boden auch auf deutschen Flughäfen wiederherzustellen“. Galtung: Da hat er völlig recht, aber daß es noch eine gewisse Souveränität gibt, hat doch Schröders Politik gezeigt. Solche Fehler kann man aber künftig verhindern, wenn man bereit ist zu lernen, das zu erkennen, was die Amerikaner eigentlich tun. Wieso sollte das passieren? Galtung: Schauen Sie nach Spanien, da hat es geklappt. Spanien hat auf die Terroranschläge von Madrid nicht wie die USA mit Staatsterrorismus, sondern mit Rückzug seiner Truppen aus dem Irak reagiert, mit diplomatischen Initiativen und mit einem „Dialog der Zivilisationen“. Das nenne ich eine vorbildliche Politik. Was erwarten Sie realiter von der neuen deutschen Bundesregierung? Galtung: Keine große Änderungen der bisherigen Politik, denn der neue Außenminister Steinmeier war ja als Kanzleramtschef stets nah an Schröder. Deutschland sollte sich auf eigene Freidensleistungen besinnen, es hat zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg eine Politik der Aussöhnung betrieben, die vorbildhaft war. Prof. Dr. Johan Galtung gilt als Nestor der Friedens- und Konfliktforschung. Der norwegische Mathematiker und Soziologe gründete 1959 das Internationale Friedensforschungsinstitut in Oslo, das erste seiner Art in Europa. In über vierzig Konflikten weltweit wirkte er als Vermittler, unter anderem in Afghanistan. Er prägte die Begriffe „strukturelle Gewalt“ und „positiver Frieden“ und war maßgeblich an der Entwicklung des Konzeptes der „sozialen Verteidigung“ beteiligt. 1987 erhielt er für seine Arbeit den Alternativen Nobelpreis. Heute lehrt Johan Galtung an Universitäten in Deutschland, Norwegen, den USA und Österreich. Geboren wurde er 1930 in Oslo. weitere Interview-Partner der JF

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