Der Papst ist tot, und die Welt blickt auf Rom. Über zwei Millionen Gläubige und 200 Staats- und Regierungschefs erwartet die heilige Stadt zur Beerdigung von Johannes Paul II. 26 Jahre lang hatte Karol Wojtyla eine Milliarde Katholiken als geistliches Oberhaupt geführt. Ehrfürchtig verfolgen auch die dem christlichen Glauben Fernstehenden und die Angehörigen anderer Konfessionen den Abschied vom „Heiligen Vater“, als den ihn die Katholiken verehren. Johannes Paul II. steigerte seine ohnehin große Anziehungskraft auf Menschen noch in der Phase seiner körperlichen Hinfälligkeit. Das öffentlich demütig ertragene Leiden kontrastierte scharf mit dem Fitness-Wahn unserer Zeit und ihrem Jugendkult. Der mit Heiterkeit erwartete Tod, die freudig erwartete „Öffnung der Pforten des Herren“, war die letzte Missionstat des Papstes, der es offensichtlich verstand, die einfachen, essentiellen Botschaften des christlichen Glaubens vorbildlich zu leben. Durch den von ihm seit Beginn seines Pontifikats – insbesondere in seiner Heimat Polen – forcierten Widerstand der katholischen Christen gegen den kommunistischen Totalitarismus sanken die Trümmer des atheistischen Weltreiches des Sowjetkommunismus zu seinen Füßen in den Staub. Gedämpft wird dieser Triumph über den vorläufigen Bankrott der gottesfernen marxistischen Ideologie dadurch, daß dies nicht zu einer starken Renaissance des Christentums in Osteuropa führte. Die Verheerungen, die der Kommunismus hinterließ, sind zu groß. Der östliche Materialismus ist zwar besiegt, der liberal-kapitalistische befindet sich im Zuge einer ungebremsten Globalisierung auf dem Vormarsch. In ganz Europa sind die Kirchen auf dem Rückzug. Gotteshäuser verfallen, werden verscherbelt, Pfarrer predigen vor leeren Kirchen. Die einzige Religion, die in Europa neben dem atheistischen Glauben an das diesseitige Heil an Zulauf gewinnt, ist der Islam. Die Sonne des Abendlandes sinkt, der Halbmond steigt am Horizont empor. Wir leben in saturierten Gesellschaften, in denen der Versicherungsagent den Priester ersetzt hat. Die traditionellen Institutionen befinden sich dank übersättigter Sozialstaaten und Werterelativismus in Auflösung. Intakte Ehe und Familie mit Kindern als zentrale Keimzelle einer vitalen menschlichen Gemeinschaft ist inzwischen der gesellschaftliche Ausnahmefall. Die europäischen Völker vergreisen und sterben einen demographischen Tod auf Raten. Im Vollkasko-Wahn schließen die Menschen eine, zwei, drei Lebensversicherungen ab. Der Tag ist nur noch nicht gekommen, an dem sich diese Policen samt und sonders als ungedeckte Schecks herausstellen werden. Unsere einst prosperierenden Gesellschaften wiegen sich in den Strahlen der postmodernen Abendsonne in trügerischer Ruhe. Wesentliche Indikatoren weisen auf lange Phasen der Stagnation und des längst schleichenden Niedergangs. Der Zug der Lemminge drängt dennoch geschäftig im Zeichen des „Fortschritts“ voran, ihn hat die Botschaft noch nicht erreicht, daß wir unsere Reserven Stück für Stück verfrühstückt haben. Europas Fundamente sind morsch und zerbröseln. Eine der letzten Kräfte, die diesem Auflösungsprozeß entgegenstehen, ist die Kirche. Welche Institution existiert sonst, die sich der Inferiorität entgegenstemmen könnte? Das christliche Rom überstand den Untergang des Römischen Reiches, den Ansturm des Islam im Mittelalter, die totalitären Exzesse ab 1789, und sie wird alle materialistischen Utopien überleben, wenn sich ihre Hirten nicht das allerletzte Mark aus den Knochen blasen lassen. Schon tönen in allen Medien Stimmen, die von der „Hoffnung auf einen liberalen Papst“ sprechen. Selbst „fortschrittliche“ christdemokratische Politiker entblöden sich nicht, die phrasenhaften Forderungen nach „Reformen“ und „Öffnung“ herunterzubeten. Frauenordination, Auflösung des Zölibats, Akzeptanz der Homoehe und der legalisierten Abtreibung sind dabei die Rammböcke, mit denen die Tore des Petersdoms aufgebrochen werden sollen. Doch die Plädoyers für ökumenische Aufweichung, feministische Theologie, das Einreißen der traditionellen Hierarchie, das Weichzeichnen der Dogmen, die religiöse Toleranz sind in Wahrheit die Forderung nach der totalen Kapitulation der Kirche vor dem gottlosen, lebensfeindlichen Zeitgeist. Wer sehen will, welche Folgen der Modernisierungswahn, das hündische Kriechen vor dem wechselhaften Zeitgeist und politischen Moden hat und welche deprimierenden Wirkungen die feministische Theologie zeitigt, der muß sich nur die Evangelische Kirche in Deutschland ansehen, die sich im freien Fall befindet. In hellen Scharen verlassen die im Glauben Irregemachten eine völlig haltlos gewordene Kirche, die selbst nicht mehr an ihre Offenbarung glaubt und sich dem Untergang geweiht hat. Größer könnte die Heuchelei nicht sein, wie sich politische Führer aller Couleur derzeit vor der Größe des Papstes verneigen. Gerade erst war einer der engsten Papst-Berater, der Theologieprofessor Rocco Buttiglione, als designierter EU-Kommissar, halbherzig verteidigt von den Christdemokraten, wie ein Hund aus Brüssel fortgejagt worden – weil er sich als glaubenstreuer Katholik bekannt hat im Tempel der Demokratie! Und jetzt pilgern dieselben armseligen Gestalten nach Rom, um der Beisetzung dieses im Innersten verachteten Papstes beizuwohnen. Deshalb kann man – auch als Lutheraner! – nur inständig beten, daß die katholische Kirche, als Rückgrat des weltweiten, auch des protestantischen Christentums, einen konservativen Papst wählt, der seine Funktion grundsatztreu ausfüllt. Der Gegenwind der Medien, der Parteien, der politischen Klasse kann für ihn gar nicht stark genug sein! JF-Sonderseiten mit Beiträgen von Paola Bernardi, Alexander Barti, Helmut Matthies, Fritz Schenk, Karlheinz Weißmann und Eberhard Straub, S. 2-5