Politische und kulturelle Bewegungen definieren sich seit jeher über bestimmte Begriffe, die ihnen einerseits eine relativ klare Freund/Feind-Unterscheidung erlauben, andererseits zumindest ansatzweise inhaltlich-programmatische Aussagen, Forderungen und Ziele formulieren. Die 68er-Bewegung hat eine ganze Reihe solcher Begriffe geprägt, die zum Teil bis heute eine nachhaltige Wirkung haben. Einige davon sollen hier in der gebotenen Kürze skizziert werden. Antiautoritäre Bewegung Zu einer solchen ernannten sich die 68er kurzerhand höchstpersönlich, straften sich aber dann selber Lügen, indem sie in hemmungsloser Liebe zu einigen Autoritäten recht zweifelhaften Rufs wie Lenin, Stalin und Mao Tse Tung entbrannten. Mit Hilfe der Großväter (Marcuse, Bloch, Reich etc.) wurde den eigenen „autoritären Vätern“ dann der Kampf angesagt, obwohl diese als Väter längst abgedankt hatten und die angegriffenen Autoritäten – von wenigen Ausnahmen abgesehen – längst das Weite gesucht hatten. Die alte Staatsmaxime Frankreichs: „L’autorité ne recule pas …“ (Die Autorität weicht nicht zurück) hatte bereits ausgedient. Antiautoritäre Erziehung Geht angeblich zurück auf den englischen Reformpädagogen A.S. Neill und dessen „Summerhill“-Projekt. Neill selbst hat diesen Begriff jedoch nie verwendet, sondern sprach statt dessen von „selbstregulativer Erziehung“. Die in den Kommunen 1 und 2, aber auch in zahlreichen anderen linksradikalen Wohngemeinschaften und sogenannten „Antiautoritären Kinderläden“ unter der Überschrift „Lockerung der Fixierung“ vorgenommenen Experimente mit zwei bis fünf Jahre alten Kindern gingen indes weit über „Summerhill“ hinaus. Tatsächlich ging es den 68ern um einen „Versuch der Revolutionierung des bürgerlichen Individuums“ durch gewaltsame Trennung der Eltern-Kind-Bindung inklusive der Leugnung der Abhängigkeit von den Eltern. Die daraus entstandenen schweren Traumatisierungen und seelisch-psychischen Schädigungen der Kinder wurden bewußt in Kauf genommen. Prominentester „antiautoritärer Erzieher“ im Kinderladen der Frankfurter Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität war übrigens seinerzeit Daniel Cohn-Bendit, mißtrauisch beäugt allerdings von der moskautreuen linken Konkurrenz, die es vorzog, ihre Kinder in staatliche oder kirchliche Kindergärten zu geben, weil da wenigstens noch eine gewisse Ordnung herrschte. Che Guevara Hochgradig verehrte Ikone der 68er. Wurde auf Millionen Postern und T-Shirts verklärt, laut Jean-Paul Sartre „der vollkommenste Mensch unserer Zeit“. War realiter aber nur ein bedingt zurechnungsfähiger Versager, der als Arzt seine Patienten in Argentinien im Stich ließ, um sich einen Vollbart wachsen zu lassen und Castros Guerillakampf in der kubanischen Sierra Maestra anzuschließen. Wurde nach der Machtübernahme Industrieminister, was der ohnehin nur rudimentär vorhandenen kubanischen Industrie vollends den Rest gab, desertierte schließlich von seinem Posten (siehe die Che-Bewunderer Gysi und Lafontaine), um im Kongo und später in Bolivien erfolglos Bürgerkriege anzuzetteln. In das bolivianische Volk war er so vernarrt, daß er es am liebsten in den Dritten Weltkrieg geführt hätte: „Es ist das fiebererregende Beispiel eines Volkes, das bereit ist, sich im Atomkrieg zu opfern, damit noch seine Asche als Zement diene für die neue Gesellschaft“ – wozu dieses aber nur wenig Lust verspürte und ihn an die CIA-geführte bolivianische Armee verriet. Daß der Linken liebster Märtyrer zu seinen Lebzeiten offensichtlich ein veritabler Knallkopf war, hat sich jedoch bis heute in diesen Kreisen immer noch nicht herumgesprochen. Feminismus Ist zwar kein originäres 68er-Projekt, weil erst drei Jahre später von Alice Schwarzer (Emma) medial ins Leben gerufen. Bekam jedoch wichtige Impulse durch die sogenannten „Weiberräte“, die sich in der Zerfallsphase des SDS gründeten, als sich in der Küche – wo denn sonst? – des Frankfurter Walter-Kolb-Studentenheims ein paar vom Flugblättertippen, Wäschewaschen und Essenkochen für die SDS-Genossen frustrierte Genossinnen trafen, um unter der schönen Parole „Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen!“ die heikle Vermischung von Privatleben und Politik zu diskutieren. Der angestaute Ärger der Damen entlud sich dann auf der 28. Delegiertenkonferenz im Juli 1968 in einem Tomatenwurf auf Hans-Jürgen Krahl und der Verteilung eines Flugblattes mit einer höchst provokanten Zeichnung: Wie Hirschgeweihe auf einem Brett waren dort mit Namen die Penisse örtlicher SDS-Größen befestigt. Zu einer solch originellen Aktion hat es der später zu einer bierernsten totalitären Ideologie heruntergekommene deutsche Feminismus seitdem nicht mehr geschafft. Frankfurter Schule Wurde zum Leidwesen ihrer wichtigsten Vertreter Adorno und Horkheimer von den 68ern gründlich mißverstanden. Letzterer konnte auf die Forderung nach der „Dominanz des Lustprinzips“, dem „neuen Menschen“ und einer „Gesellschaft ohne Zwänge“ nur noch ironisch reagieren, während Adorno den „Hurra-Optimismus der unmittelbaren Aktion“ geißelte und dann einen plötzlichen Tod starb. Kurz zuvor hatte er noch in einem Brief an Marcuse „die Gefahr des Umschlags der Studentenbewegung in Faschismus“ beklagt und den 68ern ein „Quentchen Wahn“ attestiert, „dem das Totalitäre teleologisch innewohnt“. Sein tragisches Eingeständnis, er habe nicht ahnen können, daß Leute sein theoretisches Denkmodell „mit Molotow-Cocktails verwirklichen wollen“, wurde schließlich noch von Horkheimers Erkenntnis der „Hölle einer chinesischen Weltherrschaft“ und den „Zuchthaussystemen des Ostens“ überboten. Doch hatten die 68er zum Marxismus eine autoritär-unterwürfige Beziehung, zur Kritischen Theorie hingegen höchstens eine instrumentelle. So fraß die Revolution diesmal nicht ihre Kinder, sondern zunächst ihre Väter. Freie Liebe Lief offiziell unter dem Motto „Sexuelle Revolution“. Bekanntester Spruch: „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment!“ Das Projekt ging zurück auf den Freud-Schüler Wilhelm Reich und dessen Lehre der „Sexualökonomie“, die das Programm einer sexuellen Revolution dokumentierte. Marcuse legte dann mit „Eros und Kultur“ und „Der eindimensionale Mensch“ noch einmal nach, wurde aber wiederum von der als Raubdruck kursierenden Schrift von Reich über die „Funktion des Orgasmus“ getoppt. Soviel zur Theorie. Die Praxis fand zuerst in der selbst vom SDS als „Psycho- und Horrorkommune“ bezeichneten Berliner Kommune 1 statt, die dann auch aus dem Verband ausgeschlossen wurde. Berühmt wurde damals die öffentliche Klage von Fritz Teufel: „Was interessiert mich Vietnam, solange ich Orgasmusprobleme habe?“ In der Realität trug die sogenannte „freie Liebe“ zu einer enormen Zunahme sexueller Freizügigkeit ohne unerwünschte Folgekosten wie Bindungsverpflichtung und Treue bei. (Ein übriges tat die hierzulande seit 1961 erhältliche Antibabypille.) Gekoppelt an die Ideologie der schrankenlosen Selbstverwirklichung schuf das lebensfremde Theorem der sexuellen Revolution eine im Grunde entpolitisierte Linke, deren Hohlheit, Lebenslügen und schwülstige Rhetorik das genaue Gegenteil selbstkritischer Aufklärung darstellen. Wer’s nicht glaubt, lese das Buch der ehemaligen Kommune-1-Groupies Gisela Getty und Jutta Winkelmann („Die Zwillinge oder Vom Versuch, Geld und Geist zu küssen“), die heute den „Harem“ von Rainer Langhans bereichern. Man kann gar nicht soviel essen, wie man kotzen möchte, wenn Gisela beschreibt, wie sie die Kinder bei ihrem drogensüchtigen Getty-Erben parkt, um mit Dennis Hopper zum Vögeln abzudüsen („Es ist mein Leben, die alte verlogene Moral hat ausgedient. Rücksicht nehmen, und die Kinder dafür hassen, erscheint mir brutaler … Sie sind mehr kleine Kampfgefährten als Kinder. Wir sehen nur, was wir sehen wollen!“) So reden Monster. Gewalt gegen Sachen Zur Unterscheidung von Gewalt gegen Personen. Ließ sich aber nicht lange aufrechterhalten. Den theoretischen Überbau dafür lieferte Herbert Marcuse in seinem Essay „Repressive Toleranz“, als er „unterdrückten und überwältigten Minderheiten“ ein „Naturrecht auf Widerstand, außergesetzliche Mittel anzuwenden“ zubilligte: „Wenn sie Gewalt anwenden, beginnen sie keine neue Kette von Gewalttaten, sondern zerbrechen die etablierte.“ Auf diesen Freibrief, Gewalt auch gegen Menschen anzuwenden, reagierte ein großer Teil der 68er naturgemäß begeistert. Schwerverletzte, ja sogar Tote wurden nun in Kauf genommen und von den SDS-Führern kaltschnäuzig als „Unglücksfälle“ verbucht. Horkheimers resignativ-entsetzter Aufschrei über die „Verkettung von Schuld, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Freiheit und Zwang“ wurde als „trivial“ lächerlich gemacht. Klassenkampf Ist zwar keine Erfindung der 68er, sondern von Marx und Engels, spukte aber anfangs noch in ihren Köpfen herum. Weil die Arbeiterklasse aber keinerlei Anstalten machte, ihren Parolen zu folgen, gab man diese Idee bald auf, um sich diversen Randgruppen zuzuwenden, für die der alte Marx seinerzeit noch die korrekte und überaus treffende Bezeichnung „Lumpenproletariat“ erfunden hatte. Die postmoderne Linke kann sich jedoch nicht einmal mehr mit dessen Nachfolgern, dem heutigen „Prekariat“, anfreunden, sondern hält sich lieber an solche „Schnulli-Pulli-Projekte“ (Jürgen Elsässer) wie Klimawandel, offene Grenzen, Multikulti, Gender etc. Einzig die SED-Linke propagiert im Wahlkampf noch Forderungen wie „Gerechter Lohn für gerechte Arbeit“, ohne zu ahnen, daß Marx derartigen „reformistischen Mumpitz“, wie er es nannte, mit dem Machtwort „Nieder mit der Lohnarbeit!“ vom Tisch gewischt und seinen mißratenen Schülern gehörig die Leviten gelesen hätte. Kulturrevolution Geht auf Maos China zurück, als 1966/67 die Roten Garden auf seinen direkten Befehl eine landesweite Säuberungskampagne durchführten, die schließlich ungeheuerliche Ausmaße annahm und in zahllosen Gewaltexzessen mündete. Wie so vieles andere mißverstanden die 68er auch diesen Terror als „sozialrevolutionäres Projekt“ und sahen in ihm ein Vorbild für ihre eigene Machtergreifung. Inzwischen wird allerdings die gesamte 68er-Bewegung als „Kulturrevolution“ bezeichnet. Das hat auch insofern seine Richtigkeit, weil es heute keine Kultur im üblichen Sinne mehr gibt, sondern eine Vielzahl von Kulturen. So beschrieb Eckhard Henscheid bereits vor Jahren ganze 756 Kulturen („Alle 756 Kulturen. Eine Bilanz“) von der „Duzkultur“ (geht übrigens auch auf ’68 zurück) über die „Kultur der Entrüstung“ (die wahrscheinlich auch) und die „Schamkultur“ (Horst-Eberhard Richter) bis hin zur „Teilhabekultur“ (kann nur von der SPD stammen) und „Verständigungskultur“ (EKD). Bei so vielen Kulturen wäre heute eine grundlegende Kulturrevolution schon aus zeitlichen und praktischen Gründen nahezu unmöglich. Marsch durch die Institutionen Erinnert zum einen an den berühmten „langen Marsch“ Maos kommunistischer Truppen während der chinesischen Revolution. 1968 griff Rudi Dutschke dann dieses Stichwort auf und blies zum „Marsch durch die Institutionen“. Gemeint war damit die Infiltration bis dahin noch einigermaßen funktionsfähiger Organisationen wie Gewerkschaften, Kirchen, politischer Parteien etc. Vor allem im Bildungsbereich gelang dies den 68ern ganz vorzüglich, Schulen und Universitäten wurden zu linksradikalen Kaderschmieden umfunktioniert, das Leistungsprinzip weitgehend außer Kraft gesetzt und die Autorität der Lehrenden untergraben. Ein Bildungssystem, das einst zu den weltbesten gehörte, entläßt heute zunehmend Halbgebildete und akademisches Proletariat. Daß man als 68er auch mit einer solchen Vita in Deutschland Karriere machen kann, bewies indes ein bewährter Putzmacher aus jenen Tagen, der es schließlich sogar zum Außenminister, Vizekanzler und „angesehensten deutschen Politiker“ (70 Prozent) brachte. Mit Joseph Martin Fischer übernahmen die 68er endgültig diesen Staat und machten ihn zu dem ihrigen. Die „gänzlich zwielichtige Vergangenheit“ (Eckhard Henscheid) des ehemaligen Schlägers und Steinwerfers tat nichts zur Sache, er war ein „hervorragender Außenminister“ – so sah es jedenfalls das ehemalige Mitglied der Waffen-SS Günter Grass -, und immerhin prügelte er ja nun auch keine deutschen Polizisten mehr, sondern ließ auf serbische schießen: „Mit mir als Mensch bin ich vollkommen im reinen“ (O-Ton Fischer). Diese schwer obszöne und irgendwie auch blödsinnige Mitteilung haben vierzig Jahre nach der zweitgrößten Massenverblendung der deutschen Geschichte mindestens 90 Prozent der 68er frohen Herzens als Erklärungsmodell ihrer eigenen abscheulich langweiligen Vergangenheit akzeptiert. Permanente Revolution Eine Erfindung des russischen Revolutionärs und Gründers der Roten Armee Leo Trotzki, der damit der drohenden Bürokratisierung durch seinen Gegenspieler Stalin zuvorkommen wollte. Das traurige Ende Trotzkis im mexikanischen Exil durch einen Eispickel ist bekannt. Mit der „permanenten Revolution“ wurde es also nichts. Die 68er träumten dennoch davon, konnten aber wohl nicht ahnen, daß einer, der ihnen zumindest literarisch die Suppe versalzen hätte, ebenso davon angetan war. Als der Dichter und Duce-Verehrer Ezra Pound aus dem Irrenhaus entlassen wurde, in das ihn die US-Justiz wegen seiner Unterstützung Mussolinis hatte einweisen lassen, trug er nämlich einen gelben Schal mit japanischen Schriftzeichen und antwortete den Journalisten auf ihre Frage, was diese zu bedeuten hätten, milde lächelnd: „Permanente Revolution“. Vergangenheitsbewältigung Vergangenheitsbewältigung – kurz: VB – und „Re-Education“ hatten einen beträchtlichen Anteil an ’68, weil man die Deutschen im Grunde noch nicht wirklich für entnazifiziert hielt, jetzt aber endlich damit Ernst machen wollte. Außerdem eignete sich die VB wunderbar dafür, unliebsame Konservative und Rechte fertigzumachen. Allerdings waren VB und „Re-Education“ noch nicht zu einer Ersatz- und Zivilreligion aufgestiegen, wie das heute der Fall ist. Sie war noch nicht in dem Maße institutionalisiert, weil das Volk einfach mißtrauisch war gegen Überzeugungen, die ihm von oben herab aufgezwungen werden sollten. Im Grunde genommen waren die Leute damals viel kritischer als heute. „Politisch korrekt“ im heutigen Sinne waren die 68er nicht. Revolutionstouristische Unternehmungen wie Aufenthalte von SDS-Delegationen in palästinensischen Guerillacamps und offene Feindschaft gegenüber Israel als „Vasall des US-Imperialismus“ fielen damals noch nicht unter das PC-Verbot. Doch bereiteten die 68er den schlüpfrigen Boden für solche verrückten Projekte wie die „Antideutschen“, die sich auch durch Argumente nicht mehr aus dem Konzept bringen lassen. Volksgerichte Geht im Lärm der vielen 68er-Begriffe leider oft zu Unrecht unter. Für „reaktionäre Volksfeinde“ hatte man durchaus adäquate Einrichtungen wie „Umerziehungslager“ oder eben auch sogenannte „Volksgerichte“ geplant. O-Ton des Studentenführers Daniel Cohn-Bendit im Mai 1968: „Es muß unverzüglich ein Volksgericht geschaffen werden zur Aburteilung der staatlichen Polizei!“ Daß etwas sensiblere Gemüter solche Stilblütenträume und Paradiesvogelschreie aus dem Überbau eventuell mit Roland Freislers berüchtigtem „Volksgerichtshof“ verwechseln könnten, war in der Spontiwelt der Gefühle offenbar nicht vorgesehen. Werner Olles war 1968/69 Mitglied im Frankfurter SDS, danach engagierte er sich in Splittergruppen der „Neuen Linken“.