Die Hand, die du nicht abhacken kannst, mußt du küssen“, rät ein arabisches Sprichwort. Mit dem Händeküssen türkischer Einwanderer-Verbände für den unverdrossen Integrationsangebote aussendenden deutschen Staat scheint es vorderhand erst einmal vorbei zu sein. Knallhart haben türkische Einwanderer-Verbände vor dem zweiten „Integrationsgipfel“ der Bundeskanzlerin die Machtfrage auf institutioneller Ebene gestellt: Ohne politische Mitspracherechte keine wie auch immer geartete Integration. „Stolz wie kleine Jungs“ seien die türkischen Funktionäre vor Jahresfrist zum ersten „Integrationsgipfel“ ins Kanzleramt geeilt, notiert ihre Landsmännin und SPD-Abgeordnete Lale Akgün. Die Lausbuben haben schnell gemerkt, daß sie die Stärksten in der Klasse sind und von den ängstlichen deutschen Strebern alles „abziehen“ können, wenn sie nur laut, frech und rücksichtslos genug auftreten. Warum auch nicht – ihnen steht ja eine von Schuldkomplexen und Vergangenheitsneurosen geplagte Noch-Mehrheitsbevölkerung gegenüber, die jederzeit bereitwillig die Verantwortung für alles Ungemach bei sich selbst sucht und im Konfliktfall zuverlässig als erster nachgibt. Muslime stellen sich leicht beleidigt? Lieber nicht provozieren. Türkische und arabische Einwanderer hängen gern vormodernen Vorstellungen von Ehre, Frauen- und Menschenrechten an? Bloß nicht zu viel kritisieren, sonst steht man am Ende noch als „Ausländerfeind“ da. Wo alles verhandelbar ist und die vorauseilende Kapitulation zum Prinzip geworden ist, braucht man sich über anmaßende Forderungen nicht zu wundern. Die Begriffsverwirrung, die durch semantische Mogelpackungen wie „Integrationsgipfel“ oder „Islamkonferenz“ noch befördert wird, lädt dazu geradewegs ein. Schon die Etiketten suggerieren eine Begegnung unter Gleichen. Wäre Deutschland das Einwanderungsland, als das seine politische Klasse es auszugeben pflegt, hieße Integration nichts anderes als Assimilation – Aufgehen in einer neuen Identität. Die einzige Integrationsfunktion, die Einwandererorganisationen im Staatsgefüge haben könnten, wäre die eines Transmissionsriemens, der für rasche und reibungslose Verinnerlichung der Werte und Regeln des Aufnahmelandes sorgt. Die türkisch-islamischen Verbände tun das Gegenteil. Sie agieren als Vertreter türkischer Interessen und weisen jede an deutschen Maßstäben orientierte Integrationsforderung als störende Bevormundung zurück. Integration heißt für sie: Anerkennung und Konservierung der Parallelgesellschaft, für die sie sprechen, und Absicherung dieser Position durch politische Teilhabe. Sie halten sich „für den Bundestag“ (Necla Kelek) und verlangen Einfluß auf die Einwanderungsgesetzgebung, damit ihre Klientel und Machtbasis weiter wachsen kann. Dabei haben sie die Zeit auf ihrer Seite. Deutschland sitzt in der Demographiefalle. Jetzt schon stammt in vielen Großstädten jedes zweite neugeborene Kind aus einer Einwandererfamilie. In den Kinder- und Jugendkohorten von heute wachsen die neuen Bevölkerungsmehrheiten von morgen heran. Bereits in einer Generation, wenn die letzten geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, wird sich das Straßenbild umkrempeln. Um die 2050 können die Deutschen bereits zur vergreisten Minderheit im eigenen Land geworden sein. „Was Sultan Süleyman mit der Belagerung Wiens 1683 begonnen hat, werden wir (…) mit unseren kräftigen Männern und gesunden Frauen verwirklichen“ – die 2004 gefallene und historisch fehlerhafte Bemerkung (Süleyman belagerte Wien 1529) Bemerkung des mit deutschem Paß und SPD-Europamandat ausgestatteten türkischen Reiseunternehmers Vural Öger wird dann bitterer Ernst werden. Dessen sind sich die Einwanderer-Funktionäre wohl bewußt. Und sie wissen auch, wie sehr ein Land durch einen Überschuß an jungen, unausgebildeten, chancenlosen, gewalt- und radikalisierungsbereiten Männern unter Druck geraten kann. Man muß nicht nach Palästina oder ins Kosovo gehen, um das zu studieren: die Ghettos und „No-go-areas“ der großstädtischen Brennpunkt-Quartiere, in denen türkisch-arabische Jugendgangs der Staatsmacht das Gewaltmonopol und die territoriale Kontrolle streitig machen, liefern die Blaupause für jene „Intifada der Muslime“, vor der Bassam Tibi die Deutschen gewarnt hat. Gleich mehrfach wird die staatliche Autorität in Frage gestellt: von unten durch das Aufstandspotential der integrationsverweigernden Einwandererjugend; auf institutioneller Ebene durch die Speerspitze türkischer und islamischer Einwanderer-Verbände, die mit der Attitüde der künftigen Herren des Landes auftreten. Die einen versucht man mit Transfers und Sozialleistungen ruhigzustellen, die anderen durch Appeasement und Einbindung. Der „nationale Integrationsplan“ ist ein Zeugnis dieser Kapitulation vor der Realität: ein Plan zur stillschweigenden sozialverträglichen Selbstabwicklung Deutschlands. Bund, Länder und Kommunen versprechen viel – von der Geldspritze für Integrationsindustrie und Einwanderungslobby bis zur „Migrantenquote“ in den Verwaltungen – und verlangen nichts, allenfalls lahme „Selbstverpflichtungen“, die man unterschreiben kann oder auch nicht. Integration ist aber längst keine soziale Frage mehr, sondern eine staatspolitische. Es geht dabei weniger um die Fürsorge für die eingewanderte Bevölkerung, um Sprachkurse, Schulabschlüsse, Sozialleistungen und Statusfragen, als vielmehr um die Zukunft von Staat und Nation. Welche Einwanderer hereingelassen werden und inwieweit sie sich anzupassen haben, entscheidet darüber, wer in diesem Land künftig das Sagen hat. Der Konsens der politischen Klasse, Integration und Leitkultur als zwischen Einheimischen und Einwanderern auszuhandelnden Kompromiß zu betrachten, ist ein fataler Souveränitätsverzicht.Daraus mag eine gewisse taktische Verschlagenheit sprechen: das Kalkül etwa, sich beizeiten Wählerpotentiale unter den eingebürgerten Einwanderern zu erschließen, das schon bei der rot-grünen Staatsbürgerschaftsreform so penetrant Pate gestanden hat. Manch besonders eifriger Sekundant der Einwanderer-Verbände, von der unvermeidlichen Claudia Roth bis zum naiven Kirchenmann, scheint sich ohnehin vor allem mit den künftigen Mehrheiten arrangieren zu wollen. Was aber, wenn diese die exzessive Toleranz nicht mit gleicher Münze vergelten wollen? Mag sein, daß unser Abschied aus der Geschichte unvermeidbar ist – noch aber sollten wir ehrgeizigere Ziele haben als bloß noch den Hof zu übergeben und ansonsten in Ruhe gelassen zu werden.