Im Jahr 2006 wurden in Frankreich 831.000 Lebendgeburten gemeldet. Das war eine Steigerung gegenüber den 807.400 des Vorjahrs – erst recht im Vergleich zu den 675.000 Geburten in Deutschland mit seiner um fast 20 Millionen höheren Einwohnerzahl. Dies entspricht einer Fertilitätsrate von zwei Kindern pro Frau und erreicht fast das zum Bevölkerungserhalt notwendige Niveau von 2,1 (JF 5/07). Sowohl für Frankreich, wo die Geburtenrate 1993 auf 1,6 Kinder gefallen war, als auch EU-weit ist dies ein Spitzenwert. Nachdem es einst der erste europäische Staat mit abfallender Fertilitätsrate war, hat Frankreich nun Irland überholt. Die durchschnittliche Geburtenrate in der EU liegt bei 1,5 Kindern pro Frau. Nur 1,3 sind es in Polen, Spanien, Italien und Deutschland, dessen Bevölkerung seit 1972 abnehmen würde, wenn das Geburtendefizit nicht durch Einwanderung kompensiert würde. Vor allem bei den über 30jährigen Frauen in Frankreich hat die Anzahl der Geburten spürbar zugenommen. Das Durchschnittsalter der Gebärenden liegt derzeit bei 29,8 Jahren. Seit 1980 hat sich die Zahl der „späten Mütter“ verdreifacht, so daß diese inzwischen fast vier Prozent aller Geburten ausmachen. Insgesamt bleibt lediglich jede zehnte Französin kinderlos. In Deutschland ist es hingegen jede vierte. Hervorzuheben sind zwei französische Besonderheiten: zum einen der vergleichsweise hohe Anteil von Familien mit mindestens drei Kindern, zum anderen die sinkende Rate der Eheschließungen, die dazu führt, daß die meisten in Frankreich geborenen Kinder (bis zu zwei Drittel in den Großstädten) unehelich sind. Niedrigere Fertilitätsrate bei den Europäischstämmigen Jüngsten demographischen Vorhersagen zufolge wird die Bevölkerung der auf europäischem Territorium gelegenen Gebiete Frankreichs bis 2050 von heute 63,4 Millionen auf mindestens 70 Millionen Einwohner steigen. Diese Projektionen basieren auf einer Fertilitätsrate von 1,9 Kindern pro Frau, einer Sterblichkeitsrate, die im selben Tempo fällt wie während der letzten 15 Jahre, und einer Netto-Zuwanderung von etwa 100.000 Menschen pro Jahr. Dieses Szenario sieht eine bedeutende Zunahme der Todesfälle zwischen 2030 und 2040 voraus (Aussterben der „Babyboomer“-Generation). Ab 2050 wird demzufolge die Zahl der Todesfälle die der Geburten übersteigen, obwohl sich aufgrund der Einwanderung die Gesamtbevölkerung weiterhin vermehrt. Anders als in Deutschland scheint die weitere Bevölkerungszunahme somit gesichert, aber sie wird begleitet von einer Überalterung: Sämtliche Vorhersagen gehen für den Zeitraum von heute bis 2050 von einer beträchtlichen Zunahme des Anteils der über 65jährigen aus. Bereits jetzt fallen 16,2 Prozent der Bevölkerung in diese Kategorie, 1994 waren es nur 14,6 Prozent. Die Anzahl der arbeitsfähigen Jungen wird gegenüber den Männern und Frauen im Rentenalter stetig abfallen, ohne daß dadurch eine Verminderung der Arbeitslosigkeit garantiert wäre. Denn die freigewordenen Stellen korrespondieren nicht notwendigerweise mit den gesuchten. In Deutschland wird der Bevölkerungsanteil der 20- bis 24jährigen schon zwischen 2010 und 2015 unter den der 60- bis 64jährigen fallen. Insgesamt ist in Frankreich eine günstigere Geburtenentwicklung zu verzeichnen als im übrigen Europa. Dafür gibt es vielfältige Gründe. Frankreich stellt Frauen mehr Erleichterungen zur Verfügung, um die Mutterrolle mit dem Berufsleben zu vereinbaren. Die Anzahl der Krippen, kostenlosen Kindergärten, der Schulkantinen und Ferienkolonien ist deutlich gestiegen. Hinzu kommen verschiedene an die Elternschaft gebundene Sozialleistungen, Familiensplitting bei der Einkommensteuer, steuerliche Vergünstigungen für Heimarbeit, Erhöhung des Kindergeldes, Lockerungen der Bestimmungen für den Erziehungsurlaub. Laut der Weltbank wendet Frankreich 1,23 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Förderung der Familie auf. In Deutschland sind es 0,8 Prozent. Acht von zehn französischen Müttern stehen daher dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Eine ebenso entscheidende Rolle spielen psychologische Faktoren. Mutterschaft ist in Frankreich in Mode gekommen. Selbst im feministischen Diskurs ist ein Wandel festzustellen. Was früher als „Entfremdung“ oder Unterwerfung unter „archaische“ Normen galt, wurde jüngst in der linken Wochenblatt Le Nouvel Observateur verklärt als „Rückkehr zu den Ursprüngen, natürliche und sozusagen ökologische Verhaltensweise“. Gleichzeitig wird die Familie nicht mehr als Hort der Autorität und Hierarchie wahrgenommen, sondern als ein Ort der Zärtlichkeit, des Vertrauens und der Geborgenheit. Die offiziellen Zahlen führen indes ein wenig in die Irre. Die Geburtenrate wird schon alleine deshalb überschätzt, weil ihr die bei der Volkszählung von 1999 ermittelte Einwohnerzahl zugrunde liegt. Heute ist bekannt, daß mindestens eine Million Menschen damals „vergessen“ wurden. Zum zweiten unterscheidet die Statistik nicht zwischen den auf europäischem Gebiet gemeldeten Geburten und jenen in den Überseeterritorien und Départements wie Guyana, Réunion oder den Antillen. Die offizielle Fertilitätsrate ist ein Mittelwert, der zwei unterschiedliche Entwicklungen vermengt: Die reale Geburtenrate der europäischstämmigen Bevölkerung dürfte bei 1,7 oder 1,8 Kindern pro Frau liegen, die der aus dem Maghreb zugewanderten Bevölkerung wird dagegen auf 3,3 und aus Schwarzafrika auf 4,0 geschätzt. Von den 761.400 Kindern, die 2003 im europäischen Teil Frankreichs geboren wurden, hatten 87.675 (11,5 Prozent) ausländische Mütter. 31.564 der Frauen kamen aus dem Maghreb, 20.013 aus Schwarzafrika, 5.338 aus der Türkei. Laut dem Demographieforscher Jacques Dupâquier wird deren Gesamtanteil an der Geburtenzahl bis 2013 auf 13,4 Prozent und bis 2023 auf 18 Prozent anwachsen. Durch Eheschließung, Einbürgerung oder aufgrund ihrer Geburt auf französischem Boden haben zudem viele Frauen außereuropäischer Abstammung die französische Staatsbürgerschaft erworben. Dies erschwert die Ermittlung der allochthonen Geburtenrate ebenso wie das derzeit heiß debattierte Gesetz, das jegliche statistische Erfassung der Bevölkerung nach ethnischer, kultureller oder religiöser Zugehörigkeit untersagt. Bisherige Volkszählungen unterscheiden lediglich zwei Einwohnerkategorien: französische und ausländische Staatsbürger. Personen außereuropäischer Herkunft sind in beiden Kategorien vertreten, ohne daß es gesetzlich erlaubt wäre, sie zu identifizieren. Die Zahl der ausländischen Staatsbürger liegt ziemlich konstant bei 2,4 Millionen, da die Zahl der jährlichen Einbürgerungen in etwa jener der legal Zugewanderten entspricht. Ab 2030 zwölf Millionen mit Migrationshintergrund Mangels amtlicher Zahlen wird die Anzahl der in Frankreich lebenden Personen ausländischer Herkunft anhand der seit den 1960er Jahren legal Zugewanderten, der Einbürgerungen und der Fertilitätsrate der ethnischen Minderheiten ermittelt. Letzterer liegen repräsentative Erhebungen unter Wahrung der Anonymität der Befragten zugrunde. Mit Hilfe dieser Analysen läßt sich unabhängig von der Staatsbürgerschaft eine Zahl von ungefähr sieben Millionen Menschen außereuropäischer Herkunft ermitteln, die dauerhaft in Frankreich leben. Davon stammen 2,8 Millionen aus dem Maghreb, 3,8 Millionen aus Schwarzafrika und 200.000 aus der Türkei. Hinzu kommen geschätzte 400.000 Illegale. Seine-Saint-Denis nördlich von Paris ist das erste Département, in dem die Zahl der Neugeborenen nichteuropäischer Abstammung die der europäischstämmigen übertrifft. Wenn sich derzeitige Bevölkerungstrends fortsetzen, wird dies in nicht allzu ferner Zukunft zum Normalzustand werden. Für das Jahr 2030 rechnen Demographieforscher bei einer Gesamtbevölkerung von 67 Millionen mit einem außereuropäischen Anteil von 17,6 Prozent (12 Millionen). Ab 2040 wird der Bevölkerungsteil außereuropäischer Abstammung für mehr als 50 Prozent des natürlichen demographischen Wachstums verantwortlich sein. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts wird in einem Land mit dann 78 Millionen Einwohnern dieser Bevölkerungsanteil die Mehrheit bilden. Foto: Präsdentschaftskandidatin Ségolène Royal, Mutter von vier Kindern, mit Schülern: Per Gesetz ist die statistische Erfassung nach ethnischer, kultureller oder religiöser Zugehörigkeit untersagt
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