Herr General, gerade Ihr Familienname macht die enge Verbindung zwischen Bundeswehr und früheren deutschen Armeen augenfällig. Ihr Vater, General Johann Adolf Graf von Kielmansegg (Interview in JF 18/01), diente in Reichswehr, Wehrmacht und Bundeswehr. Die Soldatentradition Ihrer Familie reicht gar bis zu den Befreiungskriegen zurück. Kielmansegg : Ich würde diesen Zusammenhang gar nicht an meinem Namen festmachen, denn die Verbindungsstränge zwischen der Bundeswehr und ihren Vorgängern sind so mannigfaltig und eng, daß es dessen nicht bedarf. Es ist besorgniserregend, daß in der Truppe immer mehr der Hang zur Distanzierung um sich greift und man zunehmend unterschwellig so tut, als ob die Bundeswehr quasi aus dem Nichts geboren worden wäre und alles davor schlecht gewesen sei. Steht die Pflege der genuinen Tradition der Bundeswehr und der früherer deutscher Armeen tatsächlich in Widerspruch zueinander? Kielmansegg : Nein. Natürlich hat die Bundeswehr eigene Traditionen, auf die sie stolz sein kann. Aber das darf nicht zu Geschichtslosigkeit führen. Es gibt soldatische Tugenden und Taten, die in ihrem Wert zeitlos sind – im Frieden wie im Krieg. Man muß das eine tun, aber das andere nicht lassen. Wie erklären Sie sich den Fall Fürstenfeldbruck? Kielmansegg : Ich halte die dort ergriffenen Maßnahmen für unnötig und übers Ziel hinausgeschossen. Es wurde offenbar vor allem aus Bequemlichkeits- und Opportunitätsgründen so entschieden. Man sollte den Fall nicht überbewerten, aber man muß ihn doch im Kontext einer seit Jahren in der gesamten Bundeswehr stattfindenden Traditions- und Erinnerungsvernichtung sehen, die beispiellos ist! Dies wiederum ist Bestandteil eines umfassenderen Prozesses: Je selektiver wir die Vergangenheit betrachten, desto eindimensionaler und verzerrter wird das Geschichtsbild der Deutschen. Das zeigt sich auch hier, selbst wenn es gar nicht so gemeint sein mag. Völlig unbefangen spricht man von „Traditionspflege im Rahmen der Political Correctness“. Kielmansegg : Das wäre eine erhebliche Einengung. Politische Korrektheit ist ja nichts anderes als eine Metapher dafür, daß uns vorgeschrieben wird, was wir zu sagen und was wir zu erinnern, beziehungsweise, was wir nicht zu sagen und was wir nicht zu erinnern haben. Das aber ist ein für eine Demokratie unerträgliches politisches Muster, es beschädigt Freiheit und Wahrheit. Das Gespräch oben offenbart, daß bei den Verantwortlichen kein Bewußtsein für Wesen und Notwendigkeit einer überzeitlichen Traditionspflege zu bestehen scheint: Sie meinen es nicht böse, sie begreifen es schlicht nicht. Kielmansegg : Natürlich ist das Benennen von Kasernen, wie von Straßen nach verdienten Soldaten ein wichtiger Vorgang und auch ein Hinweis auf das Selbst- und Geschichtsbewußtsein einer Nation. Wer mit dem Zeitgeist schwankend meint, alle paar Jahrzehnte nach der jeweils vorgeschriebenen Geschichtsauffassung alle Traditionen umwerten zu müssen, macht sich erstens abhängig und hat zweitens nicht begriffen, was wirklich Tradition und Geschichtsbewußtsein bedeuten. Karl Jaspers hat einmal gesagt: „Zukunft ist Herkunft.“ Und von Raymond Aron stammt der Satz: „Man kann den Charakter einer Nation daran erkennen, wie sie nach einem verlorenen Krieg mit ihren Soldaten umgeht.“ Offenbar gab es in Fürstenfeldbruck keinen Protest seitens der aktiven Truppe. Kielmansegg : Ich kann mir das in der Tat vorstellen, halte es allerdings für ein fatales Zeichen: Ich vermute dahinter nämlich nicht nur Desinteresse und Unkenntnis, sondern bei manchem auch betretene Zurückhaltung, weil viele Kameraden in den letzten Jahren gemerkt haben, wie nachteilig es sein kann, wenn man eine nicht politisch korrekte Auffassung vertritt. Das hat unter anderem bewirkt, daß die Bundeswehr mittlerweile die traditionsvergessenste Armee der Allianz geworden ist, was ihr nicht zur Ehre angerechnet wird. Generalmajor a.D. Hanno Graf von Kielmansegg geboren 1935 in Hannover, 1956 Eintritt in die Panzertruppe, zuletzt Stabschef der Nato-Heeresgruppe Nord.