Der an der Berliner Humboldt-Universität lehrende Kunsthistoriker Horst Bredekamp erzielt neben Martin Warnke (Hamburg) wohl die höchste Außenwirkung für seine elitäre Disziplin, die immer noch unter dem Ruf leidet, höheren Töchtern nur voreheliche Zerstreuung zu bieten. Bredekamp erreicht diesen Publikumseffekt auch mit einem interdisziplinären Ansatz, der sich etwa bei seiner Deutung des bereits in dritter Auflage vorliegenden Buches über die Titelillustration von Hobbes‘ „Leviathan“ aufs Beste bewährt hat. Nun folgt den Ausflügen in die politische und Ideengeschichte eine Grenzüberschreitung hin zu den Biowissenschaften. Unscheinbare Korallen-Skizzen des zeichnerisch unbegabten Charles Darwin erregten Bredekamps Spürsinn. Daraus entstand ein Essay, der dank vieler Illustrationen den Umfang eines Büchleins erreichte, das einem Geschenk für Bibliophile gleichkommt. Allerdings erkennt der Leser rasch, daß er ohne den reichen Bilderschatz auch hoffnungslos verloren wäre. Denn Bredekamp, der sich die Meister der Mikrohistorie und ihren Übervater Aby Warburg zum Vorbild wählt, trägt seine Argumentation mit der Lupe in der Hand vor. Klar scheint zunächst nur, daß zu den zahllosen Funden, die Charles Darwin von seiner Weltreise nach London heimbrachte, auch die Amphiroa Orbignyana zählte und daß er diese Algenart, mit ihrer korallenähnlichen wuseligen Struktur für seine „Visualisierung der Evolution“ im Großwerk über „Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“ (1859) nutzte. Bredekamp überlagert diese vielarmige Amphiroa-Gestalt den Evolutionsdiagrammen Darwins und kann so seine These plausibilisieren. Damit soll es aber nicht sein Bewenden haben. Vielmehr kontrastiert Bredekamp nun Darwins „metaphorisches Interesse“ an der Koralle mit dem hergebrachten Naturmodell des Lebensbaums, das auch dem deutschen Darwin-Herold Ernst Haeckel nutzte, um die Evolutionstheorie zu versinnlichen. Darwins Korallen und Haeckels Eichen, englische Anarchie und deutsche Hierarchie stehen sich so gegenüber. Die geschichtsphilosophische Konstruktion von „Land und Meer“ grüßt also zum Schluß des Essays. Foto: Horst Bredekamp: Darwins Korallen. Die frühen Evolutionsdiagramme und die Tradition der Naturgeschichte. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2006, 111 Seiten, Abbildungen, 22,50 Euro