Eilige Finger fliegen über die Tastatur, die Uhrenanzeige auf dem Rechnerschirm springt um: 17.30 Uhr, Dienstag abend, der Redaktionsschluß rückt rasch näher. Jetzt muß alles schneller gehen, kompakter, konzentrierter. Fast neun Stunden sitzen wir heute bereits vor den Rechnern. Gegen brennende Augen und krummes Kreuz gibt es nur noch ein Mittel: Kaffee trinken. Und wenn es nicht hilft: Noch mehr Kaffee trinken. Die Sekunden, Minuten und wenigen Stunden bis Mitternacht formen sich zu einer Zielgeraden in die Nacht … Das Telefon schrillt, endlich! Der Interviewpartner Professor Doktor Bundestagsabgeordneter Staatsekretär a.D. will seinen Text freigeben! Nein, es ist Thorsten Hinz, der letzte Korrekturen am Portrait der Woche durchgibt. Der Interviewpartner läßt weiter auf sich warten. 17.45 Uhr: eine Dreiviertelstunde über die Zeit … Mittwoch nachmittag, sechs Tage früher: Auf der ersten Redaktionskonferenz für die neue Ausgabe wird das Interview der Woche besprochen. Haben wir ein Schwerpunktthema? Muß das Interview sich daran orientieren? Oder läuft es unabhängig vom Blattaufmacher? Soll es eher Fakten, Daten, Tatsachen vermitteln? Oder den an anderer Stelle im Blatt sachlich dargestellten Gegenstand nur diskutieren? Soll es ein Politiker, ein Künstler oder ein neutraler Fachmann sein? Alle Redakteure machen Vorschläge, die Ziele sind hochgesteckt. Doch dem geringen „Mut vor Königsthronen“ hierzulande geschuldet, beantworten sich alle diese Fragen dann meist nicht so wie gewünscht. Oft genug muß mit einem ganz anderen Interviewpartner vorliebgenommen werden, als geplant. Bei der JUNGEN FREIHEIT geht kein Interview in Druck, bevor es nicht vom Interviewpartner freigegeben worden ist. Das ist journalistischer Standard in Deutschland. In angelsächsischen Ländern ist das anders, dort gilt das gesprochene Wort. Jedes Procedere hat seine Vor- und Nachteile. Natürlich korrigieren Interviewpartner bei der deutschen Methode aus den Abschriften der meist telefonisch geführten und auf Band aufgezeichneten Gespräche brisante Aussagen gern wieder heraus. Auf der anderen Seite ermöglicht es dem Journalisten eine Präzisierung in der Gesprächsführung. Es kann allerdings auch schiefgehen, etwa wenn bei der Autorisierung das ganze Interview umgeschrieben wird; am Ende passen mitunter Fragen und Antworten nicht mehr zusammen, oder es werden gar völlig neue Aspekte aufgeworfen, auf die der Interviewer eigentlich reagieren müßte, was er aber aufgrund des Zeitdrucks nicht kann. Inzwischen ist es 18.30 Uhr, und noch immer ist nichts vom Interviewpartner zu hören. Seine Sekretärin ist längst zu Hause, sein Anrufbeantworter vollgesprochen, sein Mobiltelefon abgeschaltet. Auf ePost und Fax reagiert er nicht. Wäre doch nur mehr Zeit … Am Donnerstag war nach stundenlangem Herumtelefonieren ein adäquater Interviewpartner gefunden. Glück gehabt, mitunter kann das auch Tage dauern! Der namhafte Wissenschaftler hatte aus Zeitgründen darum gebeten, das Gespräch auf der Stelle zu führen. Da ist Improvisation gefordert, weil eine gründliche Vorbereitung nicht mehr möglich ist. Die Bearbeitung des Textes dauert dann den ganzen Freitag, doch am Abend kommt statt der Autorisierung eine Absage per Fax. „Text nicht freigegeben“ heißt es knapp und ohne Angabe von Gründen. Am Telefon läßt der Herr sich verleugnen, die Motive bleiben unklar. Freitag – und doch ist sozusagen wieder Mittwoch … Immerhin: Montag früh ist gleich der erste Anruf erfolgreich. Der ehemalige Präsident des Bundesverbandes ist offen für die Presse. Termin 14 Uhr, das läßt Zeit, um sich in die Positionen des Mannes einzulesen. Schließlich stellt die Sekretärin durch. „JUNGE FREIHEIT? Das hat man mir aber nicht gesagt!“ – Wir haben aber den Termin schriftlich bestätigt! – „Oh tatsächlich, Sie haben recht, unser Fehler, aber das wird trotzdem nichts mit uns.“ Es ist Montag, 14.05 Uhr und wieder ist quasi Mittwoch … Dienstag, 19 Uhr: Ein altes Schubladen-Interview zur Bockbierfrage kann kein Ersatz sein, denn im Bundestag steht die Schnittbohnenfrage an und da will keiner etwas über Bockbier lesen! Also heißt es ein viertes Interview aus dem Boden zu stampfen, und zwar mit einem „alten Bekannten“, auf den man sich ganz sicher verlassen kann: Wurzelzwerg war bis 1998 Bundestagsabgeordneter – und saß tatsächlich im Ausschuß für die Schnittbohnenfrage! Nach der Pleite von 14 Uhr vergeht der übrige Montag mit erneuter Akquise. Bis in die späte Nacht aber nur Absagen. Dann, nach etwas Schlaf unterm Schreibtisch, kommt am frühen Dienstag morgen endlich eine Zusage … Doch nun scheint sich auch der dritte Anlauf als Pleite zu entpuppen. Inzwischen ist es 19.30 Uhr und das vierte Interview soll gerade beginnen, als der Anruf doch noch kommt: „Entschuldigung, war in Sitzung!“ Das Interview ist doch gesichert, der Redaktionsschluß allerdings perdu. Der freundliche Wurzelzwerg räumt verständnisvoll das Feld. Als der Text schließlich kommt, ist er massiv umgeschrieben und hat enormen Überhang. Layout und Schlußredaktion müssen zaubern. Schließlich verläßt die Seite drei als letzte kurz vor Mitternacht die Redaktion Richtung Druckerei. Die Anspannung weicht, doch für Entspannung bleibt nur wenig Zeit, denn morgen ist schon wieder Mittwoch. Weitere Informationen, mit Fotos, Grafiken u.ä. finden Sie in der PDF-Datei „20 Jahre JUNGE FREIHEIT“. oder im Portal JUNGE FREIHEIT
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