In manchen Theaterstücken der weißrussischen Nachkriegszeit tritt eine komische Figur auf, die mit lauter Stimme, wilder Gestik und einem Wörterbuch in der Hand sinnloses Russisch von sich gibt. Es ist der deutsche Besatzungssoldat, der hier völlig anders als in der stalinistischen Propagandamaschine auf eine Weise karikiert wurde, die dem Publikum aus den eigenen Erfahrungen offenbar nicht ganz unbekannt war. Nicht als „faschistische Bestie“, sondern als jemand, der weder das Land noch seine Sprache wirklich verstehen konnte. Atmosphäre von Mißtrauen und Kämpfe untereinander Erst die letzten Jahre haben es jedoch möglich gemacht, den Blick auf den Alltag zu lenken, in dem wenige tausend Mann deutscher Besatzungstruppen und Verwaltungsbeamten, größtenteils bar jeder Kenntnis der Gegebenheiten, besetzte Gebiete von etwa der Größe Deutschlands selbst unter Kontrolle zu halten versuchten. Weil es zu den am frühesten besetzten und am längsten verteidigten Regionen gehörte und auch wegen der relativ großzügigen Praxis seiner archivierenden Behörden, steht Weißrußland dabei besonders im Blick. Bogdan Musial, der Öffentlichkeit vorwiegend als Kritiker der Wehrmachts-ausstellung und wegen seiner Arbeiten über den sowjetischen Terror nach Kriegsbeginn bekannt, widmet den Innenansichten des Landes jetzt einen kleinen Dokumentationsband aus dem Blickwinkel des weißrussischen Partisanenkriegs. Dabei konzentriert er sich zwar auf die Sichtweise der sowjetischen Partisanen, behandelt aber auch andere Verbände wie die sehr aktive polnische „Heimatarmee“, jüdische Partisanengruppen und dazu lokale Selbstverteidigungsbemühungen einzelner Dörfer. Zusammen mit den Organisationen litauischer und ukrainischer Nationalisten erzeugten sie ein Gemisch aus Interessen, eine Atmosphäre gegenseitigen Mißtrauens und permanente bewaffnete Konflikte gegen die deutschen Truppen, aber auch untereinander. Musial nähert sich dem Thema in fünf Kapiteln. Sie enthalten jeweils eine Anzahl zeitgenössischer Dokumente und werden von einem kurzen Beitrag des Herausgebers eingeleitet. Dabei sollen, so Musial, den deutschsprachigen Lesern erstmalig „ungefilterte Innenansichten“ der sowjetischen Partisanenbewegung zugänglich gemacht werden. Dies ist ein ambitioniertes Projekt, denn ohne Filter ist in der Sowjetunion nichts entstanden, auch die Dokumente der Partisanen nicht. So ist denn das Problem bei diesen Papieren nicht die zeitgenössische Herkunft, wie Musial richtig feststellt. Sie steht weitgehend außer Frage. Anders verhält es sich mit dem Inhalt. Vieles von dem, was hier von den Partisanen ausgebreitet wird, ist schlicht erfunden. Hierauf weist Musial ebenfalls in der Einleitung hin, scheint es aber bei der Auswahl der Texte nicht immer ganz im Blick behalten zu haben. Die meisten geben offenkundig einfach wieder, was „oben“ gehört werden wollte. Das gilt in krasser Form für die militärischen Verlustzahlen, die sich manchmal mit den deutschen Meldungen vergleichen und damit als falsch erkennen lassen. Der Kommandeur mit dem Kriegsnamen „Platon“ meldete, beim deutschen Unternehmen mit dem Namen „Hermann“ im Kampf mit der SS-Brigade Dirlewanger mehr als dreitausend Gegner getötet oder verwundet, den Stab Dirlewangers zerschlagen und ihn selbst getötet zu haben. Eigene Verluste hätten einhundertachtzig Tote betragen. Davon stimmte allenfalls das Datum des Berichts. Auch allgemein zeigte sich „Platon“ nicht kleinlich. Als Bilanz für die ersten acht Monate 1943 meldete er beinah 61.000 getötete und verwundete „Hitlerleute“, erschossene Gefangene, „Gestapoagenten und Vaterlandsverräter“. Eigene Verluste: 660 Tote und Verwundete. Man muß dies nicht ernst nehmen. Daraus entsteht aber ein grundsätzliches Problem. Es wird nämlich nicht recht deutlich, warum der restliche Textteil glaubwürdiger sein soll als der militärische Teil, wie Musial das offenbar annimmt. Allzu häufig entsteht bei genauem Lesen ein Standardbild aus tapferen, aber schwer belasteten, dabei höchst erfolgreichen Partisanen, einer Sowjetbevölkerung, die nur auf Befreiung durch die Rote Armee zu warten scheint, sowie einzelnen „Verrätern“, die konsequent ermordet werden. Garniert wird dies dann mit einigen Neuigkeiten über angebliche „faschistische Greuel“. Hier wurde offenkundig nach einem Schema berichtet, das manche Dokumente dementsprechend zu einem Beleg für die Innenansichten und die Vorstellungswelt der Partisanen über das werden läßt, was man in Moskau wohl hören wollte, aber nicht zu einem Nachweis dessen, was wirklich geschehen ist. An anderer Stelle wird dann jedoch der Kriegsalltag detailliert deutlich, in dem Massaker und Verbrechen der sowjetischen Partisanen an der eigenen Zivilbevölkerung oder den jüdischen und polnischen Konkurrenzverbänden immer wieder vorkamen. Bild des Weltkriegs nicht selten von Klischees bestimmt So kann Musials Dokumentation in erster Linie erreichen, was er auch als Zweck angibt: zu weiteren Forschungen anzuregen. Denn immer noch wird das Bild des Weltkriegs im östlichen Mitteleuropa nicht selten von Klischees bestimmt, die auf Nachwirkungen kommunistischer Fälschungen beruhen, wie Musial mit Blick auf die als Standardwerk zur Politik im polnischen Generalgouvernement geltende Arbeit Wlodzimierz Borodziejs formuliert. Das wird erst jahrelange Archivarbeit ändern können. Zweifellos könnten die Ergebnisse manche Autorität als komische Figur erscheinen lassen. Bogdan Musial (Hrsg.): Sowjetische Partisanen in Weißrußland. Innenansichten aus dem Gebiet Baranovii. Oldenbourg Verlag, München 2004, 271 Seiten, broschiert, 24.80 Euro Foto: Weißrussische Partisanen in den Sümpfen bei Pinsk, 1943: Melden, was man in Moskau hören will