Nun ist auch „La Ultima Toura“ der Böhsen Onkelz und damit die Geschichte der Band zu Ende gegangen. Auf ihrer Abschiedstournee verbreiteten Fans und Band vorwiegend gute Laune. Beim Gang in die Preussag-Arena in Hannover kam man sich wie bei einem Boyband-Konzert vor, André-Rieu-Plakate (für die begleitende Mutti) flankierten einen Gummibärchenstand, junge Mädchen mit Baseballkappen waren zum Flirten aufgelegt, und die polnischen Servicekräfte wurden von wohlerzogenen jungen Herren mit reichlich Trinkgeld bedacht. Selbst die sanitären Einrichtungen waren benutzbar, und am Parkplatz stand gerade mal ein verlorener Polizeiwagen. Ein ganz anderes Bild bot sich vor vier Jahren bei einem Onkelz-Konzert in Dortmund, als 1.300 Polizisten aufmarschiert waren, welche die zum Schutz gegen einen angedrohten NPD-Besuch eingesetzten Hell’s Angels festzunehmen hatten. Noch 1993 mußte, wer zu einem Onkelz-Konzert wollte, an einer Autobahnraststätte nach einer ominösen Zenngrundhalle fragte, in der man sich dann mit gegelten Haaren unter lauter Kahlgeschorenen doch etwas verloren vorkam. Und schon damals hieß das Motto mitunter „Rock gegen Rechts“. Wenn ein Konzert überhaupt einmal zustande kam, galt es tief in die Provinz fahren. Dort mußte Band-Chef Stephan Weidner erst einmal dem örtlichen Bürgermeister einen Spendenscheck überreichen, um die lokale Halle nutzen zu dürfen. Der Bürgermeister flehte dann noch die Fans an, doch bitte auf gar keinen Fall in den Ort zu gehen, man konnte ihm die Sorgen nicht verdenken. Die Band hatte damals große Probleme, mit ihrem Publikum klarzukommen, das immer wieder zu Provokationen neigte. Häufig kam es zu Überreaktionen der Onkelz. Wenn einem der Vordermann zu der Zeit freilich aus dem Mißverständnis heraus, bei den Onkelz handele es sich um ein Band am äußersten rechten Rand, mit seinem rechten Arm ständig die Sicht auf das Konzert versperrte, konnte man fast Verständnis dafür aufbringen, daß die Onkelz sogar schwarz-rot-goldene Transparente abhängen ließen und vorübergehend selbst den Fußball-Klassiker „Mexiko“ von 1995 nicht mehr spielen wollten. Erfolge trotz des Boykotts seitens der Musikindustrie In der Zeit der ausländerfeindlichen Anschläge Anfang der neunziger Jahre steuerte die Kampagne gegen die Onkelz ihrem Höhepunkt entgegen. Angeführt wurde diese von Musikern wie Peter Maffay, Udo Lindenberg, Herbert Grönemeyer und der Handelskette WOM, die ihrerseits in den Achtzigern in ihrer Frankfurter Filiale bei Hertie Platten der radikalen Band Kahlkopf in ihrem Sortiment feilgeboten hatte. Zum Totalboykott von Konzertagenturen, Veranstaltern, Werbemedien, Musikindustrie und der Pressekampagne kam noch die Drogensucht von Sänger Kevin Russell hinzu, die Band stand damals kurz vor der Auflösung. Daß die Onkelz diese Zeit überlebten, verdanken sie nur ihrem Frontmann Stephan Weidner, der in Frankfurt ein regelrechtes Paralleluniversum zur Musikindustrie mit eigenem Label, Tour-Management, Tonstudios samt eigenen Technikern und weiteren Supportern für die Band aufbaute. Überdies mußte Weidner noch Sänger Russell aus dem Drogensumpf ziehen. Trotz aller Probleme plazierten sich die Onkelz immer öfter ganz oben in den Hitlisten. Auch ihr neues und letztes Album „Adios“ stieg Anfang August auf Platz eins der von Media Control ermittelten deutschen Albumcharts ein. Wie beschämend muß diese Leistung auf die Debatte um eine Quote für deutsche Musiker wirken. Wer nicht im Radio oder im Fernsehen gespielt wird, soll nicht heulen, sondern an seinem Profil feilen. Nur wer den Musikgeschmack einer nennenswert großen Hörerschaft trifft, Qualität bietet und Beharrungsvermögen zeigt, setzt sich beim Publikum auch durch. So bekamen die Onkelz 1995 immerhin einen Plattenvertrag bei Virgin. Das Major-Label sicherte sich gegen Kritik durch einen grotesken Passus ab, der ein einseitiges Auflösungsrecht bei einem Rückfall der Band in jene Zeiten vorsah, als die Onkelz mit politisch unkorrekten, nationalchauvinistischen Texten von sich reden machten. Gleichwohl erschienen in der Presse weiter haarsträubende Artikel über die Band, die jeglichen journalistischen Sorgfaltspflichten widersprachen. Der Spiegel schaffte es gar, das Foto einer anderen Band den Onkelz zuzuordnen, und die Moderatoren des Musiksenders Viva glaubten beim Thema Onkelz lispelnde Zivilcourage an den Tag legen zu müssen. Erst letzte Woche noch zeigte sich Sarah Kuttner in ihrer Fernsehshow im Gespräch mit den Vorsitzenden der Jungsozialisten und Jungen Union besorgt über den Onkelz-Erfolg. Und am 6. Oktober dieses Jahres leistete sich die Hamburger Morgenpost eine Konzertkritik, in der die unwahre Behauptung verbreitet wurde, die Onkelz hätten in den achtziger Jahren „Juden ins Gas“ gesungen. So etwas sagt natürlich mehr etwas über die Psyche des Autors aus und nichts über die Frühgeschichte der Band, die als Punkformation begann und deren „rechte“ Phase ein zweijähriges Zwischenspiel war, das aus einem Frankfurter Bandenkrieg mit türkischen Jugendlichen resultierte. Auch zu der Zeit gelangte freilich nie ein ausländerfeindliches Lied auf eine Platte. Und die „12 dunklen Jahre in deiner Geschichte“ wurden auch damals schon als „Dreck und Scherben“ bezeichnet. Die vier Frankfurter, aus asozialen Familienverhältnissen kommend, leisteten damit sicherlich keinen Beitrag zu einer komplexen Erinnerungskultur, neo-nationalsozialistisch waren sie aber zu keinem Zeitpunkt. Vom Sex-Pistols-Imitat zum unnachahmlichen Original Die Onkelz waren nicht zu Beginn rechts und haben sich dann distanziert, sondern begannen 1980 als deutscher Verschnitt der Sex Pistols, wie unschwer an den Fotografien aus dieser Zeit zu erkennen ist, und ritten dann zwei Jahre auf der Skinhead-Welle. Trotz dieser leicht nachprüfbaren Fakten bot die FAZ dieses Jahr dem linksextremen Konkret-Autor Magnus Klaue ein Forum für seine abstrusen Thesen über eine rechte Musikszene, bestehend aus den Onkelz und diversen rechten Szenebands. Mit diesen hatten die Onkelz noch nie etwas am Hut, im Forum der offiziellen Internetseite werden sogar die entsprechenden Bandnamen zensiert. Trotz der fortdauernden Kampagne in Teilen der Medien haben die Zeiten sich grundlegend geändert. Auf ihrer Abschiedstournee gaben sich die Frankfurter selbst im konservativen Münster die Ehre. Die Stadt hatte eine offizielle Delegation zu einem Klubkonzert nach Bremen entsandt, wo letzte Zweifel an einem Auftritt offenbar ausgeräumt werden konnten. Nach dem Konzert ließ der Pressesprecher der viel zu kleinen Messehalle verlauten, die Onkelz dürften sofort wiederkommen. Tun sie aber nicht, sie kommen überhaupt nirgendwo mehr hin. Diese Entscheidung der Gruppe wird nun all jene vor den Kopf stoßen, die sich doch noch an den Onkelz bereichern wollten. Ersatz wird für die Onkelz kaum gefunden werden können, denn die spezifische Aura der Illegitimität wird keine andere Band verbreiten können. Auch die Provokationen von Rammstein wirken zu eiskalt durchgestylt, um hinreichend Identifikationspotential bieten zu können. Und was die Musik und Texte der Rechtsrock-Untergrundszene betrifft, so sind die dort produzierten Stücke einfach zu schlecht und simpel gestrickt, als daß sie über den lunatic fringe hinausreichen könnten. Die Bezugnahme auf Schwarz-Weiß-Rot und „Deutsche Ehre, Deutsches Blut“ mag zwar ein gewisses Publikum ansprechen, reicht aber nicht aus, um aus dem Ghetto auszubrechen. Zurück zur Tour: In der Dortmunder Westfalenfalle, dem Wohnzimmer der Onkelz, wurden Anfang Oktober die Emotionen noch einmal auf die Spitze getrieben. Spontan knieten sich die Fans beim letzten Lied vor ihren Idolen nieder. Heulend verließen viele Konzertbesucher die Halle. Ähnliche Szenen wiederholten sich zwei Tage später in der Hamburger Color Line Arena. Doch jede Geschichte hat ihre Nachgeschichte. Die Posthistoire der Onkelz besteht in einem gigantischen Abschlußkonzert im nächsten Jahr auf dem Lausitzring, der nun „Eurospeedway“ heißt. Natürlich sind die 100.000 Eintrittskarten längst weg, um 400 Euro liegen derzeit beim Internetauktionshaus Ebay die Preise für zwei Tickets. An zwei Abenden wird die Lausitz also noch einmal onklifiziert werden, am Freitag will die Band zunächst die ersten zwölfeinhalb Jahre ihres Schaffens, einschließlich des legendären ersten Albums „Der nette Mann“ (1984), und am Samstag dann die zweiten Revue passieren lassen. Die Tränen werden dort zu Sturzbächen werden.