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Niemand weiß, was nach ihm kommen wird

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Niemand weiß, was nach Jassir Arafat kommen wird. Die Liste mögli-cher Nachfolger umfaßt mindestens ein halbes Dutzend Bewerber. Der Selbstherrscher selbst hat keinerlei nennenswerte Nachfolgeplanung und -regelung zugelassen und die Diadochenkämpfe damit vorprogrammiert. In ihnen wird sich entscheiden, ob man jenem schlechten und halben Frieden mit Israel näherkommt, der in den nächsten Jahren günstigstenfalls erreichbar ist, oder ob statt dessen Gewalt, Massaker und Haß sich weiter ausbreiten werden. Wer war Jassir Arafat, dieser Schatten-Mann, der lange Jahre im Blickpunkt der internationalen Öffentlichkeit stand und der – ob nun im Exil oder in Ramallah in Reichweite israelischer Maschinengewehre – doch stets genug von sich verbarg, um Vermutungen und Mythen reichlich Raum zu geben? Daß selbst für seinen Geburtsort verschiedene Varianten (zwischen Kairo, Jerusalem und Gaza) in Umlauf waren, schuf für einen zunächst einmal eher durchschnittlichen und unauffälligen Ingenieur aus gutbürgerlicher Familie ebenso Voraussetzungen einer Mythisierung wie sein gezielt martialisch-revoluzzerhaftes Auftreten, etwa bei seiner Rede vor den Vereinten Nationen, als er ein Pistolenhalfter und natürlich seinen Kopfschal in den Umrissen Palästinas trug. Die Aufgabe, diesen Menschen zu analysieren, der hinter gezielter Selbststilisierung verschwand, harrt noch der Bearbeitung. Einflüsse, die nicht gerade in der Richtung wirkten, einen friedlich-menschenfreundlichen Zeitgenossen heranzubilden, gab es genug – vom frühen Tod der Mutter, dem Aufwachsen bei einem Onkel bis hin zu den Erlebnissen von Lebensgefahr und völligem Scheitern – etwa beim „Schwarzen September“ 1970, der blutigen Zerschlagung des palästinensischen Staates im Staate durch König Hussein von Jordanien, oder bei der lebensgefährlichen Flucht vor den im Libanon auf Beirut vorrückenden Israelis. War Arafat ein Terrorist und Mörder? In einem gewissen Sinn war er es. Einen Befreiungskampf ohne Mord hat es außerhalb gewaltloser Bewegungen wie der Mahatma Gandhis niemals gegeben. Die Bereitschaft, den politischen Mord an Gegnern wie den Tod Unbeteiligter zu betreiben oder doch mindestens billigend in Kauf zu nehmen, ist nun einmal konstituierend für den bewaffneten Widerstand gegen eine Besatzungsmacht. Ein Terrorist, der nicht zum Mord bereit ist, ist keiner und erschreckt allenfalls noch Kinder und Greise. War Jassir Arafat nur ein Terroristenführer – oder war er es auch, wie vor ihm Menachem Begin oder Sam Nujoma und so viele andere spätere Präsidenten oder Regierungschefs überall in der Welt? Arafat war, ohne daß sich das eine vom anderen trennen ließe, Terrorist und Freiheitskämpfer, und er war mehr als das. Er war zugleich ein Politiker – der erste, der Palästina jedenfalls fragmentarisch und ansatzweise zu rekonstruieren und aus einem Objekt arabischer Schachzüge in ein souveränes politisches Subjekt zu verwandeln versuchte. Der 1988 in Tunis von Arafat ausgerufene und zunächst geradezu imaginäre Staat Palästina ist zwar immer noch teils Provisorium, teils Fiktion, aber sein Realitätsgehalt und seine Wirkungsmöglichkeiten haben trotz der Intifada-Folgen zugenommen. Der 1994 an ihn verliehene Friedensnobelpreis war daher nicht einmal unberechtigt: Als erster Führer der Palästinenser hat Arafat – wenn auch unter dem Druck der Amerikaner – einem Friedensschluß mit Israel zugestimmt, der zwar viele Fragen offenließ, aber immerhin den offiziellen verbalen Verzicht auf ein Programm der Vernichtung Israels einschloß. Auf einem anderen Blatt steht, daß die palästinensischen Kinder auch in den Schulen und im Fernsehen weiterhin im Ungeist eines Hasses gegen Israel erzogen und auf die Vertreibung der Juden eingeschworen werden. Es lag nicht nur und nicht so sehr an der palästinensischen Seite, daß längst schon nicht mehr von jenem gemeinsamen Staat Israel-Palästina die Rede ist, den Arafat 1974 vor der UN-Vollversammlung gefordert hatte. Schuld an der Ausrichtung auf zwei gegensätzliche Separatstaaten, an dem permanenten Krieg, an der Spirale von Haß und Gewalt haben nicht zuletzt jene Ultras im israelischen Lager, die – ermuntert von einseitiger amerikanischer Parteinahme – die menschlich-moralischen Werte des Judentums mit Füßen treten und die geistigen wie die politischen Fundamente eines demokratischen, laizistischen Israels der zwei Völker und der drei Religionen zerstören. Andererseits ist die Mitschuld Arafats an diesen Entwicklungen offenkundig. Es gab eine Zeit, da hatte er die Chance, die offen terroristisch-diktatorischen Bewegungen wie Hamas und den Islamischen Dschihad mit relativ geringen Opfern auszuschalten. Inzwischen ist dieses unerläßliche Ziel, sollte es überhaupt je ernsthaft von einer Palästinenserregierung verfolgt werden, wahrscheinlich nur in einem Bürgerkrieg zu erreichen, ganz so wie heute in Israel die Fanatiker unter den jüdischen Siedlern wohl auch nur mit Waffengewalt zur Räson gebracht werden könnten. Es gab eine Zeit, da hätte Arafat durch gezielte Förderung der christlichen Minderheit (immerhin ist seine Frau christlich getauft und erst später konvertiert) die weitere Ausgrenzung und Abwanderung der palästinensischen Christen verhindern oder doch zumindest abbremsen können. Es gab eine Zeit, da hätte der Islam aus dem öffentlichen Leben ins Familiäre und Private abgedrängt werden können, da hätte man durch eine gezielte Sozialpolitik den Islamisten die Chance nehmen können, sich als Anwalt der Armen auszugeben. Es gab eine Zeit, da wäre trotz aller besatzungsbedingten Einschränkungen eine breite wirtschaftliche Entwicklung machbar gewesen – und dann wären die geistig Beweglichsten und die am besten Ausgebildeten nicht in Scharen ins Ausland gegangen. Es gab eine Zeit, da hätte Arafat die ausufernde Korruption eindämmen können. Machtbehauptung um jeden Preis Arafat war persönlich eher unbestechlich und hat vergleichsweise asketisch gelebt, aber allein schon aus Gründen des Machterhalts duldete er die hemmungslose Bereicherung seiner Satrapen. Es ging ihm wie bei seiner Aufsplitterung des Apparats auf vielfache Parallelstrukturen darum, die verschiedenen Cliquen der PLO einzubinden und wechselseitig zu neutralisieren. Es ging nie um das Beste des Volkes, immer um Machtbehauptung um jeden Preis. Daher besteht kein Anlaß zu Lobeshymnen und Beweihräucherung. Aber Arafat sollte auch nicht, wie dies die israelische Regierung tut und mit ihr hierzulande die „Nie wieder Deutschland“-Fraktion der Pseudo-Philosemiten, als Wurzel aller Übel gebrandmarkt werden. Erst recht ist es infam, wenn jenes Scharon-Israel, das in Gaza abzuziehen verspricht und im Westjordanland die größeren Siedlungen weiter ausbaut, Jassir Arafat das Grab in Ost-Jerusalem verweigern will. Gerade hier könnte eine große versöhnliche Geste Wunder wirken und versinnbildlichen, daß alle Kämpfe einmal enden müssen und enden werden.

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