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Marc Jongen, ESN Fraktion

Mensch und Kamerad

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Eigentlich wollte er Missionar werden – doch es kam anders. Pater Johann Müller SAC wurde aber „Kasak“: „Katholische-Sünden-Abwehr-Kanone heißt das“, erklärt der 64jährige Priester verschmitzt den Soldatenjargon für seinen Beruf als Militärseelsorger und lacht: „Aber meine schwerste Waffe ist lediglich eine Weihwasser-Pistole.“ Humor hat der Pater zweifellos. Weil er dem Pallotinerorden angehört, trägt er hinter seinem Namen das Kürzel SAC. „Schweizer Alpen-Club“, scherzt Müller, übersetzt aber dem interessierten Laien, daß „Societas Apostulatus Catholici“ „Gesellschaft des katholischen Apostolats“ bedeutet. Humor ist nötig, vor allem wenn die Kindheit so schwer war wie bei Pater Müller. Seinen Vater, der als deutscher Soldat in Rußland kämpfte, hat der gebürtige Böhmerwälder nur kurz als zweieinhalbjähriger Knabe gesehen, als dieser Fronturlaub hatte. Wenig später ist der Vater in Stalingrad gefallen. Geblieben ist ein letzter Brief an die Ehefrau und Mutter, datiert auf Weihnachten 1942, in der er die katastrophalen Zustände in der Kesselschlacht schildert. Zitat: „Ich bin so abgemagert, daß ich den Ehering abnehmen mußte, weil er am Finger nicht mehr hielt.“ Das Schicksal seines Vaters gibt Pater Müller eine ganz besondere Motivation, wenn er mit Soldaten über Leben und Tod spricht. Als Siebenjähriger wurde Müller 1946 von Tschechen aus seiner böhmischen Heimat nach Bayern vertrieben. Was er an Schlimmem erlebt hat, wünscht er keinem anderen. Er mußte zusehen, wie Menschen vor Erschöpfung und Hunger in Viehwaggons starben, oder wie Kinder, die rückwärts vom Latrinenbalken des Lagers in die Kotgrube fielen, in den Fäkalien versanken und jämmerlich erstickten, weil die Bewacher mit vorgehaltener Maschinenpistole jede Hilfe unterbanden. Das hat sich dem katholischen Ordensgeistlichen tief ins Gedächtnis eingegraben. „Ich kenne das Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins“, bekennt Müller. Eine Erfahrung, die dem Militärseelsorger zugute kommt, etwa wenn er Angehörigen eine Todesnachricht überbringen muß. „Mitleiden, mitgehen, mittragen“, so umschreibt er seine Hilfe. Die Aufgabe erfüllt ihn mit seelsorgerischer Leidenschaft „Schon mit zehn Jahren wollte ich unbedingt Priester werden“, erzählt Pater Müller. Zum einen hatte er in seinem christlichen Glauben immer Halt gefunden, zum anderen hatte ihn ein junger Kaplan begeistert. Doch seine Lebensumstände als armes Flüchtlingskind im oberbayerischen Freising, dessen Mutter noch schwer erkrankt war, erlaubten keine teure Ausbildung. Da vermittelte ein wohlwollender Lehrer den katholischen Buben an das Freisinger Pallotiner-Internat, wo es ihm offensichtlich so gut gefiel, daß er in den Orden eintrat und nach Philosophie- und Theologiestudium am 16. Juli 1967 in Augsburg zum Priester geweiht wurde. Müller arbeitete als Arbeiterseelsorger, Lehrer und Erzieher. Schließlich kam er als Erwachsenenseelsorger nach Kleinheubach bei Miltenberg am Main, wo er viele Soldaten aus dem nordbadisch/nordbayerischen Raum in Exerzitien betreute. „Da wuchs in mir der Wunsch Militärseelsorger zu werden“, erinnert sich Müller. „Die Bundeswehr ist eine Gruppe unserer Gesellschaft mit einem wichtigen Auftrag. Ich habe die Sorgen und Nöte von Wehrpflichtigen, Zeit- und Berufssoldaten kennengelernt und wollte helfen“, begründet der Pater seine Berufswahl. Schließlich wurde Müllers Wunsch von den Ordensoberen erfüllt und er bekam am 1. April 1984 die Stelle eines Militärpfarrers bei der Luftlandebrigade 25 in Calw und Nagold. „Wenn ich schon Fallschirmjäger seelsorgerisch betreue, dann will ich auch wissen, was in ihnen vorgeht, wenn sie aus dem Flugzeug ins Ungewisse springen“, berichtet Müller. Doch der Militärgeneralvikar hat ihm den Fallschirmspringerlehrgang verboten, weil sich Müllers Amtsbrüder dabei die Füße gebrochen hatten. Dem Gehorsam verpflichtet, fügte sich Müller der Anordnung, fand aber mit Hilfe eines Fallschirmjägeroffiziers doch noch einen vertretbaren Ausweg aus dem Dilemma. „Ich sprang mit dem Fallschirm über dem Bodensee ab. Bei der Wasserlandung konnte ich mir keine Beine brechen“, freut sich der Pater fast spitzbübisch. Bei den Fallschirmjägern kam der Mut des Priesters gut an – sie akzeptierten ihn als einen der ihren. Sechseinhalb Jahre später machte Müller „Karriere“: Am 1. September 1990 wurde er Militärdekan beim II. Korps in Ulm und stellvertretender Wehrbereichsdekan im damaligen Wehrbereich V. Am 1. Mai 1993 folgte die Beförderung zum Wehrbereichsdekan V und der Wechsel nach Sigmaringen. Seit der Defusionierung der 10. Panzerdivision und dem Wehrbereich V am 1. Juli 2001 heißt diese Stelle „Katholischer Leitender Militärdekan 10. Panzerdivision“. Dieser ist Vorgesetzter aller Militärpfarrer, Pfarrhelfer, Pastoralreferenten und Zivilangestellten der katholischen Militärseelsorge sowie zuständig für alle katholischen Soldaten in Baden-Württemberg, ganz unabhängig von ihrer Teilstreitkraft. Auf die Frage, ob Müller es je bereut hat, Militärseelsorger zu werden, kommt es wie aus der Pistole geschossen: „Nie! Diese Aufgabe erfüllt mich mit seelsorgerischer Leidenschaft.“ Das Besondere daran sei die Möglichkeit, am Arbeitsplatz seiner Klientel leben und arbeiten zu können. „Ich bin ganz nah an meinen Pfarrkindern. Militärseelsorge ist Hingeh-Seelsorge. Ich kann nicht einfach nur warten, bis jemand kommt“, betont Müller. Zweifellos schwindet derzeit die gesellschaftliche Bedeutung der katholischen Kirche als „Volkskirche“. Spiegelbildlich kommen auch immer weniger religiös geprägte Soldaten zur Bundeswehr. Dennoch steigt die Bedeutung der Militärseelsorge, bedingt durch die vielen Auslandseinsätze. „Wo Soldaten konfrontiert sind mit Leid, Elend, Verwundung und Tod, da stellen sich die grundsätzlichen Fragen des Lebens neu, “ gerade auch für konfessionslose Soldaten“, weiß der Pallotinerpater. Er erzählt: „Manchmal habe ich Gleichgültigkeit oder Desinteresse erlebt, aber niemals Zurückweisung oder Aggressivität.“ Militärseelsorger sind für alle da. Sie teilen die Sorgen und Nöte der Truppe, rund um die Uhr, sechs Monate lang. Das übersteigt mitunter die Grenzen der Belastbarkeit. Militärpfarrer wissen sich in Ausnahmesituationen getragen vom Vertrauen auf Gott, wie auch vom Vertrauen, das die Soldaten in sie setzen. Militärdekan Müller, der in seinem Sigmaringer Büro über Telefon und Fax ständig mit seinen Militärpfarrern im Auslandseinsatz in Kontakt stand, berichtet von einem Kollegen, der das Kommando Spezialkräfte in Afghanistan betreut: „Dieser Militärseelsorger ist ein Spätberufener, ein ausgebildeter Handwerker. Als erste Maßnahme im Ausland hat der keinen Gottesdienst gehalten, sondern für die Soldaten Klo und Dusche gebaut. Reaktion der Soldaten: „Das ist unser Pfarrer – Mensch und Kamerad.“ Ökumenische Kooperation als besonderes Merkmal Tolerant, flexibel, körperlich und geistig fit mit einem starken Durchhaltevermögen, so sieht in Müllers Augen das Anforderungsprofil für einen Militärpfarrer aus, kurzum: „Ein gestandener Mann“. Müller betont die positive Einstellung zum Militär: „Obwohl der Militärseelsorger kein Soldat ist, muß er das, was das Soldatsein ausmacht, kennen und anerkennen.“ Die rechtliche Stellung der Militärseelsorge in der Bundeswehr ist geprägt von Weisungsunabhängigkeit gegenüber militärischen Befehlssträngen. „Doch wir haben zu jeder Zeit ein direktes Vorspracherecht gegenüber jedem Soldaten. Diese Konstruktion hat sich absolut bewährt“, erklärt Müller und fügt hinzu: „Alle Militärseelsorger anderer Armeen beneiden uns um unsere Möglichkeiten durch die autonome Stellung und die seelsorgerische Freiheit.“ Wenn die zivilen Militärgeistlichen im Einsatz oder bei Übungen Flecktarn-Kleidung mit dem Kreuz auf den Schulterklappen und der Rot-Kreuz-Armbinde tragen, dann ist das offiziell keine Uniform, sondern heißt nach der Vorschrift „Schutzanzug“. Er weist sie als Nichtkombattanten aus, die den besonderen Schutz der Genfer Konvention für „Nichtkämpfer“ genießen. Gleichwohl stellt Pater Müller klar: „Wenn Militärseelsorger Flecktarn tragen, dann ist das auch ein Zeichen der Solidarität mit dem Dienst der Soldaten.“ Ein besonderes Merkmal deutscher Militärseelsorge ist die ökumenische Zusammenarbeit zwischen katholischer und evangelischer Kirche. Viele gemeinsame Gottesdienste und Veranstaltungen künden davon. „Das Verhältnis zu meinen protestantischen Amtsbrüdern ist wirklich hervorragend“, schwärmt Katholik Müller. Gemeinsam ist ihnen die Erkenntnis: „Der Mensch zählt.“ Diese Botschaft bezieht sich nicht nur auf die Konfession, sondern auch auf den Rang. So hatte der inzwischen verstorbene Brigadekommandeur der ehemaligen Luftlandebrigade 25 in Calw, Brigadegeneral Godehard Schell, dem frischgebackenen Militärpfarrer Müller einst zu verstehen gegeben: „Wir Soldaten haben im Dienst den sogenannten Dreier-Blick: Zuerst Dienstgradabzeichen, dann Namensstreifen, schließlich Gesicht. Bei Ihnen, Herr Pfarrer, muß das genau umgekehrt sein.“ Müller weiß: „Dieser Rat war, ist und bleibt goldrichtig.“ Es klingt wie ein Vermächtnis. Am 28. April wurde Pater Johann Müller als „Katholischer Leitender Militärdekan 10. Panzerdivision“ offiziell von Militärgeneralvikar Walter Wakenhut bei einem Soldatengottesdienst in der Klosterkirche Beuron verabschiedet, am 30. April trat der 64jährige, gesundheitlich angeschlagene Priester in den wohlverdienten Ruhestand. Die Frage nach seinem schönsten Erlebnis als Militärseelsorger beantwortet er diplomatisch: „Da waren so viele Höhepunkte, daß ich keinen besonders herausstellen mag.“ Aber dann gerät Müller ins Schwärmen: „Gerne erinnere ich mich an die internationalen Soldatenwallfahrten nach Lourdes, wo Soldaten aus aller Welt gemeinsam beten. Auch die Exerzitien und Freizeiten mit den Soldaten habe ich genossen. All die intensiven Begegnungen haben mir ein Leben in Fülle beschert.“ Er bekennt: „Neben der Mutter Kirche bleibt die Bundeswehr meine Heimat. Militärseelsorge ist mein Lebenselixier.“ Bleibt zu hoffen, daß Müller nach der Pensionierung noch lange lebt. Einmal Priester – immer Priester: Soweit es seine Gesundheit zuläßt, möchte er sich künftig nach Absprache mit seinem Orden der „allgemeinen Seelsorge“ und damit „zivilen Seelen“ zuwenden. Denn auch hier gilt: „Der Mensch zählt!“ Foto: Deutsche Bundeswehroldaten in Kabul beim Sonntagsgebet: „Tolerant, flexibel, körperlich und geistig fit“

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