Am Anfang war die Erdnuß. Erdnüsse sind eine gesunder Bestand teil unserer Nahrung: Dies war die Quintessenz einer Geschichte, die nicht mehr in amerikanischen Schulbüchern für Viertkläßler auftauchen darf. Warum nicht? Allergiker könnten sich verletzt fühlen, weil Erdnüsse für sie schädlich sind. Nicht nur in Pisa-Deutschland ist der Bildungsstandard breiter Volksteile drastisch gesunken. In Amerika liegt dies nicht zuletzt an der fragwürdigen Qualität der Schulbücher. „Keines unserer Schulbücher legt die Grundlage für ein kulturelles Verständnis“, sagt Diane Ravitch. Mit Rücksicht auf diverse Minderheiten enthielten die Bücher eher „Märchen aus Japan, China, Afrika oder Indien“, als daß junge Amerikaner über die Geschichte ihres eigenen Landes informiert würden. Die Geschichtsbücher sind heute vor allem eine multikulturelle Gruppentherapie für vermeintlich unterdrückte Minderheiten. Sie stellen die amerikanische Geschichte als den Kampf gegen die Unterdrückung durch den „weißen Mann“ dar. Von einer eurozentristischen haben sie sich zu einer gegenteilige Fokussierung gewandelt. Als die liberale Republikanerin Ravitch bei der Auswahl von Schulbüchern mitwirkte, wurden ihr die subtilen Zensurmaßnahmen im US-Bildungswesen bewußt. Diese Zensur, so zitiert sie die Autorin Frances FitzGerald, beginne „bei den Verlagshäusern, die die Bücher herausgeben“. Ravitch nennt das PC-Regiment beim Namen: „Die Sprachpolizei“ (The Language Police) lautet der Titel ihres Buches. Ravitch seziert das Weltbild, das amerikanischen Schulkindern vermittelt wird. Da ist zum Beispiel der Gedanke, daß alle Kulturen gleich sind. Keine Kultur ist minderwertig. Kannibalen und Aborigines sind gleichwertig mit der chinesischen Hochkultur der Ming-Dynastie oder mit dem alten Ägypten. Nur die USA verfügen über andere Züge. In den Vereinigten Staaten herrschen schließlich Rassismus, Unterdrückung der Frau und soziale Ungerechtigkeit. Komisch, daß die Menschen noch immer trotz der Fremdenfeindlichkeit in die USA einwandern und alle so patriotisch sind! Die Rolle der Frau wird in allen nicht-westlichen Gesellschaften in glänzendem Licht dargestellt. In Ägypten waren sie, so die Schulbücher, ihren Männern gleichgestellt. In Japan wirkten sie als große Künstlerinnen. Scheinbar mußten nur die Frauen in den Vereinigten Staaten um ihre Rechte kämpfen. Selbst der Massenmörder Mao erscheint in positivem Licht. Er und die KP waren „Reformer“, die das Volksvermögen „gerecht umverteilt“ haben. Indem sie es zu Volkseigentum machten, versteht sich. Die Millionen Toten und Unterdrückten? Bedauernswerte Opfer der notwendigen Industrialisierung … Ein Schulbuch belehrt amerikanische Schüler über den Moslem-Herrscher von Mali, Mansa Musa, der sich 1324 nach Mekka begab. In „The American Nation“ lernen die Kinder, daß Timbuktu drei Universitäten hatte. Der Bezug dieser Fakten zur US-Geschichte? Es gehört zur Geschichte der später von Europäern zu Negersklaven degradierten Afrikaner. Ganz nebenbei bemerkt: Auch Mansa Musa verkaufte seinerzeit viele Sklaven nach Mekka. Es kommt noch besser! Wer darf nichts über die Geschichte von der Krähe und dem Fuchs erfahren? Amerikanische Schulkinder. Erinnern wir uns: Die Krähe auf einem Ast eines Baumes hat ein Stück Käse im Schnabel. Der Fuchs umschmeichelt sie, lobt ihre schöne Stimme, bittet sie ein Lied zu singen. Als die Krähe zu singen beginnt, fällt der Käse herunter. Der Fuchs hat die Krähe überlistet. Eine Geschichte, die einen „männlichen“ Fuchs beschreibt, der eine „weibliche“ Krähe clever überlistet, kann amerikanischen Schulkindern nicht zugemutet werden. Für jede denkbare Gruppe, ethnische und kulturelle Minderheiten ebenso wie Senioren und Behinderte, ist eine proportionale Darstellung in der Literatur für den Schulunterricht vorgeschrieben. Bei Männern und Frauen hat die Darstellung zwingend gleichberechtigt zu sein. Das Denken in Stereotypen soll unterbunden werden. In Geschichten sollen Mädchen deswegen ihr Fahrrad reparieren, während Jungs sich über Mode unterhalten und sich um ihr Äußeres Gedanken machen. Senioren müssen ohne Zipperlein dargestellt sein – als joggende, fröhliche Rentner. Weiße Straßengangster berauben schwarze Geschäftsleute, Mutter macht Karriere als Anwältin, während der Ehegatte kocht und sich um die Kinder kümmert. Die Liste der Beispiele ließe sich unendlich fortsetzen. Wer aufmerksam deutsche Fernsehserien verfolgt, kommt an der Feststellung nicht vorbei, daß diese gezielte Verdrehung der Realität auch bei uns sehr beliebt ist. Die Quotenvorgaben für die Geschichten beziehen nicht nur auf deren Inhalt. Sie haben auch Geltung für die Autoren, die die Geschichten verfassen. Jede Geschichte eines weißen Autors, die im Englischunterricht behandelt wird, muß ergänzt sein um die Geschichte einer schwarzen Frau, eines asiatischen Behinderten und so weiter. „Arme Schulbuchautoren!“ klagt Ravitch angesichts dieser Rahmenbedingungen. Die Zensur amerikanischer Schulbücher hat eine lange Tradition. Schon zwanzig Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung veränderte das Geschwisterpaar Thomas und Henrietta Maria Bowdler die Werke Shakespeares. Unchristliche und sexuelle Anspielungen wurden getilgt. Alles in allem wurden bis heute 400 Zeilen in Romeo und Julia „bowdlerisiert“. Amerika opfert auf dem Altar der politischen Korrektheit seine kulturellen Leistungen. Wer Autoren wie Benjamin Franklin, Thomas Jefferson, Hermann Melville, Edgar Allan Poe und nicht zuletzt Mark Twain verschweigt, handelt töricht. Wer sie gegen rassisch-ethnisch-geschlechterspezifisch-korrekte Märchen austauscht, macht sich vollends lächerlich. Die Banalisierung unseres Alltags durch Talkshows und Dieter Bohlen nimmt – dies- wie jenseits des Atlantiks – ihren Anfang, wo brillante Kostbarkeiten der Literatur ausgeblendet werden. Oder, wie Ravitch sagt: „Unberührt von dauerhafter und anregender Literatur werden die Schüler weiterhin von kommerzieller Populärkultur geformt.“ Diane Ravitch: The Language Police, New York, 2003, Alfred A. Knopf Verlag, 24 Dollar