Die Organisation HELP e.V., eine Hilfsorganisation für die Opfer politischer Gewalt in Europa, hat einen Sammelband mit zumeist zwischen 1990 und 2002 erschienenen Zeitungs- und Zeitschriftenaufsätzen herausgegeben. Kernanliegen der Kapitel ist die Darstellung von bekannten und weniger bekannten Schicksalen von Einzelpersonen und Gruppen, die aus unterschiedlichsten Gründen in die Mühlen der politischen Macht in der DDR gerieten. Die Berichte stammen entweder direkt aus der Feder von Betroffenen oder beruhen auf Recherchen von Journalisten. Zusammen ergeben sie ein anschauliches Bild der Existenzbedingungen, unter denen die Masse der Verfolgten des SED-Regimes leiden mußte. Obwohl ein Querschnitt durch alle Perioden der DDR-Diktatur vorgenommen wird, liegt doch der Schwerpunkt der Autoren auf den fünfziger Jahren. In dieser Zeit spielen die Fälle des Lehrers Horst Winter, der Werderaner Oberschüler, der Ereignisse des 17. Juni, zweier unschuldig hingerichteter Bergleute oder des von Erich Loest literarisch verarbeiteten „Dr. Tolbes“ mit sichtbar autobiographischen Zügen. Trotzdem ermöglichen die unchronologisch geordneten Kapitel einen guten Vergleich zwischen den Kontinuitäten des staatlichen Terrors gegenüber Andersdenkenden in der Hochphase des Kalten Krieges und den achtziger Jahren. Dabei fällt auf, daß die Mittel und Methoden von MfS, MdI sowie anderer staatlicher und staatsparteilicher Organisationen zwar im Laufe der Jahre häufig subtiler, doch mit den gleichen Zielsetzungen angewendet wurden. Zumeist ist den Kapiteln noch ein Nachsatz oder Hinweis angefügt, was die Betroffenen seit 1990 zu ihrer Rehabilitierung bzw. finanziellen Entschädigung unternommen haben. Gerade diese Betrachtungen werfen vielfach ein wenig positives Licht auf den Umgang mit SED-Opfern in der Bundesrepublik So müssen heute viele Geschädigte im scharfen Gegensatz zur teilweise üppigen Versorgung der Täter einen entwürdigenden Gang zu den Sozialämtern antreten. Neben der mangelhaften graphischen Gestaltung würde sich bei einer eventuellen Neuauflage eine bessere Strukturierung des Einführungsteiles, der abschließenden Dokumentation von Zeitungsausschnitten und Hinweisen auf SED-Opferorganisationen empfehlen, die teilweise auch überarbeitet werden müßten. „Das gestohlene Leben“ wird von HELP e.V. kostenlos an Schulen und Universitäten abgegeben. Im Mittelpunkt steht dabei das Bestreben, dem Thema (wieder) eine höhere Präsenz im Bewußtsein der Öffentlichkeit zu verleihen. Gerade in der heutigen politischen Situation, in der das Thema DDR-Geschichte an den Hochschulen in Seminaren der Geschichts- oder Politikwissenschaft eine zunehmend geringere Rolle spielt, und auch im Unterricht von Mittelschule und Gymnasium nur selten den ihm zustehenden Platz einnimmt, ist diese Aufgabe besonders wichtig. So kann dem Werk, das im Vorfeld beschämend wenig Unterstützung von seiten der politischen Bildungsarbeit erfahren hat, nur eine weitest mögliche Verbreitung in den Kreisen gewünscht werden, die die SED-Diktatur nicht selbst oder nur als Kinder erlebt haben. Hier kann im besten Sinne des Wortes davon gesprochen werden, daß eine Erlebnisgeneration ihr lebendiges Vermächtnis weitergegeben hat. Hilfsorganisation für die Opfer politischer Gewalt in Europa, HELP e.V. (Hrsg.): Das gestohlene Leben – Dokumentarerzählung über politische Haft und Verfolgung in der DDR. Berlin 2002, 482 Seiten, Schutzgebühr 10 Euro