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Schon von weitem grüßt der Führer

Schon von weitem grüßt der Führer

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Schon von weitem grüßt der Führer

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Berlin-Kreuzberg, eine Galerie im Hinterhof. Die Tür steht offen. Schon von weitem grüßt der Führer – als Fernsehstar. Auf drei Monitoren sind Aufnahmen vom Reichsparteitag und aus dem Berliner Sportpalast zu sehen. Doch irgendwas stimmt nicht mit ihm. Seine Stimme ist künstlich verzerrt, aber vor allem nimmt das trauliche Bärtchen auf der Oberlippe so merkwürdige Formen an, zieht sich in die Länge, schnurrt wieder zusammen, kriecht in sein Nasenloch und kommt zum Ohr wieder heraus. Der wild gestikulierende Redner erinnert an Charlie Chaplins „Großen Diktator“, nur war der nicht so lustig. Was also kann man anderes tun, als schallend zu lachen? Manche Besucher gucken irritiert. Darf man das? Über den Führer lachen? Die jungen israelischen Künstler, die diese Ausstellung erarbeitet haben, meinen: Ja, auf jeden Fall! Nur so wird man ein bißchen frei von ihm. Und der Verein Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, in dessen Räumen das Spektakel stattfindet – allerdings ungünstig auf zwei Standorte verteilt – meint das anscheinend auch. Der Titel „Wonder-years“ läßt an zwei Sätze aus Truman Capotes „Grasharfe“ denken: „Ich war elf, und später wurde ich sechzehn. Verdienste erwarb ich mir keine, aber das waren die wunderbaren Jahre.“ Die Künstler sind nicht älter als vierzig, die meisten jünger als dreißig. Ihre wunderbaren Jahre haben sie unter der verordneten Omni- und Dauerpräsenz einer unaushaltbaren geschichtlichen Last verbracht. Sie wehren sich gegen die Dauerpräsenz der Shoah, die zur Rechtfertigung noch der fragwürdigsten Politik herhalten muß und das gesellschaftliche Leben stranguliert. Der Foto- und Videokünstler Avi Pitchon (Jahrgang 1968) hat den biographischen und gesellschaftspolitischen Ansatzpunkt mit drastischen Worten bezeichnet: „Wir sind mit der Wahrnehmung der Shoa als pornographische Geduldsfolter schwarz-weiß flackernder Dokumentarfilme aufgewachsen und mit den offenkundig abgeschmackten Gedenkfeierlichkeiten in der Schule. Diese grotesken Veranstaltungen schweben im freien Raum des ritualisierten Traumas, ihre regelmäßige Wiederholung dient nicht dazu, uns erinnern zu helfen, sondern als Monument eines unbeweglichen, monolithischen, gelähmten Exorzismus. Keine Erkenntnis, keine Bewegung, keine Verjüngung.“ Sein Beitrag zur Dekonstruktion der liturgischen Rituale und ikonographischen Symbole ist ein großes Farbfoto von einer behaarten Männerbrust, auf der in Frakturschrift eintätowiert ist: „Gesamtkunstwerk“. Die Videoinstallation „Voices from hell“ (Stimmen aus der Hölle) zeigt eine Gruppe hübscher, in schwarzes Leder gewandeter Mädchen, die auf einem Hakenkreuz stehen. Aggressiv nehmen sie den Besucher von zwei gegenüberliegenden Leinwänden optisch und akkustisch in die Zange. Eine eindeutige Zweideutigkeit: das Böse ist böse, aber auch verführerisch. Nach einer kurzen Pause scheint ein Davidstern auf, vor dessen Hintergrund zwei engelhafte, in weißes Licht getauchte Frauen langsam auf- und niederschweben. Ihr himmlisch-zarter Gesang macht ihre Güte endgültig zur Stupidität, so daß sie trotz knappster Bekleidung völlig unerotisch, ja lächerlich wirken. Ein Staatsmythos wird ironisiert. Auf einem weiteren Bildschirm flimmern die „Hitler-Sisters“, drei junge Frauen mit unterschiedlich gefärbten Haaren bzw. Perücken. Ihr Singsang klingt wie ein Couplet aus dem Berliner Tingeltangel der zwanziger Jahre. Der Clou: Jede hat sich ein schwarzes Bärtchen unter die Nase geklebt. Eine andere Videoseqzenz zeigt einen nachgestellten Hitler als Bodybuilder vor einer Bücherwand. Die sonst starr moralisierende Kodierung der Bilder und Symbole wird hier durch Elemente der Popkultur, das heißt, auf der Ebene des Alltags und des Trivialen, durchbrochen. Für Israelis bedeutet die Darstellung Hitlers künstlerisches Neuland. Seine Abwesenheit im musealen Raum Israels, meint die Kunstdozentin Arielle Azoulay, rühre zum einen aus der Angst vor der Ansteckungskraft des Bösen her. Zum anderen würde die direkte Konfrontation mit der Unperson Fragen über das Nazi-Regime und die von ihm verursachten Zerstörungen auslösen, die nicht nur die Juden betreffen. Dieser Schritt würde „möglicherweise den besonderen Status der Shoa untergraben“. Die Historikerin Idith Zertal schreibt im Ausstellungskatalog, daß Macht und Machtideologie in Israel mit einer „transzendenten“, „unaussprechlichen“ Qualität angereichert worden sei. „Mit Hilfe von Auschwitz – welches im Laufe der Jahre zu Israels effektivster Spielkarte in seinen Beziehungen gegenüber einer wiederholt als antisemitisch und ewig feindlich definierten Welt geworden ist – hat Israel sich selbst heilig gesprochen, ist immun gegen Kritik und unzugänglich für einen rationalen Dialog mit seiner Umwelt geworden.“ Die schwierige, ja schizophrene Situation der jungen Israelis hat der 23jährige Nissan Shor, Redakteur einer Musikzeitschrift, in einem bewegenden Text erläutert. Nach dem Friedensabkommen von Oslo 1994 habe das unter ständiger Anspannung stehende Land die Hoffnung gehabt, endlich ein normales Leben führen zu können. Unter den Jugendlichen, die vom Staat als „menschliche Ressource“ begriffen werden, „die sich entsprechend den nationalen Bedürfnissen würde formen lassen“, etablierte sich eine „eskapistische“ Jugendkultur. Viele Clubs wurden eröffnet, eine Raver-Szene entstand, sexuelle Tabus wurden gelockert, die Haltung zum Militär änderte sich. Die Raver-Szene wurde vom Staat von Anfang an mit Mißtrauen betrachtet. Im Mai 2002 fand in Tel Avis ein erster Rave gegen die Besatzungspolitik statt. Ein zweiter Rave gegen Ariel Sharon unter dem Motto „Danke für den Frieden, und prima auch die Sicherheit“ im November 2002 wurde nach zehn Minuten von der Polizei aufgelöst. Seit Ausbruch der zweiten Intifada wurde diese individualistische Gegenkultur teilweise zurückgenommen. Große Bedeutung hat der gemeinsame, öffentliche Gesang erlangt. Ein verunsichertes Land versucht, in einer nostalgischen Freizeitkultur wieder Trost, Stärke und Gemeinsamkeit zu finden. Um so höher ist die politische Dimension der Austellung und der Mut der Künstler zu bewerten. Nochmals Avi Pitchon, der sich dagegen ausspricht, „weiterhin den vertrauten abgehobenen Diskussionen der Regierungen / Ideologien / Institutionen zu lauschen, die ein Monopol auf Geschiche und Erinnerungen haben“. Denn: „Wir als Juden sind keine ewigen Opfer, und die Deutschen sind keine ewigen Täter.“ Wie schwer es manchen Besuchern fällt, das Angebot der Ausstellung zu erkennen und zu begreifen, zeigen die beiden ersten Einträge im Besucherbuch: „Und was machen die Israelis mit den Palästinensern?“, blafft ein unbelehrbarer Israel-Feind los. „Und was stellen die Palästinenser in Israel und in Deutschland an?“, blafft der nächste genauso reflexhaft zurück. Eben diese Leerformeln wollen die jungen israelischen Künstler aufsprengen. Man verläßt die Aussellung mit dem Gefühl, daß Deutsche und Israelis eine ganze Menge gemeinsam und sich viel zu sagen haben. Foto: Boaz Arad, Videosequenz, 2001: „Juden sind keine ewigen Opfer, und die Deutschen keine ewigen Täter“ Die Ausstellung „Wonderyears. Über die Rolle der Shoa und des Nationalsozialismus in der heutigen israelischen Gesellschaft“ ist bis zum 1. Juni in der Berliner NGBK-Galerie, Oranienstraße 25, und im Bethanienhaus, Mariannenplatz 2, zu sehen. Der Eintritt ist frei. Der Katalog kostet 12 Euro.

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