Peter Glotz ist vielleicht der einzige Intellektuelle, der je in den Bundestag gelangte. Schon deshalb sollten wir gut hinhören, wenn dieser ehemalige Bildungspolitiker irgendwo eine Meinung äußert. Bei der Ringvorlesung „Bioethik und Biopolitik“ an der Freien Universität Berlin hat Glotz seine Geistesblitze gegen die großen deutschen Tageszeitungen geschossen. Er nennt sie fortschritts- und wissenschaftsfeindlich und wirft ihnen Fehlinformationen und Überinterpretation hinsichtlich der biotechnischen Entwicklung vor. Glotz bemängelt ganz richtig, daß naturwissenschaftliche Themen nur dann ins Feuilleton vordringen, wenn es sich um Sensationserfolge handelt – oder um falsche Sensationsmache. Er vergleicht die Furcht vor Menschenklonen und Selektion bei der Schwangerschaft mit der Hysterie wegen des „Waldsterbens“, das von seriösen Wissenschaftlern nie geteilt worden sei. Der Journalist trägt nach den Regeln seiner Zunft ein wenig dicker auf, und die Phantasie des Lesers tut ein übriges. Plötzlich erscheint die Bundesrepublik mit ihrer restriktiven Gesetzgebung als „einzig verbleibendes zivilisiertes Land“: „Ist das die Vermittlung der Naturwissenschaft, die wir brauchen?“ Die Vermittlung ist wohl tatsächlich die zentrale Frage. Wie bringt man die „zwei Kulturen“ besser ins Gespräch? Damit sollten sich die Feuilletons eher beschäftigen als mit den Abwehrgefechten aufgescheuchter Theologen und Metaphysiker, darin hat Glotz ganz recht. Allerdings macht er den Fehler, seinem Publikum seine eigene Auffassung des Themas vorzutragen und zitiert dabei Zeugen wie den Landesrabbiner Nathan Peter Levinson: „Es steht nirgends geschrieben, daß man nicht in das Erbgut eingreifen darf.“ Weiter beruft er sich auf den amerikanischen Philosophen Richard Rorty: „Aber vielleicht definieren wir einfach, daß der Embryo für die ersten paar Monate nicht als menschliches Leben gilt. Danach muß Schluß mit dieser Forschung sein. Aber in den ersten – sagen wir zwei – Monaten sollen die Wissenschaftler ruhig ein wenig mit den menschlichen Stammzellen herumspielen. Mal sehen, was passiert.“ Was Glotz hier vorträgt, ist eine ausgesprochen intellektuelle Position. Was nicht verboten ist, ist erlaubt; alles läßt sich neu definieren; wir hören nie auf zu spielen. Man merkt wieder, daß Glotz kein Realist ist. Sonst könnte er sich ausrechnen, daß die reaktionäre „schwarz-grüne Bioallianz“ durch Beiträge wie den von Levinson oder Rorty Auftrieb erfährt. Er stärkt den Gegner, indem er ihm für die „Angstkommunikation“ Argumente liefert. Das Wort „Herumspielen“ eignet sich zur Polemik vortrefflich. Doch kann er nicht anders, der Intellektuelle, auch wenn er sich selber ans Messer liefert. Er muß die Schraube immer um eine Drehung fester ziehen, einfach „um zu sehen, was passiert“. Doch zum Glück haben die Intellektuellen in der Politik nichts zu sagen.
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